Was verbessert werden sollte

Von Matthias Matussek · 31.12.2006
Das ist das Vertrackte an dieser Jahreswende. Normalerweise macht man Listen über das, was bitte besser gemacht werden sollte im kommenden Jahr. Allerdings: Wie kann man das überhaupt? Das zurückliegende Jahr ist, aus deutscher Sicht, nicht zu toppen.
Im Sommer hatten wir die Welt zu Gast, und wir haben ihr nicht nur den allerschönsten Fußball gezeigt, sondern auch die allerschönsten Fans, tolerante, kosmopolitische, lockere Teenager, Familienväter, Frauen, die allerschönsten, die allerblondesten. Das Wort des Jahres: Fanmeile.

Wir sind so im Einklang mit uns und unserer Nation wie nie zuvor. Wir haben schwarz-rot-goldene Fahnen geschwenkt, und es war nicht wie Weltkrieg, sondern wie Woodstock. Wir waren die Hippies des nationalen Gefühls mitten in Europa, ausgerechnet wir Deutschen. Was soll man da noch steigern?

Wir haben vor allem eines hingekriegt: Wir haben die Welt nicht gedemütigt durch einen alle niederschmetternden Gesamtsieg in der WM, sondern haben genau zum richtigen Zeitpunkt gegen ein nicht besonders sympathisches Team verloren, und also höchst diszipliniert umgesetzt, was zuvor in einer geheimen Nachtsitzung im Kanzleramt abgesegnet worden war.

Die Folge unserer strahlenden Niederlage: Wir haben die Herzen der Welt gewonnen. Und darauf kommt es heutzutage doch an. Unser Problem früher war doch immer, dass wir dachten, wir müssten perfekt sein, um geliebt zu werden. Nun haben wir gelernt, dass wir gerade wegen der kleinen Fehler und der mittleren Niederlagen geliebt werden - weshalb wir nun genau diese produzieren.

Beispiel: Der Berliner Hauptbahnhof. Bauherr Mehdorn verfügte zwar spät, aber gerade noch rechtzeitig vor der WM und dem Besuch der Freunde aus aller Welt, die Verhängung der ursprünglich geplanten schönen gotischen Deckenschwünge durch hässliche Platten. Um auf Nummer Sicher zu gehen, ließ er auch noch die auf 431 Meter Länge geplante gläserne Überwölbung der oberen Gleise auf 321 Meter zurückstutzen und das ganze so aussehen zu lassen wie eine, so die "Süddeutsche Zeitung", angebissene Wurst.

Sicher, die ästhetische Verstümmelung kostete das Doppelte dessen, was für die ursprünglichen Prachtplanung veranschlagt war, doch die Investition hat sich gelohnt, denn die Freunde aus aller Welt, das konnte jeder sehen, strahlten mit der Sonne um die Wette, als sie dort im verunstalteten Bahnhof der Hauptstadt ankamen.

Es ist ein neues Deutschland, das sich hier zeigt, eines mit Mut zum Dilettantismus, ja, zur Idiotie. Natürlich hätte man beispielsweise den sozialistischen Stahlschmodder des Palasts der Republik in 5 Minuten flachlegen können. Stattdessen: Debatten, urbane Agonie, Stillstand. Und speziell für den britischen "Times” - Korrespondenten Roger Boyes den Sadomaso-Keller "Kit Kat Club”, damit er über perverse Berliner den Kopf schütteln kann.

Damit gelang es auch, den deutschen Superaufschwung an ihm und seinen Lesern vorbeizuschmuggeln. Boyes berichtet seinen Lesern nämlich regelmäßig von einem gelähmten, faulen, undisziplinierten, ausgepowerten Land, das alles bewundert, was aus England kommt. Wir nicken dazu bescheiden und lächeln, und korrigieren die Wachstumsraten unserer Wirtschaft immer neu, und zwar nach oben, und die Arbeitslosenquote nach unten.

Und wir vergessen nicht, von unserem Gesundheitssystem, dem besten und lückenlosesten der Welt, abzulenken. Zum Beispiel mit einer stümpernden Gesundheitsministerin, deren Vorstellungen von Wirtschaft aus einer sibirischen Kolchose stammen. Und mit einer Gesundheitsreform, die der Feind jeder Reform ist. Seither liebt Roger Boyes seine Krauts nun regelmäßig; er, der aus seiner Heimat Warteschlangen vor Arztpraxen bis auf die Straßen kennt.

In anderen Worten: Alles, was man sich vor dem letzten Jahreswechsel an Verbesserungen vorgenommen hatte, wurde erfüllt. Nun läuft unser Deutschland, das liebenswerte stolpernde Deutschland - und es läuft rund wie lange nicht.

So rund, dass man in den Ostländern Neonazis ins Parlament gewählt hat, um nicht auch noch als Demokratie-Streber dazustehen und die französischen oder britischen Nachbarn mit ihren in dieser Hinsicht katastrophaleren Verhältnissen zu verärgern.

Dieses Land ist derzeit so perfekt in seiner Unvollkommenheit, dass es einfach ist, die Eingangsfrage zu beantworten: Was wir verbessern können? Nichts.

Nun gut, eine Sache vielleicht doch: Beim nächsten Mal haut ihr die Italiener bitte vom Platz, Jungs. Sagen wir 6:1?

Und ein, zwei Kopfstöße wären schön…


Matthias Matussek, Jahrgang 1954, studierte Amerikanistik und Germanistik in Berlin; er kam über den Berliner "Abend" und den "Stern" zum Hamburger "Spiegel", er ist dort seit 2005 einer der beiden Leiter der Kulturredaktion. Vom Fall der Berliner Mauer bis zum Tag der Deutschen Einheit berichtete Matussek als Sonderkorrespondent aus Ost-Berlin und wurde 1991 mit dem "Egon-Erwin-Kisch-Preis" ausgezeichnet. Er leitete die Büros des "Spiegel" in New York, Rio de Janeiro und London, hielt Gastvorträge an amerikanischen Universitäten und schrieb Kolumnen für US-Zeitungen. Buchveröffentlichungen u. a.: "Fifth Avenue", Kurzgeschichten (1995) und "Die vaterlose Gesellschaft - Überfällige Anmerkungen zum Geschlechterkampf" (1998). Nach einer Idee von Matussek entstand der Film "Väter". Gerade bei S. Fischer erschienen ist "Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können".