Was Robert Bosch anders machte

Rezensiert von Ulrich Baron · 10.11.2013
Robert Bosch gilt als Unternehmer mit Moral. Schon 1906 führte er den Achtstundentag ein. Doch während der Nazi-Zeit wurden auch in seinen Betrieben Zwangsarbeiter geknechtet.
Der Name Bosch ist weltberühmt, aber anders als bei Marken wie Coca Cola dürfte es vielen Menschen schwer fallen zu sagen, wofür. Boschs Aufstieg begann mit Produkten, über die sich der Laie heute kaum noch Gedanken macht. Doch sie lieferten die Zündfunken für eine Entwicklung, die unser Leben in einem zuvor nie gekannten Maße mobil machte.

Zunächst aber habe sich Robert Bosch mit seiner 1886 in einem Hinterhof der Stuttgarter Rotebühlstraße gegründeten "Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik" jahrelang schwer getan, heißt es in der Unternehmensgeschichte von Johannes Bähr und Paul Erker. Das Angebot umfasste:

"Telephone, Haustelegraphen, fachmännische Prüfung und Anlegung von Blitzableitern, Anlegung und Reparatur elektrischer Apparate, sowie alle Arbeiten der Feinmechanik."

Seine erste Rechnung habe Bosch 1887 für die Einrichtung einer elektrischen Klingel ausgestellt und im ersten Geschäftsjahr einen Verlust von 1540 Mark gemacht. Doch im selben Jahr erhielt er den Auftrag zum Bau eines Zündapparats. Bald sollte daraus das Kerngeschäft seines seit Mitte der 1890er-Jahre rasant wachsenden Unternehmens werden.

1906 führte Bosch den Achtstundentag ein
Ursache dieses Aufstiegs war das Automobil, dessen Motoren immer höhere Ansprüche an Magnetzünder und später an Zündkerzen stellten. Dank seiner Vertreter habe Bosch von der in Frankreichs Geldadel grassierenden "Auto-Manie" ebenso profitiert wie vom Automobilboom im Flächenland USA.

"1906 entfielen bei Bosch schon 79 Prozent des Umsatzes auf das Ausland. Ein Jahr später waren es bereits 87 Prozent, und mehr als jeder vierte Bosch-Zünder wurde damals in die USA geliefert."

Ebenfalls 1906 sorgte Bosch für Aufmerksamkeit, als man die Einführung des Achtstundentags bekannt gab. Dabei sei es nicht allein um eine soziale Pioniertat gegangen, mit der der "rote Bosch" seine Standesgenossen mal wieder provoziert habe:

"Er hielt es auch 'für volkswirtschaftlich vorteilhafter, wenn in kürzerer Arbeitszeit eine Höchstleistung erzielt werden kann.'"

Dieser linksliberale, nicht nur wegen seines Rauschbarts patriarchalisch wirkende Arbeitgeber hielt es auch für sinnvoll, sein Unternehmen vom Einfluss fremder Geldgeber freizuhalten, und das über seinen Tod im Jahre 1942 hinaus.

Während Johannes Bähr in den ersten Kapiteln die Ära des Unternehmensgründers bis 1945 beschreibt, widmet sich sein Kollege Paul Erker im dritten Abschnitt der Entwicklung des Konzerns von der Nachkriegszeit bis 1983, um die Unternehmensgeschichte im letzten Teil gemeinsam mit Bähr bis ins Jahr 2012 fortzuschreiben. Solche Aufteilung erscheint nicht nur wegen der Materialfülle sinnvoll, sondern auch, weil diese Geschichte neben erstaunlicher Kontinuität tiefe Brüche aufweist.

Als Robert Bosch zum Großunternehmer mit Vertretungen in 30 Ländern aufgestiegen war, kam der erste schwere Rückschlag. Im Ersten Weltkrieg verringerte sich der Auslandsanteil seines Umsatzes von 88,7 Prozent im Jahre 1913 auf 8,5 Prozent im Jahre 1918. Auch ein an hochwertigen Standards orientierter Zulieferer war in Kriegs- und Krisenzeiten gezwungen, sich der Macht seiner wichtigsten Abnehmer zu beugen. Nach 1918 erschwerte es die Massenproduktion, die Preisvorstellungen eines Qualitätszulieferers auf dem Markt durchzusetzen.

"Man sah sich vor die Alternative gestellt, vom bisherigen Qualitätsanspruch abzurücken oder vom Markt zu verschwinden."

Doch noch im Vorfeld der Weltwirtschaftskrise entwickelte Bosch eine Diesel-Einspritztechnologie, bei der man bis heute Weltmarktführer sei, so die Autoren. Zugleich begann eine Diversifizierung, die neben Elektro- und Haushaltsgeräten auch Rundfunkempfänger hervorbrachte. Mobilität und Volksempfänger wurden im Dritten Reich gefördert. So profitierte Bosch nach 1933 von einer angeheizten Binnenkonjunktur, die auf Kriegswirtschaft hinauslief.

Früher als der Übergang von ziviler zu militärischer Motorisierung war der politische Druck auf Bosch unübersehbar. Führende Vertreter der Firma hätten sich 1933 aus taktischen Gründen der NSDAP angeschlossen, denn es sei ihnen

"damals dringend angeraten worden, dass, um unmittelbar drohende Gefahren von der Firma abzuwenden, wenigstens ein Teil der leitenden Herren die formale Zugehörigkeit zur Partei erwerben sollte."

Cover Johannes Bähr, Paul Erker: "Bosch. Geschichte eines Weltunternehmens"
Cover Johannes Bähr, Paul Erker: "Bosch. Geschichte eines Weltunternehmens"© Verlag C.H. Beck
Vorstände handelten nach der Logik des NS-Systems
So ergab sich die aparte Situation, dass das Vorstandsmitglied Hans Walz, der wie Robert Bosch seit 1926 dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus angehört hatte, nun zum "Freundeskreis Reichsführer SS" zählte. Gleichzeitig zeigte Robert Bosch selbst dem Regime die kalte Schulter. Nach seinem Tod rächten die Nazis sich, indem sie aus Boschs Beerdigung einen pompösen Staatsakt machten. Seine Vorstände hätten versucht, so urteilt Bähr,

"sich die Rivalitäten, Feindschaften und Machtkämpfe innerhalb des NS-Regimes zu Nutze zu machen. Sie handelten damit entsprechend der Logik eines Herrschaftssystems, das durch konkurrierende Institutionen und ein hohes Maß an Patronage gekennzeichnet war."

Dass der Führungszirkel von Bosch Kontakte zu Vertretern des Widerstandes wie Carl Friedrich Goerdeler pflegte und Hans Walz in Israel als "Gerechter unter den Völkern" geehrt wurde, belegt, dass es hier nicht nur um unternehmerische Interessen, sondern um Moral ging. Andererseits zeigt Bähr anhand der Behandlung von Zwangsarbeitern, dass die moralischen Standards der "Bosch-Familie" nicht in allen durch die Kriegswirtschaft weit verstreuten Betrieben gleichermaßen galten.

Besonders im dritten und vierten Kapitel des Bandes, das ohne die Leitgestalt Robert Boschs auskommen muss, verliert sich die Übersicht dann bisweilen im sehr detailreich rekonstruierten dynastischen Geflecht aus Familienmitgliedern, Erbverwaltern und Managern. Angesichts der Bedeutung, die Bosch-Technik für die zivile wie militärische Mobilisierung hatte, hätte man sich da statt mancher Personalien eher einen wirkungsgeschichtlichen Exkurs gewünscht. War Robert Bosch auch durch geflügelte Worte wie dieses berühmt geworden

"Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle"

so findet sich im Schlusskapitel der Zwischentitel:

"Veränderungen im Kräfteparallelogramm der Corporate Governance."

Auch hinter solchen wolkigen Formulierungen verbergen sich hier bemerkenswerte Einblicke in die Praxis einer modernen aber auch traditionsbewussten Unternehmensführung, die geschäftlichen Erfolg und soziale Verantwortung zu verbinden sucht:

"Als nicht börsennotiertes Unternehmen ist Bosch nicht darauf fixiert, unter dem Druck des Kapitalmarktes in jedem Quartal eine möglichst hohe Rendite zu generieren. Das Unternehmen kann sich an langfristigen Zielen ausrichten und hohe Investitionen in Zukunftsprojekte tätigen, die erst nach vielen Jahren zu einem wirtschaftlichen Erfolg werden."

Nachhaltiger Erfolg, das zeigen Bähr und Erker, braucht nicht nur innovative und zündende Ideen, sondern auch Hartnäckigkeit.

Johannes Bähr, Paul Erker: Bosch – Geschichte eines Weltunternehmens
C.H. Beck Verlag, München 2013
624 Seiten, 39,95 Euro