Was nachrückt, ist nicht immer schlecht

Von Klaus Bölling |
"Azubi" und "Azubine" sind ein überhaupt nicht liebliches Geschwisterpaar. Die Redakteure des Dudens, der uns nach einem fast mörderischen Kampf unter Philologen, Autoren und Journalisten doch ein unentbehrlicher Wegbegleiter sein soll, haben die Abkürzungen gutgeheißen. Offenkundig mit gemischten Gefühlen. "Ugs.", sagen sie, soll heißen "umgangssprachlich" und "scherzhaft".
Nun ja, das stimmt nicht ganz. "Azubi" und "Azubine", die "Auszubildenden" also, das ist auch etwas herablassend gemeint. Warum sonst schmäht Jürgen Trittin den neuen Wirtschaftsminister als einen solchen "Azubi". Er will doch nur sagen, der junge Mann, dieser oberfränkische Freiherr, hat keine Ahnung von der Sache, die man ihm übertragen hat. Das stimmt so nicht. Der CSU-Mann geht auf die 40 zu. Im Bundestag, bei seiner Jungfernrede, ein lustiges Wort übrigens, hat dieser Guttenberg, etwas forsch vielleicht, gute Figur gemacht. Sein Talent hat sich nicht in der Stille entwickelt, dafür "basisnah" in seiner neulich erst schrecklich gerupften CSU. Sein Intelligenzquotient ist beachtlich. Gewiss doch, die SPD hat die Andrea, nicht die aus Hessen, schlichter Reim, die ist vergessen. Die andere ist aus Rheinland-Pfalz und sehr gescheit, eine bewegliche Linke, "volatil" sagt man neuerdings. Sie hat sich auch als Ränkeschmiedin einen Namen gemacht. Erst brachte sie ihren Parteivorsitzenden schier zur Verzweiflung, dann hat sie Franz Müntefering aus dem Amt gemobbt, das dieser das schönste nach dem des Papstes genannt hatte. Nun ist "der Franz" ins "Willy-Brandt-Haus" zurückgekehrt und Dame Andrea ist, neben zwei Männern, seine Stellvertreterin. Die Andrea ist wirklich keine "Azubine" mehr. Einer der Juso-Vorsitzenden hat es bekanntlich ins Kanzleramt geschafft. Was der "Gerd" kann, der aus Hannover, so hat Andrea geträumt, das kann sie schon lange. Wie sagen die Berliner: "Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr".

Und die Partei der Angela Merkel? Man sieht die Talente nicht ins "Adenauer-Haus" stürmen. Einer der Jungen freilich hat Gardemaß, nicht bloß der Körperlänge wegen. Beinahe hätte er sich selber umgebracht, nur politisch. Dieser Philipp Mißfelder, Abgeordneter aus Recklinghausen, zeigte Reue und ist derweil fast zum Liebling der angegrauten Unionswähler geworden. - Noch zu Guttenberg. Sein Großvater, überzeugter Anti-Nazi und ebenso überzeugter, ja fast besessener Anti-Kommunist, unterstellte den Sozialdemokraten, das war im Herbst 1959, ihre deutsch-deutsche Entspannungspolitik führe zum "dritten Weltkrieg". Da stürmte ein junger Sozialdemokrat ans Pult des Bundestags und rief dem Reichsfreiherrn zu: "Manchmal fällt es schwer, bei Ihrer Polemik nicht zu beklagen, dass die Deutschen niemals eine Revolution zustande gebracht haben, die dieser Art von Großgrundbesitzern die materielle Grundlage entzogen hätte." War das ein politischer "Azubi". Falsch geraten. Es war Helmut Schmidt.

Der Guttenberg-Enkel braucht sich nicht zu sorgen. Eine Revolution ist nicht in Sicht. Seine Latifundien will dem jungen Minister niemand nehmen. Sympathisch, Guttenberg verurteilt ohne Wenn und Aber die von nur noch krankhafter Abfindungsgier befallenen sogenannten Banker. Man spürt, er meint, was er sagt. Der Großvater, ein charaktervoller Konservativer, wäre mit ihm zufrieden. Konservativ zu sein, ist doch nicht ehrenrührig. Was wäre das für ein langweiliges Parlament, in dem nur noch Liberale und Linke sitzen?

Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des 'Weltspiegel', USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".
Klaus Bölling
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