Was Merkel von Machiavelli gelernt hat

Moderation: Susanne Führer · 25.06.2013
Vor 500 Jahren schrieb Niccolo Machiavelli das Skandal-Buch "Der Fürst", eine Anleitung zum skrupellosen Umgang mit Macht. Einige seiner Botschaften leben bis heute fort, sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler - auch im politischen Raffinement von Angela Merkel.
Susanne Führer: Vor 500 Jahren schrieb Niccolo Machiavelli "Il Principe", zu Deutsch "Der Fürst". In diesem Hauptwerk der politischen Ideengeschichte analysiert Machiavelli die Mechanismen des politischen Erfolgs. Nun hat sich die Gesellschaftsordnung seit 1513 mächtig verändert, aber Machiavelli wird weiterhin interpretiert und diskutiert. Warum? Steht er tatsächlich für rücksichtsloses Handeln zum Zweck des Machterhalts? Diese Fragen kann der Politikwissenschaftler Herfried Münkler beantworten, der übrigens auch ein Buch über Machiavelli geschrieben hat. Guten Morgen, Herr Münkler!

Herfried Münkler: Guten Morgen!

Führer: Ja, blicken wir zu Anfang noch mal kurz auf die Umstände, unter denen dieses Buch geschrieben wurde, es geht um Macht, es geht um Erfolg, aber Machiavelli selbst war ja gar nicht mächtig zu dem Zeitpunkt.

Münkler: Er war vor allen Dingen nicht erfolgreich zu diesem Zeitpunkt, er hatte 14 Jahre der Republik gedient in verschiedenen Ämtern, nie in der Spitzenposition, eigentlich immer zurückgezogen als Berater, aber durchaus mit Ämtern. Man kann vielleicht sagen, er hat Staatssekretärsaufgaben wahrgenommen. Und mit der Rückkehr der Medici nach Florenz war er vor allen Dingen aus seinen Ämtern verjagt worden, dann geriet er auch noch in den Verdacht, an einer Verschwörung beteiligt zu sein, wurde gefoltert und hatte nur das Glück, dass ein Medici zum Papst gewählt worden ist, weswegen eine Amnestie verkündet wurde, und dann kommt er frei, und jetzt sitzt er auf seinem Landgut und langweilt sich und sagt, ich will meine Zeit nicht nutzlos totschlagen, ich will ein Buch schreiben, in dem ich meine Erfahrungen darstelle.

Führer: Nun gab es ja auch im 16. Jahrhundert Machtkämpfe, Sie haben das gerade so ein bisschen angedeutet, die auch noch wesentlich brutaler abliefen als heute, er wurde gefoltert. Und diese Machtkämpfe damals, gerade auch in Italien zwischen den verschiedenen Fürstenhäusern – Machiavelli liefert nun die Theorie dazu, aber was war denn das Verstörende, das skandalträchtige Neue an dem "Principe", an dem "Fürsten"?

Münkler: Dass er vermutlich das ausgesprochen hat, was durchaus Praxis war, und dass er das nicht als eine Abweichung von der Norm begriffen hat, sondern zu zeigen versucht hat, dass das, was er beschreibt und wie er beschreibt, eigentlich der Schlüssel zum politischen Erfolg ist. Das heißt, Machiavelli denkt die Paradoxie, dass möglicherweise ethisch nicht vertretbare Maßnahmen zu ausgesprochen positiven Effekten führen können. Das ist sozusagen der Schlüssel, und damit wendet er sich gegen den Zeitgeist – wir bewegen uns in einer Zeit, in der Erasmus unter anderem auch schreibt –, der Zeitgeist, der sagt: Eigentlich ist die aufrechte Gesinnung das, was angesagt ist. Und Machiavelli sagt das genaue Gegenteil: Wenn ihr euch an die vier Kardinaltugenden haltet, werdet ihr scheitern. Und das provoziert natürlich viele Leute.

Führer: Und er beruft sich auch nicht mehr auf Gott.

Münkler: Und er beruft sich nicht mehr auf Gott, sondern, um das zuzuspitzen: Er beruft sich auf Rom, also sozusagen an die Stelle eines göttlich gegebenen Zusammenhangs und Interpretierens tritt das historische Beispiel des Erfolges der Römer, des Aufstiegs der Republik, aus dem heraus er die Grundsätze eines angemessenen und effektiven Agierens entwickelt.

Führer: Sie haben es gerade schon ein bisschen angedeutet, Herr Münkler, es gibt ja viele Zitate in dem "Fürsten", in denen Machiavelli die Herrscher lobt, die alles tun, um an der Macht zu bleiben. Er schreibt zum Beispiel, ein Fürst sei oft gezwungen, gegen die Treue, gegen die Barmherzigkeit, die Menschlichkeit und die Religion zu handeln. Oder ein anderer berühmter Satz: "Ein Fürst muss sich zum Bösen wenden, sobald es nötig ist." Das hat ihm ja den Vorwurf eingetragen bis heute, dass er ein Zyniker der Macht war.

Münkler: Ja, vielleicht war er das auch ein bisschen, also in dem Sinne, wenn eine zynische Betrachtung eben heißt, dass ich nicht von vorn herein Brillen aufsetze, die das Geschehen färben, sondern Dinge betrachte, wie Machiavelli sagt, wie sie sind, und nicht wie sie sein sollen. Aber er ist darum nicht einer, der dabei stehen bleibt und sagt, Hauptsache, du hast Erfolg, sondern er stellt alle seine Überlegungen unter die Generaldirektive der Stabilisierung und Erhaltung einer Republik, und das ist natürlich erstaunlich. Wenn ich ein Buch über den "Principe", also über den nichtrepublikanischen Herrscher schreibe, wie kann das eigentlich zusammenkommen? Das ist ganz gut erklärbar, denn es ist ungefähr das Kapitel 14 des ersten Buches der "Discorsi", an denen er sitzt, und da stößt er auf das Problem, dass Rom Leute gebraucht hat, die teilweise und für begrenzte Zeit so etwas wie eine Alleinherrschaft ausgeübt haben, um sich als Republik behaupten zu können, und diesen zutiefst paradoxen Gedanken führt er dann aus, indem er anschließend ein paar Kapiteln über "Il Principe" schreibt.

Führer: Ich spreche im Deutschlandradio Kultur mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler über Machiavelli, der vor 500 Jahren sein Werk "Il Principe – der Fürst" geschrieben hat. Aber es ist doch so, Herr Münkler, dass Machiavelli Moral und Politik trennt. Einer seiner Grundsätze lautet ja, man muss vom Ergebnis her denken. Mir fiel da sofort Helmut Kohl ein – "Wichtig ist, was hinten rauskommt" –, und manche haben ihm ja auch vorgeworfen, dass er eben damit die politische Theorie verdorben hat.

Münkler: Es ist ja nicht uninteressant, dass Max Weber, als er 1919 den großen Vortrag "Politik als Beruf" hält, dass er vorher noch mal Machiavelli gelesen hat, und zwar als Grundlage der von Weber dann eingeführten Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Und ich würde meinen, Machiavelli geht ähnlich an die Sache heran: Er polemisiert gegen diejenigen, die sagen, du musst nur ein aufrechter Mensch sein, und dann werden die Dinge dir schon zum Erfolg gereichen. Ja, Machiavelli hat, wie Weber das später sagen wird, eine Vorstellung von den dämonischen Mächten, die in der Politik ihr Spiel spielen und die die guten Absichten in schlechte Effekte verkehren. Und das wissen wir heute ja auch noch. Also dieser Satz, in der Politik gebe es nichts schlimmeres als gut gemeint, der bringt ja genau das auf den Punkt, was gleichsam Machiavellis Beobachtung ist, dass eben diese Leute, die vor sich ihr gutes Gewissen und ihre hohe Gesinnung hertragen, nicht unbedingt diejenigen sind, die für das Gemeinwesen die besten Effekte haben.

Führer: Sie haben in einem Ihrer Texte über "Il Principe" geschrieben, das sei bis heute die wichtigste Anleitung zu politischem Erfolg. Nun würde ich doch sagen, seit 1513 hat sich die Gesellschaft mächtig verändert. Warum ist das dann bis heute doch so ein wichtiger Text?

Münkler: Ja, das kennzeichnet sozusagen Klassiker der politischen Theorie, dass sie ein Abstraktionsniveau im Denken hinbekommen, dass man nicht auf die spezifischen Konstellationen von Florenz am Anfang des 16. Jahrhunderts oder die Wirren in Oberitalien festgelegt ist. Die Botschaft seines Gedankens, die ist eigentlich unabhängig von der jeweiligen Zeit, sie hat einen so hohen Allgemeinheitsgrad, das man ja auch heute fragen kann: Müsste Frau Merkel beispielsweise ein bisschen mehr wie Machiavelli agieren und denken, oder aber ist mit Machiavelli ihr Verhalten insofern richtig, als wir uns in einer Phase befinden, in der der schnelle, zugreifende, entschlossene Politiker genau der Falsche wäre?

Führer: Na ja, es gibt ja immer wieder Situationen, wo man sie dann Machiavelli oder Merkiavelli nennt, zum Beispiel, wenn sie Norbert Röttgen entlässt, ihren Umweltminister, oder Annette Schavan, so was gab es ja durchaus.

Münkler: Da sehen Sie sozusagen, wie Machiavelli nicht nur eine Handlungsanweisung für Politiker ist, sondern auch gleichsam die Folie bei der Beobachtung von Politikern, dass man einen Begriff, einen Namen zur Verfügung hat, den man dann, wenn Frau Merkel eben mal nicht Mutti ist, sondern relativ kühl und gelassen agiert, sie damit belegt. Und weil das so ist, lebt der Machiavelli natürlich heute auch, also nicht nur, weil die Politiker ihn Tag und Nacht lesen, was, ich glaube, sie gar nicht tun, sondern weil die Korona der Beobachter natürlich den Machiavelli im Kopf haben und sich ab und zu ein bisschen mehr Machiavelli wünschen, aber dann auch wieder im Gestus der Empörungen jemandem vorhalten, er sei ja ein Machiavellist.

Führer: Ja, eben, wir erwarten doch von unseren Politikern heute Ehrlichkeit, Grundsätze, Moral, wir wollen, dass der Sozialdemokrat nach sozialdemokratischen Ideen handelt, die Christdemokraten nach ihren, die freien Demokraten und so weiter, also jeder Politiker, der sich heute öffentlich auf Machiavelli beriefe, wäre doch sofort erledigt.

Münkler: Er rät einem ja gerade gewissermaßen zu verbergen und zu verheimlichen, was bestimmte Intentionen sind, nur auf die Ergebnisse zu schauen, und letzten Endes treten wir zwar auf in einer gelegentlich bigotten Position und erwarten von den Politikern, dass sie in jeder Hinsicht transparent sind, ehrlich, aufrichtig, auch sonst keine Geheimnisse haben, gleichzeitig erwarten wir aber, dass sie in der Lage sind, sich in entsprechenden Machtkämpfen durchzusetzen, also nicht vor jedem Bittsteller um neue Euromilliarden in die Knie zu gehen und den deutschen Haushalt zu leeren, sondern in einer schwierigen Situation auch die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gemäß Amtseid zu verteidigen. Das ist nicht immer nur auf dem direkten Wege möglich.

Führer: jetzt blicken wir noch mal in die Gegenwart, nämlich des müden Bundestagswahlkampfes. Im September wird ja gewählt – wer hat denn seinen Machiavelli besser studiert, Merkel oder Steinbrück?

Münkler: Na ja, auf jeden Fall Frau Merkel. Also wenn wir mal davon ausgehen, dass sie das selber getan hat, aber vermutlich haben das eher ihre Berater getan. Was die Sozialdemokraten nicht begriffen haben, ist, dass sie in der Lage sein müssen, eine klar konturierte Alternative, eine Opposition darzustellen, und Frau Merkels Raffinement besteht darin, permanent zu erklären, was sie tue, sei alternativlos, und man möchte fast meinen, die Opposition glaubt das auch und starrt auf sie wie das Kaninchen auf die Schlange.

Führer: Das sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Vor 500 Jahren hat Niccolo Machiavelli den Text "Il Principe – der Fürst" geschrieben, und Herfried Münklers Buch mit dem Titel "Machiavelli" ist als Fischer-Taschenbuch lieferbar. Und ich danke Ihnen sehr für den Besuch im Studio, Herr Münkler!

Münkler: Bitte schön!


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