Was lehrt uns Japans lange Krise?

Von Oliver Marc Hartwich · 24.06.2013
Vor 30 Jahren schaute man in Europa und Nordamerika nach Japan mit einer Mischung aus Bewunderung, Neid und Sorge. Das hatte gute Gründe, und die hießen zum Beispiel Sony, Mitsubishi und Toyota.
Der Aufstieg der Technologiekonzerne wurde gleichermaßen als Bedrohung und als Inspiration wahrgenommen. Bedrohung, weil die Japaner eine vermeintlich effizientere Form des Wirtschaftens erfunden hatten. Und Inspiration, weil man sich im Westen durchaus erhoffte, von Japan lernen zu können.

Die Kaizen-Methode der kontinuierlichen Verbesserung von Betriebsprozessen erfreute sich großer Popularität in Management-Ratgebern. Und die Wirtschaftsförderungspraxis des legendären MITI-Ministeriums hielten nicht wenige westliche Experten für nachahmenswert.

Wenn man heute nach Japan blickt, dann bietet sich nach zwei Jahrzehnten der Dauerkrise ein ganz anderes Bild. Wo früher Sony & Co. sinnbildlich für den japanischen Boom standen, so symbolisiert nun die Firma Unicharm das Kernproblem. Der Hygieneartikel-Konzern gab kürzlich bekannt, dass er im vergangenen Geschäftsjahr erstmals mehr Windeln für Erwachsene als für Babys verkauft hatte.

Japan vergreist und schrumpft. Jede neue Generation ist etwa ein Drittel kleiner als die ihrer Eltern. Nimmt man die sehr hohe Lebenserwartung und die kaum nennenswerte Zuwanderung hinzu, so ergibt sich eine demographische Katastrophe.

Bereits jetzt ist Japan weltweit das Land mit der ältesten Bevölkerung. In den nächsten Jahrzehnten wird sich diese schwierige Situation weiter zuspitzen. Von heute 128 Millionen Einwohnern bleiben im Jahr 2060 noch etwa 87 Millionen. Dramatischer ist die Entwicklung der Japaner im arbeitsfähigen Alter. Ihre Zahl wird sich im selben Zeitraum nahezu halbieren.

Und dies vollzieht sich im Angesicht eines Schuldenbergs, der in der industrialisierten Welt seinesgleichen sucht. Am Bruttoinlandsprodukt gemessen, ist selbst Griechenland deutlich weniger verschuldet als Japan. Mit mehr als dem doppelten der jährlichen Wirtschaftsleistung steht der japanische Staat in der Kreide.

Dies ist das Resultat von mehr als zwei Jahrzehnten fehlgeleiteter Wirtschaftspolitik. Seit 1991, als die japanische Immobilien- und Börsenblase platzte, hatte Tokio vergeblich versucht, die Wirtschaft mit Konjunkturprogrammen wiederzubeleben. Von diesen Versuchen blieben eine teils grotesk überdimensionierte Infrastruktur zurück - und eben Schulden. Es ist völlig illusorisch, dass diese von einer schrumpfenden, alternden Bevölkerung zurückgezahlt werden können.

Die dreifache Demografie-, Wirtschafts- und Schuldenkrise ist für Japan existenziell. Sie anzugehen, würde enorme Anstrengungen und Opfer verlangen. Und politischen Mut. Aber Japan hat sich anders entschieden. Die Wähler haben Shinzo Abe vertraut. Er ist als Regierungschef mit dem Versprechen angetreten, das Land per Notenpresse zu retten.

Das frischgedruckte Geld soll die Wirtschaft ankurbeln und Exporte beflügeln. Doch ist dies nur eine Scheinlösung, die an den eigentlichen Ursachen der Krise rein gar nichts ändert. Strukturelle Wirtschaftsprobleme kann man mit billigem Zentralbankgeld sehr wohl kurzfristig zukleistern. Aber lösen kann man sie damit nicht. Das sehen wir aktuell in Japan wie auch in der Eurozone.

Die Wirtschaftsgeschichte lehrt, dass für eine solche Politik des billigen Geldes langfristig stets ein hoher Preis zu zahlen ist. Zu den Schulden, dem hohem Alter der Japaner und der Dauer-Depression dürfte sich eine Währungskrise hinzugesellen. Das Land der aufgehenden Sonne geht seinem Untergang entgegen.

Oliver Marc Hartwich
Oliver Marc Hartwich© Sarah Kukathas
Dr. Oliver Marc Hartwich, Jahrgang 1975, ist Geschäftsführender Direktor der Denkfabrik The New Zealand Initiative in Wellington. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler und promovierte Jurist arbeitete nach dem Studium in Bochum, Bonn und Sydney zunächst als Referent von Lord Matthew Oakeshott of Seagrove Bay im britischen House of Lords, dann als Chefökonom von "Policy Exchange" in London und als Research Fellow am Centre For Independent Studies in Sydney. Er ist Mitglied im publizistischen Netzwerk "Die Achse des Guten" und schreibt regelmäßig für australische und europäische Zeitungen.