Was Italiens Enfant terrible wirklich will

24.06.2013
Die Gründer der Protestbewegung "5 Sterne" und Nobelpreisträger Dario Fo diskutieren über Italien, die Krise und Bürgerbeteiligung. Sie reden viel von Schwarmintelligenz und der Vernunft großer Gruppen. Aber nicht nur die mal flapsige, mal säbelrasselnde Rhetorik ist irritierend.
Manchmal werden Bücher von der politischen Wirklichkeit überholt. Bei 5 Sterne ist dies der Fall. Der Band, der als Gespräch zwischen den beiden Gründern der Protestbewegung Grillo und Casaleggio und einem prominenten Anhänger, dem Literaturnobelpreisträger Dario Fo, konzipiert ist und einen Spaziergang der drei Freunde von Athen nach Piräus imaginiert, erschien im Original am 11. Februar 2013, also kurz vor den italienischen Parlamentswahlen.

Ende Februar folgte dann der Höhenflug mit einem überragenden Ergebnis: 5 Sterne bekam 25,55 Prozent der Stimmen, neun Millionen Wähler hatte Grillo mit seinem Programm, das er in Grundzügen auch in diesem Band skizziert, offenkundig überzeugt. Die Partei, die sich bewusst als "Bewegung" bezeichnet, für eine direkte Demokratie plädiert und ausdrücklich keinen Leader wünscht, verweigerte sich in der Folge einer Koalition mit Bersanis Linksbündnis PD.

Das erklärte Ziel der "Grillini" ist die Zerschlagung des alten Parteiensystems – was aber jetzt dazu führte, dass die PD unter Letta mit Berlusconi koalieren musste. Die Chance, durch rasche Reformen tatsächlich einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen, wie er in dem Pamphlet so lautstark versprochen wird, wurde verspielt. Die Quittung kam Ende Mai: Bei den Teil-Regionalwahlen erreichte in den 15 größeren Wahlkreisen nicht einer der 5-Sterne-Kandidaten die Stichwahl.

5 Sterne ist dennoch ein nützliches Buch, denn zum ersten Mal kann man auch in deutscher Sprache nachlesen, wofür Grillo steht. Er und Casaleggio plädieren für eine stärkere Einbindung der Bürger in das politische Geschehen über das Internet. Sie fordern eine Einschränkung der Macht der Banken, die Stärkung kommunaler Strukturen, Investitionen in erneuerbare Energien und den Abschied von der Wachstumsideologie. Es ist viel von Schwarmintelligenz und der Vernunft großer Gruppen die Rede.

Während Fo die Themen setzt und den einen oder anderen historischen Vergleich liefert, beklagen Grillo und Casaleggio die Zustände in den Gefängnissen und im Gesundheitswesen und bezichtigen immer wieder die Medien, Unwahrheiten über die 5 Sterne zu verbreiten. Privatisierungen sensibler Ressourcen wie Wasser lehnen sie ab. Etliches erinnert an Occupy, die Indignados und die Piraten, anderes findet sich im Parteiprogramm der Grünen.

Tiefe Verachtung der parlamentarischen Demokratie
Grillo hat sicherlich ein neues Interesse an zivilgesellschaftlichem Engagement geweckt, und er benennt zahlreiche Missstände: Korruption, oligarchische Strukturen, die aufgeblähte Bürokratie, die Benachteiligung kleiner Firmen bei der Kreditvergabe. Aber nicht nur die mal flapsige, mal säbelrasselnde Rhetorik ist irritierend. Aus den locker daherkommenden Reden spricht eine tiefe Verachtung der parlamentarischen Demokratie und demokratischer Institutionen überhaupt.

Was zählt, ist die Gruppe, der Wille der Internet-Gemeinde. Wenn ein Parlamentarier nicht spurt, werde er "an den Pranger gestellt". Hier wird Grillo als Linkspopulist kenntlich. Dass plebiszitäre Elemente auch Gefahren bergen, die Rechte von Minderheiten oft nicht gewährleistet sind und sich in der "organisierten Unordnung", wie sie Grillo vorschwebt, häufig die schlechteste Lösung durchsetzt, spielt hier keine Rolle.

Besprochen von Maike Albath

Beppe Grillo, Gianroberto Casaleggio, Dario Fo: 5 Sterne. Über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas
Aus dem Italienischen von Christine Ammann, Walter Kögler und Antje Peter
Tropen Verlag, Stuttgart 2013
240 Seiten, 16,95 Euro
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