Was ist Kunst heute?

11.04.2005
Eine Spekulationsblase, wie sie einst die Gewinne der New Economy in schwindelnde Höhen trieb, blubbert heute wieder in Sachen Kunst. Schließlich braucht’s in diesem Wirtschaftszweig weder Gewerbeschein noch TÜV-Abnahme.
Rückrufaktionen muss kein Künstler fürchten, selbst Plagiatsvorwürfe sind angesichts eines grassierenden Bilder- und Motivrecyclings erstaunlich selten – und schon als in den 70er Jahren Piero Manzoni eine Blechkonserve mit "Künstlerscheiße" beschriftete, erwartete niemand mehr, dass hier drin ist was draufsteht.

Es gibt in der Kunst keinen Anleger- oder Verbraucherschutz. Eine der Stiftung Warentest vergleichbare Kunstkritik ist selten. Bewertet werden meist die moralischen Konsequenzen des Plots, das "Funktionieren" eines Bildes oder einer Story. Ohne Kenntnis der künstlerischen Technik, ohne Rücksicht auf formale oder ästhetische Kriterien werden Videos und Fotos, Installationen, Gemälde oder Performances über ein und denselben, leider recht zahnlosen Kamm geschoren.
Zugleich sind die Grenzen zwischen Kunst und Kitsch, Kunst und Kommerz fließend geworden.

Vorbei die schöne Zeit, da sich Kunststile und -richtungen so deutlich wie Tapetenmuster unterscheiden ließen. Heute bestimmt der Künstler, der Produzent selbst über seine Position im Markt – einem unübersichtlichen Gelände. Und da verzichtet er auf die Weisheit eines altvorderen Avantgardisten wie Gottfried Benn, der noch in den Fünfzigern warnte: "Kunst hat zur Voraussetzung, dass wenigstens der Hersteller weiß, was er kann und was er nicht kann."

Marcel Duchamp wusste noch sehr genau, was er konnte und wollte, als er ein Urinoir zum Kunstwerk erklärte. Das war ein aufregender Coup – danach kamen die Kopien, nicht zuletzt der Kitsch eines Jeff Koons. Aber diese Nachäffungen zu erkennen, sie von den durchaus ernst gemeinten und kunstgeschichtlich folgenreichen Aktionen etwa Joseph Beuys’ zu scheiden, bedarf es einiger Kenntnisse.

Die Frage "Was ist Kunst" wird also an den Betrachter zurückverwiesen. Für ein wirklich kunstinteressiertes Publikum wäre schon viel gewonnen, wenn der Vorschlag des Philosophen Michel Foucault ernst genommen und für mindestens ein Jahr alle Werke der Kunst anonym - also ohne Rücksicht auf angeblich große Namen - präsentiert würden. Dann könnte und müsste sich Qualität durchsetzen – ohne Rücksicht auf Marktwert und Museumsstrategien, Prominenz oder Presserummel.