Was für ein Theater!

Von Thomas Migge · 30.03.2013
Das Théâtre des Champs-Elysées in Paris war bahnbrechend für die moderne Musik und den Tanz in Frankreich. Im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten es die deutschen Besatzer und nutzten es für Symphoniekonzerte. Heute wird es von einer Bank finanziert.
Das Publikum war entsetzt. Journalisten berichteten in den Tagen nach der Uraufführung von Igor Stravinskys "Le sacre du printemps" von Zuhörern, denen, Zitat, "die Haare zu Berge standen". Doch neben zahllosen Buhs und bösen Worten wurde der Komponist auch mit Applaus bedacht. Unter den Applaudierenden befanden sich Künstler des Kubismus, Pablo Picasso und Georges Braque und viele andere. Sie sahen in der leidenschaftlich-martialischen Musik eine Apotheose des Neuen, das kommen wird, des Auf-den-Kopf-stellen der ihrer Meinung nach selbstgerechten spießbürgerlichen Kulturszene Frankreichs.

Mit der Uraufführung dieses und anderer Werke wurde vor genau 100 Jahren das Théâtre des Champs-Elysées, kurz TCE, in der eleganten Modemeile Avenue Montaigne eröffnet. Dazu die am Theater arbeitende Historikerin Nathalie Sergent:

"Der Journalist und Veranstalter Gabriel Astruc hatte die verrückte Idee zu diesem Theater. Er brachte die Ballets Russes von Diagilev 1909 nach Paris und entschied sich, in Konkurrenz zu dem eher behäbigen Ballett- und Theaterbetrieb des Opernhauses Palais Garnier, ein eigenes Theater zu bauen."

Gabriel Astruc wollte ein Theater, das sich der zeitgenössischen Musik und dem Ballett widmet. Etwas ganz Neues für Paris. Er wandte sich an den Art-deco-Architektenstar Henry van de Velde. Doch der zerstritt sich mit den Brüdern Perret, die das Theaterprojekt finanzieren wollten. Schließlich entwarf Roger Bouvard das Theater, das als eines der schönsten Bauwerke des französischen Jugendstils gilt.

Die erste Saison 1913 sorgte im ganzen Land für Aufsehen, weiß Nathalie Sergent:

"Diese erste Saison begann am 31. März 1913 mit Strawinsky, mit der Ouvertüre von ‚Benvenuto Cellini’ von Berlioz, mit dem ‚Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns’ von Debussy, mit Musik von Dukas, Fauré und Saint-Saëns. Für jene Zeit ganz neue Musik, neu und erregend. Das Haus war sofort in aller Munde. Wie auch Strawinskys Meisterwerk!"

Doch nur eine kulturelle Elite fand diese erste Saison umwerfend. Das große Publikum blieb aus. Ende 1913, am 4. November, musste das Haus dicht machen. Der Beginn des Ersten Weltkriegs gab dem Theater den Rest. Bis auf einige Wohltätigkeitskonzerte zur Finanzierung des Krieges staubte das Haus vor sich hin. Erst 1919 öffnete es wieder seine Pforten, wieder mit Avantgarde: mit Tanz von Anna Pavlovna Pavlova.

Doch so richtig aufwärts ging es mit dem TCE erst 1922. In jenem Jahr schenkte der US-amerikanische Unternehmer Harold Fowler McCormick das Theater seiner Frau, der Sängerin Ganna Walska. Das heißt: Das Theater blieb auch weiterhin in privaten Händen. Bis heute übrigens. Seit den 70er-Jahren ist es im Besitz der Bank Caisse des Dépots.

Nathalie Sergent: "Mit der Wiedereröffnung nach dem Krieg kam die Stunde von Walther Straram. Der Dirigent wurde Theaterdirektor. Unter seiner Ägide wurde das TCE zum Ort ultramoderner Sinfonik. Mit Werken und Uraufführungen von Weill, Bartok, Webern, Schönberg etc. Er finanzierte vor allem neue Werke französischer Komponisten."

Im Krieg beschlagnahmten die deutschen Besatzer das Theater. Sie nutzten es für Symphoniekonzerte, die über Radio France in das besetzte Frankreich ausgestrahlt wurden.

Der amtierende Direktor des TCE Michel Franck bietet eine anregende Mischung: viel Barock und viel Zeitgenössisches. Ein Erfolgsrezept. Jährlich kommen mehr als 300.000 Zuschauer ins Haus und über 1000 Künstler treten auf. Hinter Franck steht die Bank, die Besitzerin des Haus. Sie redet ihm nie ins Handwerk, frohlockt der Theaterdirektor:

"Die Bank gibt uns jedes Jahr 10 Millionen Euro. Dafür bieten wir in der laufenden Saison fünf Opern, 25 Konzerte und dazu noch Ballett. Im Ganzen 200 Veranstaltungen im Kalenderjahr. Wir haben auch die Einnahmen aus dem Kartenverkauf und vermieten den Theatersaal für andere Konzerte. So kommen wir auf 18 Millionen Euro pro Jahr."

Das ist nicht viel Geld für ein Haus, in dem Stars verpflichtet werden – von denen nicht wenige ihr Cachet herunterschrauben, um im TCE aufzutreten. Cecilia Bartoli, René Fleming, Florez, Jarousski, Villazon, Simon Rattle, die Wiener Philharmoniker und und und ...
Heute gehört das Théâtre des Champs-Elysées zusammen mit dem Palais Garnier, mit der Bastilleoper und der Opera Comique - die beide öffentlich finanziert werden und jedes Jahr um staatliche Zuschüsse bangen müsse – zu den wichtigsten Theatern von Paris. Dass das so bleibt, dafür sorgt der Bankensponsor.

Ein sicherer Partner, denn die Caisse des Depots ist nicht einfach nur eine x-beliebige Bank. Sie ist zwar privat, untersteht aber dem Staat und das bedeutet, dass sie auch in finanzpolitischen Krisenzeiten wie diesen nichts zu fürchten hat. Zur großen Freude und Beruhigung von Theaterdirektor Michel Franck.