Michael Maar über "Die Schlange im Wolfspelz"

Was aus Worten gute Literatur macht

13:28 Minuten
Zeichnung von Franz Kafja (1883 1924) mit der Darstellung einer auf seinem Tisch liegenden Figur Kredit.
Für ein Buch braucht es Worte, doch wie wird daraus große Literatur? Die Zeichnung stammt von Franz Kafka, der die Frage mit seinem Werk glänzend beantwortet hat. © Imago / KHARBINE-TAPABOR
Moderation: Joachim Scholl · 01.12.2020
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Seit mehreren Jahrzehnten versucht der Germanist Michael Maar, den Geheimnissen der Literatur auf die Schliche zu kommen. In seinem neuen Buch seziert er Werke anhand ihres Stils und lässt dabei manch berühmten Autor links liegen.
Der Germanist und Kritiker Michael Maar hat sehr gelobte Bücher geschrieben: über Thomas Mann, Vladimir Nabokov, Marcel Proust, aber auch über Harry Potter und über Märchen. Das mit Abstand umfangreichste ist sein neues Werk: "Die Schlange im Wolfspelz: Das Geheimnis großer Literatur". Eine Stilkunde und -kritik auf mehr als 600 Seiten und eine ganz eigene Literatur-"Geschichte".
Dieses Buch habe sich "organisch so ergeben", sagt Michael Maar. Er habe sich schon als Student weniger für Literaturtheorie interessiert als für die Frage des Stils. "Mich hat immer interessiert, wer wie warum gut schreibt. Warum liebe ich Gottfried Keller? Liegt es am einzelnen Satz, an der Komposition?" Jetzt lese er seit 40 Jahren und jemand habe ihm gesagt: "Schreibe doch mal einen Essay über Stil." Der Essay sei dann ausgeufert.
In einem Kapitel widmet sich Maar zum Beispiel der Frage, warum Kafkas Stil so unfassbar gut ist: "Ihn zeichnet aus, dass er einerseits fast asketisch schreibt. Er hat keine Ticks, keine Manierismen. Und er ist trotzdem nach jeder halben Seite sofort zu erkennen."

Begeistert von Hildegard Knef

Von Goethe nimmt sich Maar "Die Wahlverwandtschaften" vor. Eine Szene zu Beginn bewertet er als fragwürdig. "Da erklärt die Charlotte ihrem Ehemann auf einer halben Seite, wann sie sich wie kennengelernt hätten und was mit den Eltern jeweils war - das ist so lächerlich und unglaubwürdig, weil es nur der Information des Lesers dient. Da bin ich dann kurz streng mit ihm."
Doch grundsätzlich ist Goethe für Maar ein Gott: "wenn auch ein fehlbarer Gott in einer Welt der Vielgötterei". Denn auch Wieland oder Lessing seien "auf ihre Art Götter" gewesen. Aber was Goethe in Faust II mache, in der Walpurgisnacht, das sei wohl das Kühnste und Lässigste, was in deutscher Sprache jemals geschrieben worden sei, schwärmt Maar.
Unter den Autorinnen und Autoren, die näher am Heute sind, sei Hildegard Knef eine Entdeckung - mit ihrem Roman "Der geschenkte Gaul". Jemand habe ihm das Buch empfohlen, erzählt Maar, und er habe bereits nach wenigen Seiten sehr begeistert gedacht: "Das ist ja unerhört, wie die schreibt. Das ist ja so farbig und plastisch und voller Berliner Witz, detailreich und vergnüglich." Dafür lege er auch Christa Wolf weg.

Böll und Grass sind nicht dabei

Maars Buch ist aber nicht nur Stilkritik und -analyse, sondern auch ein Handbuch, das sich etwa mit guten und schlechten Metaphern beschäftigt, mit Verben und Substantiven, Rhythmus und gutem Satzbau – und mit Adjektiven.
Hier sei die Herausforderung, keine überflüssigen Beiwörter zu verwenden, so Maar. Ein Grundsatz zum Adjektiv sei: "Es muss immer eine Spannung haben, muss uns etwas Neues erzählen - sonst kann man es auch weglassen."
Weggelassen hat Maar in seinem Buch auch die beiden deutschen Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll und Günter Grass. "Ich bekenne mich dazu, dass ich in diesem Buch keinem Kanon gefolgt bin", so Maar. Stattdessen hätten seine persönlichen Vorlieben und zum Teil auch Abneigungen die Auswahl bestimmt.
(abr)
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