Warum wir den Krieg lieben

Rezensiert von Ralf Bei der Kellen · 01.11.2005
Nur Kriminelle und kranke Menschen greifen freiwillig zur Waffe, so die vorherrschende Meinung, ein "zivilisierter Mensch" würde so etwas nie tun. Und doch hat es trotz großer Fortschritte in der Geistesgeschichte im letzten Jahrhundert die größten Kriege seit Menschen Gedenken gegeben. Wie kann das sein, wo wir scheinbar alle den Krieg scheuen wie der Teufel das Weihwasser? James Hillman widmet sich in seinem Buch der zentralen Frage, ob wir den Krieg vielleicht doch lieben.
Hillman zeigt auf, dass es so etwas wie eine Liebe zum Krieg geben muss, sonst könnten all diese großangelegten Auseinandersetzungen mit Waffengewalt nicht stattfinden. Er betrachtet das Phänomen Krieg als eigenständige Kraft, als eine Art kosmische Gegebenheit, die die Menschheit immer wieder heimsucht und zugleich jedem Menschen innewohnt. So schrecklich er auch ist, ruft er auch immer wieder die nobelsten und besten Eigenschaften des Menschen hervor: Mut, Altruismus und die Liebe zum Nächsten (eine Eigenschaft, die Hillman mit dem deutschen Wort "Kameradschaft" belegt).

Darüber hinaus erleben Opfer wie Täter im Krieg oft ein tiefes Empfinden ihrer eigenen Existenz. Das Denken scheut vor diesem Paradox zurück und verlegt sich stattdessen darauf, jegliches Kriegsgeschehen zu verdammen oder zu beklagen, was einfacher und logischer scheint.

Einen Hauptgrund in der Allgegenwärtigkeit von Krieg sieht Hillman im extremen Monotheismus des christlichen Glaubens. Eine monotheistische Religion wird sich durch den Glauben an den einen Gott immer von anderen Göttern angegriffen fühlen und sich ergo zu verteidigen suchen. Außerdem wird Religion, so Hillman, zur Heuchelei, wenn man nur das Lamm anbetet und den Löwen verdammt. Beides sind Teile der menschlichen Existenz. Die Ergebnisse eines solchen Glaubens sieht Hillman vor allem in Amerika.

Weder Politik, Geschichte oder Soziologie noch Psychologie können zu den Untiefen menschlicher Grausamkeit, des Horrors und der Tragödie des Krieges vordringen und sie wegerklären. Hillman begibt sich auf die Ebene der Mythologie und verweist auf den griechischen Kriegsgott Ares, der immer mit der Göttin der Liebe, Aphrodite, als Paar dargestellt wird.

Wie wird das Thema vom Autor bearbeitet?

Die Zitate, mit denen er seine Beweisführung unterstreicht, reichen von den Vorsokratikern bis zu Emmanuel Lévinas, von Homer bis zu Philip Roth; Hillman durchsetzt seinen Text mit Passagen aus kriegstheoretischen Schriften, der griechischen Mythologie, sowie mit Auszügen aus Briefen und Journalen von am Kriegsgeschehen Beteiligter aus über 1500 Jahren.

Die Gefahr des exzessiven Theoretisierens oder des intellektuell abgehobenen Gedankenspiels wird vom Autor dadurch vermieden, dass er immer wieder persönliche Erlebnisse aus seinen 78 Lebensjahren einfügt, um dem Leser deutlich zu machen, wie sehr die Fragestellung dieses Buchs seine Vita durchzogen und geprägt hat. Dadurch wird der Leser eingeladen, sein eigenes Leben auf ähnliche Begegnungen mit dem Thema zu untersuchen.

Hillman erlaubt es seinen Lesern nicht, das Phänomen Krieg als unvorstellbar zu erklären, da dieses hieße, sich hinter dem Schild der Unschuld zu verstecken.

Bietet Hillman am Ende des Buches einen Lösungsansatz?

Auch Hillman hat kein Allheilmittel gegen den Krieg. Gegen Ende des Buches stellt er fest:

"Es gibt keine praktische Lösung für Krieg, denn Krieg ist für das praktische Denken, das besser geeignet ist, Krieg zu führen, als ihn zu verhindern oder zu beenden, kein Problem."

Die Ursachen für Krieg seien auf einer tieferen Ebene als dem Praktischen zu suchen. Hillman zeigt aber einen möglichen Weg auf, wenn er sagt, dass es nichts nütze, die Anlagen zum Krieg in sich selbst zu ignorieren oder verleugnen. Hillman meint, wir müssten den Krieg imaginieren, ihn durchdringen und uns nicht vor ihm verschließen, um ihn zu überwinden.

Er vermutet, man könne den Krieg hinauszögern, vielleicht sogar verschleppen, indem sich die Menschheit stärker kulturellen Aktivitäten widmete und ihre Kreativität entdeckte. Wie genau das passieren könne, darüber schweigt sich der Autor aus. Aber schließlich ist er als ein Entwerfer großer gesellschaftlicher Bilder nicht der Mann fürs Detail. Hillman will seine Leser dazu bewegen, anders über Krieg nachzudenken.

Muss der Leser Voraussetzungen zur Lektüre mitbringen?

Nein, denn alles wird genau erklärt. Wenn man sich aber für die Gebiete Philosophie, Mythologie oder Literatur interessiert, wird man eine Menge Anknüpfungspunkte finden, die zum Nachdenken anregen und Gelesenes in neuem Licht erscheinen lassen. Dieses Buch ist ähnlich vielen so genannten postmodernen Romanen mit Zitaten und Anspielungen durchwoben und bringt daher alle Voraussetzungen mit, ein intellektuelles Vergnügen auf mehr als nur seiner Sachebene zu sein.

Wie gelungen ist die Übersetzung?

Auch dem in der englischen Sprache versierten Leser kann die deutsche Übersetzung vorbehaltlos empfohlen werden. Die Übersetzerin Karin Petersen schaltet sich gelegentlich mit Hinweisen zu unübersetzbaren Wortspielen ein, gibt Verweise auf die entsprechenden deutschen Quellen und erläutert gelegentlich feststehende Begriffe.

Informationen zum Autor

James Hillman wurde 1926 in Atlanta City geboren. Er studierte bei C.G. Jung in Zürich, wo er 1959 promovierte. Nach C.G. Jungs Tod war er Studiendirektor des C.G. Jung Instituts in Zürich. Mit 58 Jahren kehrte er in die USA zurück und beendete seine Arbeit als klassischer Psychoanalytiker. Seither lebt er in Connecticut und ist vorwiegend als Schriftsteller tätig.

In einem Interview hat Hillman einmal einen Satz gesagt, der wahrscheinlich sein ganzes Leben und Schaffen charakterisiert:

"Alles, was kollektiv angenommen wird, ist mir unangenehm."

Hillman hat über 30 Jahre, bevor er dieses Buch schrieb, begonnen, Bücher über den Krieg zu sammeln.


James Hillman: Die erschreckende Liebe zum Krieg
Kösel Verlag, München 2005,
298 Seiten, 22,95 Euro