Warum unser Fleisch zu billig ist

Anita Idel im Gespräch mit Gabi Wuttke · 20.12.2012
Den Weihnachtsbraten kann sich hierzulande jeder leisten, doch das scheinbar billige Fleisch verursacht anderswo hohe Kosten, mahnt die Tierärztin Anita Idel: "durch belastetes Grundwasser, durch belastete Böden, durch den dramatischen Rückgang der biologischen Vielfalt".
Sie fordert deshalb eine nachhaltigere Landwirtschaft. "Wir können nicht weitermachen wie bisher", meint die Expertin für ökologische Tierhaltung, die am Agrarbericht der Vereinten Nationen beteiligt war.

Gabi Wuttke: Ente, Gans oder Rind? Wenn es draußen kalt ist, brauchen wir etwas Deftiges, an den Weihnachtstagen zudem etwas Besonderes. Aber wie steht es um Roastbeef, Tafelspitz, Saltimbocca und Co? Dürfen wir genießen oder serviert man sich mit dem Rind als großem Methanproduzenten und Vielfresser in Massenhaltung das schlechte Gewissen auf dem eigenen Silbertablett? Anita Idel kann Auskunft geben. Die Tierärztin ist unter anderem bei der Gesellschaft für ökologische Tierhaltung aktiv und hat für die Vereinten Nationen am Agrarbericht mitgearbeitet. Jetzt ist sie am Telefon, einen schönen guten Morgen!

Anita Idel: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Sie schreiben, die Kuh ist kein Klimakiller. Warum?

Idel: Sie geben das Stichwort Genießen. Und genießen muss man, ob Kuh oder Huhn oder Gans oder Ente oder Schwein, natürlich immer. Und das bedeutet: Tierhaltung aus nachhaltiger Produktion, Produkte, Fleischprodukte aus nachhaltiger Produktion. Das heißt, wir müssen immer gucken: Wie ist die Kuh, wie ist das Huhn, wie ist das Schwein aufgewachsen? Und das bedeutet ganz konkret bei der Kuh: Das ist ein Grasfresser und ist entstanden in Ko-Evolution mit den Gräsern. Das heißt, wenn wir sie tatsächlich nachhaltig ernähren und mit Gras und nicht intensiv Tierfutter produzieren, sozusagen in Nahrungskonkurrenz zu uns Menschen, dann sind wir auch auf der richtigen Seite.

Wuttke: Ja, das alles verhindert ja aber doch nicht, dass so eine Kuh eine ziemliche Portion Methan produziert, und das wiederum ist schlecht für die Umwelt. Und von daher hilft da auch nicht die grüne Wiese!

Idel: Also, Methan ist ein klimarelevantes Gas, klimarelevant wie auch das CO2, was wir ausatmen, Sie und ich, die Kuh. Methan, 25 mal so klimarelevant wie CO2, und die intensive Düngung mit synthetischem Stickstoffdünger, von dem wir auf jeden Fall wegkommen müssen, 300 mal so klimarelevant wie CO2. Was bedeutet das: Weg von der intensiven Düngung, weg von der Tierfutterproduktion für Tiere, für die wir nicht Futter produzieren müssen, weil wir sie mit Gras füttern sollten!

Und noch mal: Ja, Methan ist ein klimarelevantes Gas, aber das gab es immer schon, so wie es auch das CO2, was wir ausatmen, immer schon gab. Das Problem ist das Zuviel davon in der Luft. Das heißt, wir leisten uns heute doppelt so viel Rinder und Büffel auf der Welt wie noch vor 50 Jahren.

Warum: Weil wir sozusagen die zweite Hälfte davon nicht mit Gras füttern, sondern eben mit Mais, Soja, Getreide, womit wir die Menschen direkt ernähren sollten. Das Gras ist für die Kuh.

Wuttke: Bleiben wir doch mal beim ersten Aspekt, den Sie gerade genannt haben: Wenn wir also eine glückliche Kuh auf dem Teller haben wollen, haben wir dann überhaupt genügend naturbelassenes Weideland?

Idel: Ja, wir haben eine Menge Weideland auf der Welt, viel mehr als uns eigentlich bewusst ist. 40 Prozent der globalen Landfläche ist tatsächlich grasbewachsen. Dort kommt es aber – und das wissen viele Menschen – sehr häufig zur Überweidung, denken wir nur an die Sahelzone, zu viele Tiere auf der Fläche.

Und umgekehrt kommt es aber auch sehr oft zur Unterweidung. Das heißt, Flächen, die nicht nachhaltig beweidet werden. Und da ist – positiv gesagt – eine Menge drin. Was wir brauchen, ist tatsächlich wieder Forschung zu nachhaltigem Weidemanagement. Und auf diese Weise wären dann gerade auch unsere fruchtbaren Wiesen noch weit fruchtbarer als sie es derzeit sind, weil wir diese Potenziale nicht nutzen.

Wuttke: Das heißt, wir sollten uns in Deutschland da besonders an die eigene Nase fassen, um zu verhindern, dass ein großes Land mit viel Rindern wie Argentinien Weidefläche zur Verfügung stellt, aber dann natürlich auch die Kosten und die Umweltunverträglichkeiten zwischen Buenos Aires und München ja da sind? Denn das Tier muss ja tot irgendwie zu uns kommen.

Idel: Das eine tun, das andere nicht lassen. Gerade in Bezug auf das Grasland gibt es natürlich Regionen, etwa auch in Ungarn in der Puszta, wo man große Flächen hat, auf denen man wunderbar Rinder und aber auch andere ernähren kann, wo aber dort vor Ort natürlich viel weniger Menschen sind, die jetzt das Fleisch dieser Tiere auch konsumieren könnten. Insofern ist generell erst mal nichts gegen Export zu sagen.

Aber die Situation – Stichwort Argentinien –, die Sie ansprechen: Dort sind zwar für eine gewisse Zeit die Tiere dann auf diesen Weideflächen, aber dann werden sie eben auch dort intensiv mit Soja, insbesondere mit Soja gemästet. Und davon müssen wir generell wegkommen, ob bei uns in Europa oder in Argentinien.

Und für Europa gilt: Von dem intensiven Kraftfutter, was da heutzutage eben für die intensive Produktion verfüttert wird, stammen drei Viertel der Proteine aus dem Ausland, also aus dem außereuropäischen Land, werden hierhin importiert. Insofern ist es nicht so, wenn wir denken, wir exportieren doch Fleischprodukte und Milchprodukte und denken, wir haben vielleicht mehr, als wir selber brauchen, aber wir importieren vorher noch viel, viel, viel mehr Futter. Und davon produzieren wir dann Überschüsse und die werden dann exportiert.

Das heißt, egal wo, die nachhaltige Produktion ist das Notwendige. Und deshalb nützt es nichts, generell etwa das Rind gegen das Huhn zu stellen, auch beim Huhn müssen wir gucken, stammt es aus einer nachhaltigen Produktion oder wird es eben wirklich nur intensiv in kürzester Zeit gemästet?

Wuttke: Die nachhaltige Produktion hat ja immer ihren Preis, und es ist schön, wer sich Gutes-Gewissen-Fleisch leisten kann. Aber die allermeisten müssen ja doch zum billigeren Fleisch aus Massentierhaltung greifen, zumindest so lange, bis die Utopie, die Sie eben erläutert haben, Wirklichkeit geworden ist. Das heißt also, Medikamente, Hormone, das alles kommt noch dazu, wenn wir auf den Preis schauen müssen. Und von daher ist das mit dem Genuss ja doch letztlich nicht immer eine Geschmacksfrage.

Idel: Und deshalb wird ja auch nicht nur zu Weihnachten absolut deutlich, dass es genau so nicht sein darf. Dass es Menschen gibt, die sich gesundes Fleisch nicht leisten können. Das heißt, wir können nicht weiter machen wie bisher, das ist ja auch ganz klar das Ergebnis des Weltagrarberichts. Denn dieses Billig, was Sie angesprochen haben, ist ja letztendlich nur scheinbar billig. Die Kosten entstehen an anderer Stelle, für die Umwelt, aber auch für die Menschen, die eben unter extremen Bedingungen dann dieses Fleisch produzieren müssen oder die Soja produzieren müssen, die dann verfüttert wird.

Also, das, was man als Fachwort als Externalisierung der Kosten bezeichnet, also dass Kosten entstehen durch belastetes Grundwasser, durch belastete Böden, durch den dramatischen Rückgang der biologischen Vielfalt und natürlich auch durch die dramatische Situation, dass Menschen ihr Zuhause verlieren, Stichwort Regenwaldabholzung: Dort leben Menschen und die leben mit ihrem Wald. Und das ist keine Weihnachtsgeschichte, sondern ist Realität für zig Tausende von Menschen. Und von daher gesehen ist es in unserer Verantwortung, nicht so weiter zu machen wie bisher!

Wuttke: Sagt die Tierärztin Anita Idel in der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Die Kuh ist kein Klimakiller, auch das hat sie hier gesagt, und das können Sie nachlesen in ihrem gleichnamigen Buch. Frau Idel, besten Dank und schöne Weihnachtsfeiertage, was immer Sie auch dann auf dem Tisch haben!

Idel: Herzlichen Dank, Frau Wuttke!

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