Warum manche Maschinen versagten

Vorgestellt von Florian Felix Weyh · 01.05.2007
Der Historiker Reinhold Bauer erklärt in seinem Buch "Gescheiterte Innovationen", warum manche technologische Erneuerung sich nicht durchsetzte. Spannend und mit vielen Details gespickt schildert er den Kampf technischer Systeme wie einen Wirtschaftskrimi.
Nichtmilitärische Niederlagen sind ein historisch unerschlossenes Gebiet. Warum im Wirtschaftsleben etwas fehlschlägt, erfahren wir selten, denn "Gescheiterte Innovationen" - so das Buch des Historikers Reinhold Bauer - sind schambeladene Tatbestände: Man redet nicht gern darüber, schon gar nicht im erfolgsorientierten Kapitalismus.

Doch mit dem "innovatorischen Scheitern" betreten wir eines jener Gebiete, auf dem sich die Wissenschaft mit dem interessierten Laien trifft. Im Fall der Kohlenstaub- und Dampfturbinenlokomotive kann der Historiker sogar auf eine Auswahl von Liebhaberpublikationen zurückgreifen, die ihm durch ihre Technikverliebtheit einen Hinweis gegeben haben mögen, dass Scheitern mehr ist als die Summe betriebswirtschaftlicher und technischer Desaster. Zum Beispiel ein Resultat von Treue aus tiefer Zuneigung sein können:

"Bestimmte Motive sind über eine einfache Kosten-Nutzen-Abwägung nicht zu verstehen: Für die überzeugten 'Dampflokfreunde' der Reichsbahn bot die Turbinentechnologie einen Ansatzpunkt, um die traditionelle Dampftechnik im beginnenden Wettbewerb mit den neuen Antriebsalternativen zu stärken."

In der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts waren elektrische Lokomotiven und Diesellokomotiven noch Ausnahmeerscheinungen, doch zeichnete sich der Niedergang der Dampftechnologie schon ab. Dem ausklingenden System gedanklich verhaftet und von wechselnden politischen Vorgaben irregeleitet, versuchten sich jedoch Reichsbahnfunktionäre wie die Schwerindustrie an zwei teuren und technisch aussichtslosen Innovationsprojekten, eben jenen Kohlenstaub- und Dampfturbinenlokomotiven. Immense Summen öffentlicher und privater Gelder versanken, nach dem II. Weltkrieg spielten beide Technologien keine Rolle mehr.

Ähnlich war der Fall beim Hydrobergbau gelagert, einer großtechnischen Innovation der 70er-Jahre. Schwer zugängliche Kohleflöze sollten mit Wasserwerfern aus dem Berg gelöst und als eine Art Kohlebrei nach oben gespült werden. Grandiose Idee, katastrophale Ausführung. Neben vielfältigen technischen Problemen - so quoll das taube Gestein rund um die Kohle auf und machte sie noch unzugänglicher - erwies sich gerade die Vision einer angenehmen Arbeitsumgebung für die Bergleute als trügerisch. Unter Tage herrschten ein Saunaklima, da allein die Reibungswärme des unter Hochdruck in die Leitungen gepressten Wassers wie eine Zentralheizung wirkte und die Vorbehalte der Bergleute bestätigte:

"Die stark Standes- und traditionsbewussten Bergleute hatten auf 'Hansa' von Anfang an große Bedenken gegen das neue Gewinnungsverfahren. ( ... ) Kohle durch das Verspritzen von Wasser abbauen zu sollen, ( ... ) entsprach nicht der etablierten Vorstellung von Bergbau und der Arbeit des Bergmanns, verlangte also eine mentale Anpassungsleistung, die von der Belegschaft nur widerwillig und unter dem Druck drohenden Arbeitsplatzverlustes erbracht wurde."

Die Bergleute schulterten das leibliche Risiko - es kam zu Toten -, der Steuerzahler trug die immensen Kosten. Und das, obwohl die ökonomische Sinnlosigkeit des heimischen Steinkohleabbaus zu diesem Zeitpunkt lange bekannt war. Dennoch übernahm der Staat 50 Prozent aller Verluste, indem die damalige SPD-Regierung kurzerhand das ganze Projekt zum Forschungsvorhaben erklärte, obwohl es nur deswegen von der Ruhrkohle-AG gestartet worden war, weil es als bereits ausgereift, mithin dem Forschungsstadium entwachsen galt.

"Die staatlichen Entwicklungsgelder enthoben das Projekt dem Zwang, den zukünftigen Verwendungszusammenhang der neuen Technologie, das heißt ihre tatsächlichen Erfolgsaussichten, ständig im Auge zu behalten; die Entwicklung konnte damit zum Selbstzweck werden."

...schreibt Reinhold Bauer im letzten Fall, der Wärmeaustauschmaschine Stirlingmotor als Autoantriebstechnik. In seiner mehr als 40-jährigen Entwicklungsgeschichte kulminieren alle Faktoren des Scheiterns von Technologieprojekten: Konstruktions- und Materialprobleme, eine in der Praxis nicht erfüllbare Heilserwartung - niedriger Verbrauch und fantastische Abgaswerte -, unstete Vorgaben der Politik und schließlich die Übernahme in nationale US-Forschungsprogramme, als sich der Markt für die neue Technologie längst verschlossen hatte. Denn die Konkurrenz schlief nicht, Benzin- und Dieselmotoren entwickelten sich weiter und unterboten im ständigen Wettlauf die Werte des Stirlingmotors, während sie zugleich keinen radikalen Systemwechsel einforderten. So resümiert Reinhold Bauer zum Schluss:

"Jedes der Projekte scheiterte letztlich daran, dass eine alternative Technologie das Problem, für dessen Lösung die neue Maschine bzw. das neue Verfahren entwickelt worden ist, 'besser' lösen konnte."

Das Wort "besser" setzt der Historiker in Anführungszeichen. Was heute als Lösung gilt, kann morgen schon ein Irrweg sein - vice versa. So mag der "vielstofffähige" Stirlingmotor - seine Energiequelle muss nur Hitze produzieren, nicht unbedingt fossile Energieträger verwenden - im Klimawandel eine Renaissance erleben, denn Scheitern ist ein Näherungsbegriff, kein absoluter Tatbestand.

Sein Gegenstück, das Gelingen, fällt uns leichter zu definieren: Eine Habilitationsschrift mit dem Spannungsfaktor eines Wirtschaftskrimis ist ein gelungenes Buch. Reinhold Bauer vereint die wichtigsten Tugenden des Historikers in seiner Person. Er ist ein akribischer Faktensammler, ein geduldiger Erläuterer technischer Zusammenhänge und ein anschaulicher Erzähler. Mehr kann man von wissenschaftlicher Prosa kaum verlangen - eine Horizonterweiternde Lektüre wartet auf neugierige Leser.


Reinhold Bauer: Gescheiterte Innovationen
Fehlschläge und technologischer Wandel
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2006
Reinhold Bauer: Gescheiterte Innovationen (Coverausschnitt)
Reinhold Bauer: Gescheiterte Innovationen (Coverausschnitt)© Campus Verlag