Warum Computerspieler den Flow suchen

Von Oliver Buschek · 12.07.2007
Ein richtig gutes Computerspiel fesselt, zieht den Menschen vor dem Bildschirm in seinen Bann und lässt ihn nicht mehr aufhören. Doch wie schafft es Entwickler, einem neuen Spiel diese Qualität mitzugeben? Bisher haben sie sich dabei vor allem auf ihr Bauchgefühl verlassen. Doch in Zukunft könnte dabei eine psychologische Theorie eine wichtige Rolle spielen.
"Man vergisst die Zeit, man vergisst alles um sich herum, das hat eigentlich jeder Computerspieler mal erlebt."

Und Eltern oder Lebenspartner, die den Spielenden vom Bildschirm losreißen wollen, bekommt dann oft zu hören: "Nur noch ein Level!"

Ralf Armin Böttcher kennt das gut. Er ist 29 Jahre alt und selbst begeisterter Computerspieler. An der Universität Magdeburg hat er Computervisualistik studiert, und in seiner Diplomarbeit wollte er wissen: Wie findet man das eigentlich heraus - ob ein Programm den Spieler absorbiert, ihn Zeit und Raum vergessen lässt? Böttcher hat sich dabei auf die vierzig Jahre alte psychologische Theorie vom Flow gestützt.

"Diese Theorie ist 1965 von einem Soziologie-Professor, Mihaly Csikszentmihalyi - der Name ist ein bisschen kompliziert - sozusagen entdeckt worden, weil er sich mit Künstlern beschäftigt hat, mit Malern und Bergsteigern, und der Frage nachgegangen ist, warum tun die eigentlich ihre Tätigkeit. Weil: Sie kriegen ja keine Belohnung. Und so ist er auf diesen Flow-Zustand gekommen."

"Die besten Momente ereignen sich gewöhnlich, wenn Körper und Seele eines Menschen bis an die Grenzen angespannt sind, in dem freiwilligen Bemühen, etwa Schwieriges und etwas Wertvolles zu erreichen."

Schreibt der Flow-Entdecker Mihaly Csikszentmihalyi in einem seiner Bücher. Erleben lassen sich diese besten Momente ihm zufolge in vielen Bereichen. Ein Geigenvirtuose kann den Flow-Zustand erreichen, wenn er eine komplizierte Passage beherrscht. Ein Schwimmer bei dem Versuch, den eigenen Rekord zu brechen. Auch in der Sportpsychologie kennt man daher die Flow-Theorie gut. Jürgen Beckmann, Professor am Institut für Sportwissenschaften der Universität München:

"Wenn man's ganz allgemein betrachtet, dann ist Flow eigentlich das Aufgehen in einer Tätigkeit, das Einswerden mit einer Tätigkeit. Also wie wir es im Prinzip auch fernöstlich im Zen-Buddismus haben: Einswerden praktisch mit dem, was man tut."

Wer den Flow fühlen will, muss kein Leistungssportler oder Spitzenmusiker sein. Denn auch im Alltag, wenn eine Tätigkeit so richtig gut von der Hand geht, kann den Menschen ein kleines bisschen Ekstase ereilen - Csikszentmihalyi nennt das den "Mikro-Flow".

Der Flow lauert überall. Am Fließband, beim Wohnungputzen - oder eben beim Computerspielen. Wichtigste Voraussetzung, damit der Flow einsetzt: Man darf es weder zu leicht, noch zu schwer haben, erklärt der Computer-Flow-Erforscher Ralf Böttcher:

"Wenn ich also ein Anfänger-Bergsteiger bin und ich eine leichte Wand habe, dann kann ich da meinen Flow haben. Ein Profi dagegen, der wäre halt gelangweilt, weil der halt gar keine Herausforderung darin sieht, 'ne leichte Wand zu besteigen. Wenn aber ein Profi 'ne sehr schwierige Wand hat, dann kann der auch in diesen Flowzustand gelangen. Also es geht immer um das Gleichgewicht zwischen der Aufgabe und der eigenen Fähigkeit."

Für Computerspiele-Entwickler ist die Flow-Theorie deshalb so spannend, weil sie ihre Kreationen den Fähigkeiten des Spielers anpassen können. Entweder über verschiedene Schwierigkeitsstufen - oder sogar dynamisch: Wenn ein Anfänger vor dem Monitor sitzt, werden die Gegner halt automatisch etwas dümmer. Der Chinese Jenova Chen hat nach diesem Prinzip sogar ein Spiel mit dem Namen "Flow" programmiert, das versucht, die Theorie 1:1 umzusetzen. Die Grafik ist bescheiden, das Prinzip simpel: Mit einer Art Unterwasserwesen gilt es, umher schwimmendes Futter einzufangen. Nach einer Zeit stellt sich eine Trance-Zustand ein - eben der Flow.

Bei komplizierten Spielkonzepten gab es mit dem Flow bisher allerdings ein Problem: Wie misst man, ob ein Spieler gerade mitten im Fluss steckt und an welchen Stellen im Gamedesign es vielleicht noch hakt? Natürlich kann man den Spieler befragen - doch spätestens mit der ersten Frage ist es aus mit dem Flow. Ralf Böttcher hat sich eine andere Methode ausgedacht.
"Dasjenige, was der Computerspieler sieht und hört, wird einfach mitgeschnitten. Das ist ja technisch heutzutage kein Problem. Und direkt im Anschluss, wenn er also fertig ist mit Spielen, muss er sich diesen Spielverlauf noch mal ansehen, und im Minutentakt wird das Video unterbrochen, und er muss dann für die vergangene Minute im Spiel vier Fragen beantworten, und aus diesen vier Fragen leite ich dann ab, was für Gefühlszustände diese Person in dieser Minute hatte."

Wie schwer empfanden Sie die Anforderung?
Wie schätzen Sie Ihre Spiel-Fähigkeiten ein?
Wie war Ihr Erregungszustand?
Wie haben Sie sich beim Spielen gefühlt?


Fragen, die der Spieler also für jede Minute neu beantworten muss. Es könnte noch einfacher gehen, quasi vollautomatisch, denkt sich Ralf Böttcher - auch wenn er es selbst nicht ausprobieren konnte. Man müsste nur Herzfrequenz und Hautwiderstand messen, und gleichzeitig über eine Kamera die Mimik des Spielers aufzeichnen. Es gibt bereits Computersoftware, die aus der Mimik den Gefühlszustand berechnet.

Ralf Böttcher hat seine Diplomarbeit abgeschlossen und die Ergebnisse ins Internet gestellt. Damit Spielentwickler daran weiterarbeiten - und damit sie erkennen, dass auch in solchen Spiel-Ideen der Flow steckt, die bisher keine Chance haben, realisiert zu werden. Denn zurzeit sind Neuerscheinungen meistens nur Variationen altbewährter Konzepte.

"So ein Spiel zu entwickeln kostet 10 Millionen pro Projekt; und da sind halt kreativere Ideen, die vielleicht auch Spaß machen, eher unter den Tisch gefallen. Und mit diesem System könnte man auch kreativeren Ideen eine Chance geben, vielleicht ernst genommen zu werden."