Warschauer Filmfestival

Interesse an jüdischer Kultur keine Modeerscheinung mehr

Der französische Regisseur Claude Lanzmann, aufgenommen bei den 39. César Film Awards 2014
Dem französischen Altmeister und "Shoah"-Regisseur Claude Lanzmann war die diesjährige Ausgabe des Filmfestivals gewidmet. © imago/PanoramiC
Von Martin Sander · 05.12.2014
Das Polin-Museum, Museum der Geschichte polnischer Juden, ist Hauptpartner des jüdischen Filmfestivals in Warschau. Das versucht nicht nur die Erinnerung an die jüdische Vergangenheit wachzuhalten, sondern auch die Gegenwart mitzugestalten.
Seit gut einem Jahrzehnt gibt es in Warschau gleich zwei jüdische Filmfestivals, das eine im Frühling, das andere im Herbst. Beide Festivals erfüllten lange Zeit eher eine Nischenfunktion. Doch seit einem Jahr hat sich das Herbstfestival zu einem stadtbekannten Event entwickelt. Der Grund: Etwa die Hälfte der Filme zeigt man im Polin-Museum der Geschichte der polnischen Juden. Dieses Museum ist ein architektonisch aufregender Bau, errichtet auf dem lange leeren Platz der Ghettohelden, gegenüber dem Denkmal, vor dem 1970 Willy Brandt kniete. Das Polin-Museum will nicht nur 1000 Jahre jüdischer Geschichte in Polen dokumentieren. Es bietet auch einen zentralen Ort für Begegnungen und Debatten – mit einem großen Auditorium.
"Es ist von großer Bedeutung, dass das Polin-Museum zu unserem Hauptpartner geworden ist. Hier haben wir die größte mobile Leinwand in Polen und einen hervorragenden Saal mit fünfhundert Sitzplätzen."
Auch die 500 Plätze reichten bei der Eröffnungsveranstaltung und dem einen oder anderen Spielfilm kaum aus. Ignacy Strączek, der stellvertretende Festivaldirektor:
"Das Interesse an jüdischer Kultur in Polen wird immer größer. Das ist keine Modeerscheinung mehr. Und das ist auch natürlich, denn eine so große Diaspora, wie es sie hier in Polen vor dem Zweiten Weltkrieg gab, verlangt nach einem angemessenen Platz in unserem Land. Unser Festival versucht nicht nur die polnischen Juden und die Juden überhaupt in Erinnerung zu rufen, sondern es will auch zur Gestaltung der Gegenwart beitragen, einer Gegenwart mit Juden, die das Leben der Polen ergänzen – und so Teil unseres Lebens sind."
Dokumentarfilm über antipolnische Stereotype und ihre Überwindung
Auf ein großes Echo stieß die Premiere des australisch-polnischen Dokumentarfilms "Brzostek. Die Geschichte einer Rückkehr" von Simon Target. Es geht um antipolnische Stereotype und um ihre Überwindung. Der britische Sozialanthroposoph Jonathan Webber lehrt sein Fach einige Jahre in Krakau. Von Krakau aus fährt er immer wieder in die kleine Stadt Brzostek am Fuße der Karpaten, wo seine jüdischen Großeltern gelebt haben. Webber gelingt es, gemeinsam mit den Bewohnern von Brzostek den alten zerstörten jüdischen Friedhof wiederherzustellen. An der Weihe nimmt der katholische Priester teil. Zudem stellt sich heraus, dass in Brzostek die katholische Dorfbevölkerung viele Juden im Holocaust geschützt hat. Nach vielen Büchern und Filmen der letzten Jahre, in denen die Kollaboration von Polen mit den deutschen Tätern im Holocaust herausgestellt wurde, war das eine notwendige Ergänzung, fand man im Publikum. Eine Zuschauerin sagte:
"Ich bin gerührt, denn ich habe gefühlt, wie sich Professor Webber den Menschen von Brzostek vom Herzen genähert hat, ohne allgemeine Urteile zu fällen, mit Hochachtung dafür, was die Menschen in Brzostek für die jüdische Kultur getan haben."
Wie wechselvoll das Schicksal von Juden im kommunistischen Osteuropa der Nachkriegszeit war, zeigten etliche Filme. Ältere, allerdings bislang kaum gezeigte Dokumentarfilme beschäftigten sich zum Beispiel mit dem Jüdischen Theater.
Jiddisches Theater nach dem Zweiten Weltkrieg
In einem dieser Filme erzählt der Theatermacher Jakub Rotbaum seine Geschichte. Rotbaum gründete kurz nach dem Zweiten Weltkriegs ein Theater in jiddischer Sprache im polnischen Wrocław, vormals Breslau. Rotbaum war dabei so erfolgreich, dass man ihm bald darauf mit der Leitung der wichtigsten Bühne Wrocławs, des Polnischen Theaters beauftragte. Im Gefolge einer antisemitischen Kampagne der Partei- und Staatsführung 1968 ließ man Rotbaum dann fallen.
Auch "Closer to the Moon", eine neue internationale Koproduktion unter Regie des Rumänen Nae Caranfil, handelt von einer antisemitischen Kampagne. Caranfil erzählt eine weitgehend authentische Geschichte aus Bukarest. Parteifunktionäre aus jüdischen Familien überfallen Ende der 50er-Jahre die Nationalbank. Um ihre Haut zu retten, gehen die zum Tode Verurteilten auf die Forderung der Securitate ein, in einem Propagandafilm des Regimes voller antijüdischer Klischees und Anschuldigungen mitzuwirken. "Closer to the Moon" erhielt in Warschau den Publikumspreis.
Von der Jury ausgezeichnet wurde "Szpilka", der einzige bisher in Kanada produzierte jiddische Spielfilm über eine Liebesgeschichte im besetzten Litauen. Darüber hinaus zeichnete man den Altmeister und "Shoah"-Regisseur Claude Lanzmann aus. Lanzmann war übrigens auch die diesjährige Ausgabe des Festivals gewidmet.
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