Wansleben fordert Steuersenkungen

Martin Wansleben im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 14.01.2010
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben, hat sich für Steuersenkungen ausgesprochen und zugleich eine deutliche Vereinfachung des deutschen Steuersystems gefordert.
Jörg Degenhardt: Versprochen ist versprochen, Bundeskanzlerin Merkel hält trotz heftiger Kritik an den im Koalitionsvertrag vereinbarten Steuersenkungen fest, freilich: Auf ein Volumen der künftigen Erleichterungen wollte sie sich nicht festlegen. Aus der CDU waren in den letzten Wochen auch andere Töne zu hören und nicht zuletzt der Bundesfinanzminister hat immer wieder betont, dass für ihn der Schuldenabbau höchste Priorität genießt. Die FDP dürfte sich jedenfalls freuen über so viel Rückendeckung von ganz oben und die Wirtschaft sowieso. Martin Wansleben ist mein Gesprächspartner, er ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Guten Morgen, Herr Wansleben!

Martin Wansleben: Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Letzte Woche wollte der NRW-Ministerpräsident Rüttgers von der CDU der FDP-Fraktionschefin im Bundestag Homburger noch den Ökonomie-Nobelpreis zusprechen, wenn sie wüsste, wie man etwas finanziert, ohne Einnahmen zu haben. Das war gemünzt auf die Steuersenkungspläne der FDP. Sollte der Preis jetzt eher an Angela Merkel gehen?

Wansleben: Ja, das kommt darauf an, was hinten rauskommt. Also, ich finde richtig, dass Frau Merkel jetzt doch wieder versucht, die Diskussion zu öffnen, denn es gehen ja doch in der letzten Zeit einige Dinge durcheinander. Da wird über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz aus meiner Sicht falsch und zu negativ gesprochen, da gibt es ja doch ein paar Punkte drin, die schon ziemlich gut sind, muss man mal ganz deutlich sagen, und das Zweite ist: Es redet ja auch keiner im Moment über die Einnahmen. Und die Steuerschätzung im Mai wird so als Drohkulisse genutzt, aber in Wahrheit ist es ja so, dass wir im Mai feststellen werden, dass die Konjunktur besser läuft, als wir noch im Herbst letzten Jahres erwartet haben. Und im November, die Zahlen gehen völlig immer durcheinander, im November letzten Jahres hat die Steuerschätzung geschätzt, dass wir bereits 2011 wieder so viel Steuereinnahmen haben werden wie 2009, oder 2012 so viel wie 2008. Also, es ist nicht so, dass überhaupt kein Geld in der öffentlichen Kasse ist, und ich finde es schlicht falsch, zu sagen, wir können uns keine Steuersenkung leisten, noch bevor man mal darüber nachgedacht hat, wo man sparen kann.

Degenhardt: Aber sollte man nicht erst die von Ihnen erwähnte Steuerschätzung im Mai abwarten, bevor man eine derart klare Ansage macht, wie es die Kanzlerin heute in einem Interview getan hat?

Wansleben: Ja, zunächst mal ist es ja so, dass die Regierung oder die Koalition schon im Koalitionsvertrag einiges niedergeschrieben hat. Das Zweite ist: Es ist richtig, was Sie sagen. Man muss jetzt … Die Diskussion über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zeigt, dass man solche Diskussionen jetzt wirklich im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig führen muss. Man sollte jetzt nicht die Dinge in den Raum stellen, die man am Ende nicht leisten wird können. Und wir haben ja bei den Steuern mindestens drei Hebel, die wir bedienen müssen. Das Steuersystem ist viel zu komplex, ich würde mir wünschen, wir hätten wieder eine viel bessere Diskussion zum Thema Bierdeckelsteuer. Ich meine, wer versteht da eigentlich wirklich noch, was da läuft? Wir müssen jetzt eigentlich die Chance nutzen, sie zu vereinfachen. Vereinfachung muss per se nicht immer nur Geld kosten.

Das Zweite ist: Wir haben systematische Fehler im Steuersystem, da können wir doch nicht einfach drüber weggehen, auch nicht Herr Rüttgers kann darüber weggehen. Also, wir haben zum Beispiel nach wie vor Substanzbesteuerungselemente für die Unternehmen, also die zahlen Steuern, ohne dass sie Gewinne machen. Oder wir haben nach wie vor eine sogenannte Funktionsverlagerungsbesteuerung, also: Unternehmen erfinden hier was in Deutschland, wenden es weltweit an, dann setzt ein sehr kompliziertes Besteuerungssystem ein. Gleichzeitig diskutieren wir über die Förderung des Forschungsstandortes Deutschland. Das passt überhaupt nicht zueinander. Oder wir haben auch Themen wie kalte Progression oder den Mittelstandsbauch, dass also bestimmte Gehaltsgruppen viel zu stark belastet werden.

Degenhardt: Lassen Sie mich noch mal dazwischen gehen, Herr Wansleben. Die Skepsis von Herrn Rüttgers ist ja nachzuvollziehen, der hat eine Wahl, die möchte er gewinnen, übrigens auch im Mai dann in Nordrhein-Westfalen. Aber er ist ja nicht der Einzige im Chor der Skeptiker in den Reihen der Union, ich erwähne nur – oder ich habe ihn schon erwähnt – den Bundesfinanzminister, Herrn Schäuble. Sehen Sie denn auch in der Wirtschaft den Zusammenhang, so wie Herr Schäuble, zwischen Entlastungsplänen einerseits und der Finanzierbarkeit auf der andere Seite?

Wansleben: Ja, natürlich, und den müssen wir ernst nehmen. Und ich kann Herrn Schäuble auch verstehen, dass er sagt: Wir machen jetzt hier keine hektische Diskussion. Wir müssen schon als Wählerinnen und Wähler – und das gilt auch für Wirtschaft – anerkennen, dass es schwierig ist in Deutschland oder generell in Demokratien, für schwierige, notwendige Maßnahmen Mehrheiten zu finden. Das ist schwierig. Und der Wahlkampf oder ein Vorwahlkampf, erst recht dann jetzt in einem so wichtigen Bundesland wie Nordrhein-Westfalen, das sind schwierige Zeiten für vernünftige Diskussionen, wo es auch um schwierige Diskussionen geht. Und ich glaube auch, dass manch einer sich von uns verabschieden wird müssen, von liebgewonnenen Subventionen und Gewohnheiten, das gilt auch für die Wirtschaft. Ich glaube, dass wir, wenn wir eine richtige Steuerreform machen wollen, die wir dringend brauchen, also Korrekturen in der Belastung und in der Struktur, schon auch uns irgendwann mal alle an einen Tisch setzten müssen und sagen müssen: Was können wir uns leisten und was gibt wer?

Degenhardt: Aber Herr Wansleben, seien wir doch mal ehrlich: Die Wirkung von Steuersenkungen, wird die nicht ohnehin überschätzt? Wenn das sogar Herr Koch sagt, der hessische Ministerpräsident, der ist ja relativ unverdächtig – wie groß ist denn die Bedeutung von Steuersenkungen wirklich für das Wirtschaftswachstum?

Wansleben: Ja, gut, wir haben zwei Bedeutungen, oder drei, einmal der psychologische Effekt, wir haben zweitens … also, wenn die Leute mehr Geld in der Kasse haben, dann können sie auch mehr Geld ausgeben, und wir müssen …

Degenhardt: Aber auf der anderen Seite steigt doch die Abgabenlast.

Wansleben: Na ja, es kommt darauf an, wer die Abgaben da bezahlt, und das Dritte ist, und das dürfen wir auch nicht vergessen: Die Steuer ist schon eine sensible Schnittstelle zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Staat. Das können wir nicht einfach ignorieren, und hier gibt es Schieflagen. Hier gibt es Schieflagen für die Unternehmen und hier gibt es Schieflagen für viele Bevölkerungsschichten. Und die Diskussion, bei der Diskussion müssen wir schon berücksichtigen, ich überziehe jetzt etwas, aber dass wir ja in eine Situation hineinzukommen drohen, wo eher die Minderheit Steuern zahlt und die Mehrheit keine mehr. Aber die Minderheit können wir nicht auspressen wie eine Zitrone. Also, ich glaube schon, dass die Diskussion ein bisschen zu vordergründig ist. Eines konzediere ich bei der Diskussion: Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass alle Steuersenkungen sich immer selbst finanzieren. Aber eine richtige Steuerpolitik, zu der auch die wichtigen Steuerkorrekturen gehören, ist eine richtige Wachstumspolitik und ohne Wachstum werden wir ohnehin nicht die öffentlichen Haushalte sanieren können.

Degenhardt: Das kommt uns irgendwie bekannt vor. Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages zum Thema Steuerreform und steuerliche Entlastungen. Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen einen guten Tag, Herr Wansleben!

Wansleben: Danke, gleichfalls, Herr Degenhardt!