Wang Ting-Kuo: "Der Kirschbaum meines Feindes"

Taiwan, die Liebe und ein Erdbeben

Buchcover "Der Kirschbaum meines Feindes" von Wang Ting-Kuo vor dem Hintergrund der Küste Taiwans.
Die Küste Taiwans ist der Schauplatz einer Erinnerungsgeschichte des Erzählers, die sich nach und nach entfaltet. © Imago / imagebroker / Arche Verlag
Von Katharina Borchardt · 21.09.2018
"Der Kirschbaum meines Feindes" von Wang Ting-Kuo verspricht mit einer fesselnden Anfangsszene eine emotionale Komplexität, die er nicht einhalten kann. So intensiv die Beschreibungen des Küstenortes, so mager fällt das Innenleben der Figuren aus.
Der alte Luo betritt ein Café an der taiwanischen Küste, erblickt den Cafébesitzer, erschrickt, fährt wieder weg und will sich kurz darauf vom Dach seines Hauses stürzen. Mit dieser so rätselhaften wie spannenden Szene beginnt der Roman "Der Kirschbaum meines Feindes" von Wang Ting-Kuo. Der Szene muss etwas Schicksalhaftes vorausgegangen sein. Und tatsächlich: Der junge Cafébesitzer beginnt, sich zu erinnern, und so entfaltet sich nach und nach, was zuvor geschah.
Im Zentrum seiner Erinnerungen steht seine Ehefrau Aki, die seit einiger Zeit verschwunden ist. Vier Jahre lang war er mit Aki verheiratet, die er immer wieder als unschuldig, unbedarft und arglos beschreibt – Beschreibungen ex negativo, die darauf schließen lassen, dass der Erzähler seine Aki offenbar nicht richtig kannte. Er liebe sie, weil sie "süß und liebenswert" ist, sagt er einmal.

Ungenutztes Potenzial eines starken Anfangs

Dass ein junger, abgesehen von seiner kurzen Ehe unerfahrener Mann noch nicht allzu differenziert über die Liebe sprechen kann, mag man ihm persönlich verzeihen. Auch die überaus biedere Zeichnung seiner Frau als kindlich, süß und rein kann man seinem Alter sowie dem auch unter taiwanischen Frauen verbreiteten kawaii-Ideal zuschreiben und also als realitätsnah verbuchen. Den psychologisch trainierten Leser aber vermögen solche Überlegungen nur wenig zu fesseln.
Dabei setzt der Autor so stark ein: Er schlägt auf mit einer Szene, die unmittelbar wirkt und emotionale Komplexität vermuten lässt. In der Folge beschreibt er zudem sehr glaubhaft die äußerst prekäre Herkunft des jungen Erzählers, der sich danach sehnt, an einem Wohlstand teilzuhaben, wie er in der Hauptstadt Taipeh ausgestellt wird.

Authentische Hintergrundgeschichte

So gelangt er in den Dienst eines windigen Immobilienmaklers, der ihn in allerlei Bauprojekte einbindet. Diese Projekte geraten zwischenzeitlich aufgrund des Jiji-Erdbebens von 1999 und des Ausbruchs von SARS im Jahr 2003 zwar in Gefahr – die Taiwaner wollen nicht mehr in wacklige Hochhäuser in dichtbesiedelten Gebieten investieren –, können durch schlaue Marketingstrategien aber doch gerettet werden. Seine Frau Aki gewinnt derweil bei einer Tombola eine Kamera und gerät dadurch in Kontakt mit dem alten Luo, der Fotokurse anbietet. Was danach zwischen ihr und Luo geschieht – ein Immobilienkredit spielt schließlich auch noch eine Rolle – wird im Roman nur angedeutet. Fakt ist nur, dass Aki abdriftet und verschwindet.

Wenig komplexes Innenleben der Figuren

Wang Ting-Kuo gelingt mit seinem Roman ein schönes Porträt der Insel Taiwan. Besonders intensiv ist ihm der verlassene Küstenort gelungen, an dem sich das Café befindet. Die Schwäche seines Romans aber liegt darin, dass der Autor dem Innenleben seiner eigenen Figuren offenbar nicht gewachsen ist. Deshalb versucht er, in jeglichem Handeln das Verlangen nach Wohlstand zu sehen.
Zum Ende der Geschichte zaubert er zudem ein unsinniges Räucherritual, einen übertriebenen Zwist in der Familie des Immobilienmaklers und einen absurden Raubüberfall auf den Erzähler aus dem Hut. Dadurch verursacht er Turbulenzen, die über eines hinwegtäuschen sollen: dass es dem Roman an emotionaler Tiefe fehlt.

Wang Ting-Kuo: Der Kirschbaum meines Feindes
Aus dem Chinesischen von Johannes Fiederling
Arche-Verlag
284 Seiten, 22 Euro

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