Wandler zwischen den Welten

Von Jörg Oberwittler · 22.07.2010
Wie sehr bestimmt die digitale Welt uns und unseren Alltag? Diese Frage steht im Zentrum der Arbeiten von Aram Bartholl. In seiner Kunst überträgt der Berliner Symbole aus dem Internet in den realen Raum.
"Ich seh' eigentlich immer diesen Spagat zwischen: Was passiert in der digitalen Welt, und was hat das damit zu tun, wenn ich über die Straße laufe, an die Ecke zum Bäcker. Wie haben sich diese Welten verändert und wie steht das in Beziehung dazu?"

"Wo hat sozusagen diese 'digitale Revolution' ihren Effekt? Den hat sie natürlich hauptsächlich bei uns als Menschen, die wir ja auch als 'Interface' ja im Grunde dazwischen stehen. Zwischen dem 'Ich lauf hier durch den Park' und gleichzeitig bin ich vielleicht auch noch auf Facebook und am Chatten oder irgendwas auf meinem Handy."

Das Handy ist quasi eine Erweiterung unseres Körpers geworden, meint Aram Bartholl. Ob im Park, auf der Arbeit oder beim Bäcker: Wir haben es ständig dabei. Doch was, wenn plötzlich Funkstille herrscht? Zum Beispiel, wenn man in der Berliner Ausstellung "Locate Me" steht, bei der der 37-Jährige seine Arbeiten zeigt.

"Die Arbeit 'Silver Cell' ist eine einfache kleine Handytasche mit einem Stoff, der so speziell metallisch versilbert ist und dadurch einen faradayschen Käfig bildet; um das Handy herum."

Ein einfacher Sack schlägt die Technik: Das gefällt Aram Bartholl, ein norddeutscher, jugendlich wirkender Typ, dem man nicht ansieht, dass er zwei kleine Söhne hat. Mit Aktionen im öffentlichen Raum erregt der gebürtige Bremer Aufsehen. In seinem Atelier in einer ehemaligen Fabrik im Berliner Arbeiterbezirk Wedding steht ein großer, weißer Schreibtisch mit zwei Monitoren, daneben ein Blackberry und ganz viel Kabel-Salat.

Hier heckt er seine Ideen aus: In Parks stellt er zum Beispiel rote, riesige Markierungspfeiler auf, die man vom Straßensuchdienst "Google Maps" kennt. Oder er läuft mit seinem Namen in großen Papp-Buchstaben über den Kopf durch die Stadt, wie es in Online-Games üblich ist.

"In Berlin, da kann man ja weiß Gott was auf der Straße machen, aber es interessiert eigentlich keinen, beziehungsweise: 'Ach ja, wird irgend so ein Künstler sein.' Die Arbeit, wo wir unsere eigenen Namen bauen in einem Workshop und die gegenseitig uns über dem Kopf tragen, in sehr groß und aus Pappe geschnitten, und das hab ich in Seoul in Südkorea aufgeführt, in so einem Studentenviertel – da war großes 'Hallo' in der Straße. Da wurden die Namen immer laut verlesen. Und es haben alle angehalten."

Aram Bartholl, der heute mit Frau und Kindern im schicken Berlin-Mitte lebt, wuchs in einer Hippie-Familie auf: die Eltern Künstler, der Großvater Kunsthandwerker im Stile der Bauhaus-Tradition. Auch der Enkel entdeckte früh sein künstlerisches Talent und die Lust am Widerspruch. 1995 ging der leidenschaftliche Computerspieler nach Berlin, studierte an der Universität der Künste Architektur und verdiente zunächst als Web-Designer Geld.

"Im Laufe des Studiums haben wir doch ziemlich viele Aufgaben auf den Kopf gestellt, und eigentlich hab ich nach dem Grundstudium kaum noch Häuser entworfen, sondern alles andere, mögliche gemacht. Also von Filme, über Computerspiele überarbeitet, 3D…. Die unterschiedlichsten Dinge halt."

Der klassische Reißbrett-Architekt sei er nie gewesen, sagt der sympathische Querdenker, der stets überlegt und ausführlich antwortet. Ihn reizten die digitale Welt und ihre Symbole, die er nun mit Papier, Schere und Stift nachbaut. In der internationalen Szene hat sich Aram Bartholl längst einen Namen gemacht, hält Vorträge und leitet Workshops auf Kunstfestivals. Mit seiner Kunst gibt er Menschen wieder etwas Einfachheit in dieser hochkomplexen Welt zurück: Er verdeutlicht die Schattenseiten der Computerspiele und der Internet-Communitys.

So zum Beispiel in seiner Performance "Sociial": Vier Studenten spielen Tennis auf einer Spiele-Konsole, bei der sie den Joystick wie einen Tennis-Schläger durch die Lüfte schlagen müssen.

"Also, die Zuschauer sehen das Spiel gar nicht, sondern sehen eigentlich nur die Akteure in der Handlung. Und genau dazu die Überlagerung von diesen hundert Social-Networks, die da verlesen werden."

Wie ferngesteuert starren die vier Spieler auf eine Mattscheibe, während ein Moderator die anpreisenden Slogans von "Social Communitys" wie Facebook oder Myspace vorliest. Im Grunde spielt jeder für sich allein – ein soziales Miteinander sieht anders aus.

"Also, wo ist sozusagen das Verhältnis zwischen: Was machen die Geräte mit uns? Und wie sehr sind wir dabei noch selbst?"

Im August stellt der Medienkünstler in Dortmund im Kunstmuseum aus, im Herbst wird er auf einem Kunstfestival in Taiwan sein und anschließend in New York einige Zeit an einem Medieninstitut arbeiten. Was würde der 18-Jährige Aram Bartholl zu dem Erfolg des Mittdreißigers Aram Bartholl sagen? Da muss er lange überlegen, die Frage scheint ihm komisch. Dann aber kommt doch die nicht unbescheidene Antwort - im typisch norddeutsch-nüchternen Ton:

"Ach, ich glaube schon, ähm: anerkennend. Wieso, ist doch cool, was der da macht. Könnt ich mir schon vorstellen."

Homepage des Medienkünstlers Aram Bartholl