Wandel auf dem Lande

Mit Kultur dem Schwund begegnen

Zwei Senioren sitzen an der Uferpromenade in Langenargen (Baden-Württemberg) auf einer Parkbank.
Weites Land, wenig Menschen: Der demografische Wandel lässt die Jungen aus ländlichen Regionen flüchten, die Älteren bleiben zurück. Sie leiden unter schrumpfenden Infrastrukturen. © dpa / picture alliance / Felix Kästle
Gerhard Mahnken im Gespräch mit Dieter Kassel · 04.02.2015
In ländlichen Gegenden mit schrumpfender Bevölkerung sterben zuerst die Kultureinrichtungen. Der Stadt- und Regionalplanungsexperte Gerhard Mahnken sagt: Die Gemeinden müssen kooperieren und auch die Bürger motivieren, sich für Kultur zu engagieren.
In vielen ländlichen Regionen, speziell in den ostdeutschen Bundesländern, schrumpft die Bevölkerung. Und da außerdem allerorten die Kassen leer sind, Supermärkte und Arztpraxen schließen, bleibt für die Erhaltung von Kultureinrichtungen erst recht kein Geld übrig.
Gerhard Mahnken, Kommunikationswissenschaftler mit Spezialgebiet Stadt- und Regionalplanung, hat ein paar Theorien dazu entwickelt, wie das Kultursterben in den Zeiten des demografischen Wandels aufzuhalten ist. Der langjährige Mitarbeiter des Leibniz-Instituts für Regional- und Strukturplanung meint: Ohne die Mithilfe der Bürger geht es nicht. Und denen müssen die Oberhäupter der Städte und Kommunen klar machen, dass sich zivilgesellschaftliches Engagement für die Kultur lohnt. Vor allem aber empfiehlt Mahnken den Gemeinden, stärker zu kooperieren und Einrichtungen gemeinsam zu tragen.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Was haben Eisenhüttenstadt, Frankfurt an der Oder, Wittenberge und Wittstock gemeinsam? Nun, die genannten Städte unterzeichnen heute ein Kooperationsabkommen mit dem brandenburgischen Ministerium für Infrastruktur, das dem Zweck dienen soll, sie bei der Anpassung an den demografischen Wandel zu unterstützen. Aber, ja, vielleicht haben Sie ja bei der Frage ja gerade an ganz andere Gemeinsamkeiten gedacht – denn es sind alles Orte, die unter Abwanderung leiden und die als nicht besonders attraktiv gelten. Allerdings, das gilt jetzt auch für viele andere Orte, keineswegs nur in Brandenburg. Wie man solchen Orten mit neuen Kulturangeboten und anderem helfen kann, das ist eines der Themen von Gerhard Mahnken, er ist Coach, er ist Mitarbeiter des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung und arbeitet auch für die Kulturpolitische Gesellschaft, für die er auch gerade an einer Studie zu diesem Thema sitzt. Schönen guten Morgen, Herr Mahnken!
Gerhard Mahnken: Ich grüße Sie, guten Morgen!
Kassel: Guten Morgen. Wenn in einem Ort erst das Kino schließt, dann der Supermarkt und schließlich die letzte Arztpraxis – kann Kultur da helfen?
Mahnken: Auf jeden Fall kann Kultur da helfen. Es sind vor allen Dingen die Akteure, die vor Ort aktiv bleiben, auf die wir achten müssen, gerade in diesen Städten, die Sie eben auch genannt haben, gibt es auch eine ganze Menge an Initiativen auch.
Kassel: Aber über was für kulturelle Angebote reden wir denn überhaupt in diesem Zusammenhang? Traditionelle Dinge wie Theater, Kino und Museen, oder ganz was anderes?
Mahnken: Wir reden vor allen Dingen über zivilgesellschaftliches Engagement zurzeit auch in dieser Studie, die Sie eben erwähnt haben, der Studie des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft. Hier geht es natürlich auch darum, dass wir weiterhin Kinoangebote in diesen Städten und in diesen, wie Sie sagen, schrumpfenden Räumen auch vorhalten müssen.
Es geht aber vor allen Dingen darum, dass wir Menschen aktiv in ihr Engagement bringen müssen, dass sie etwas tun vor Ort, dass sie sich zusammenschließen auch mit anderen Orten, weil es ja auch gerade, wo Sie auch das Beispiel Brandenburg genannt haben, das Thema Stadtumlandbeziehungen ganz wichtig, also diese Beziehung von Menschen und Institutionen in größeren Städten in Brandenburg, wie strahlen die aus in das Land, wie kann man da zu Kooperationsformen kommen, dass man sich eben auch Kino, dass man sich diese kulturelle Infrastruktur teilt.
Beispielsweise geht es ja um Orchester, das macht man in Brandenburg schon länger, das teilt man sich. Das Brandenburgische Staatsorchester ist ja ein Beispiel. Und dieser Trend, den beobachten wir doch sehr stark, dass wir sagen, wir brauchen Beziehungsräume in diesen – ja, Schrumpfungsgebiete nenne ich die immer sehr ungern, weil ich finde, dass auch im demografischen Wandel eine große Chance liegt.
Es braucht neue Leute und Ideen in den Regionen
Kassel: Aber wie nutzt man diese Chance, was tut man da konkret?
Mahnken: Ja, die Kulturpolitik hat ja vom Bund her sozusagen auch ihre Leuchtturmpolitik, und die Länder wiederum sind stärker darauf ausgerichtet, wie sie ihre Städte auch unterstützen können, wie sie die Kommunen unterstützen können. Kultur ist eine Länderangelegenheit, und Kultur ist ja immer noch eine freiwillige Aufgabe der Kommunen.
Und hier muss man, glaube ich, umdenken, hier muss man sehen, dass Kulturpolitik so etwas wie eine Schnittstellenfunktion übernehmen kann, beispielsweise zur Tourismuswirtschaft und auch zur Regionalpolitik und vor allen Dingen auch zur Ansiedlungspolitik. Wir brauchen ja neue Leute in diesen Regionen, wo die Menschen abwandern. Und da ist das Stichwort Willkommenskultur gerade ganz wichtig in der kulturpolitischen Debatte.
Kassel: Nun ist es ja immer so, dass gerade, wenn man auch private Initiativen will, die Kultur sagt, wir gehen da hin, wenn da wieder mehr Leute wohnen, und umgekehrt sagen Menschen, wir ziehen dahin, wenn da wieder mehr Kultur ist. Wie wollen Sie denn dafür sorgen, dass einer mal anfängt?
Mahnken: Es ist ja so, dass viele Künstler, die wir auch in Brandenburg – ich sag noch mal dieses Brandenburg-Beispiel, weil ich ja auch einige Kunden beraten durfte in den letzten Monaten –, Künstler und Kreative ziehen ja oft gerade auch in die sogenannten entleerten oder auch peripherisierten Räume, weil sie hier ihre Ruhe haben, weil sie hier Kontemplation vermuten und weil sie auch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit wünschen und vor allen Dingen auch bezahlbare Räume. Es geht ja auch darum, dass diese Menschen, die wirklich auch Innovationen schaffen durch ihr künstlerisches Tun, dass die auch bezahlbare Räume brauchen. Und das findet man natürlich in diesen schrumpfenden Regionen.
Kassel: Aber was hat denn ein Mensch, der in so einer schrumpfenden Region lebt, sich vielleicht zurückgelassen fühlt, Probleme hat mit Infrastruktur, die immer dünner wird, was hat der davon, wenn dann der Künstler aus der Großstadt kommt, nur, weil er da eine billige Hütte findet?
Mahnken: Ja, Sie sprechen jetzt die Menschen an in den –
Kassel: Darüber versuche ich die ganze Zeit zu sprechen, ja.
Mahnken: Ja, ja. Also, die – da brauchen wir einfach, wie gesagt, Scharnierfunktionen, wir brauchen Räume, wo man sich trifft. Ganz wichtig ist, wir haben festgestellt, dass die Menschen nicht nur älter werden, sondern auch immer einsamer werden in den ländlichen Regionen. Vor allen Dingen gilt das für Leute, die älter sind und nicht mehr mobil sind und das Theater, was sie anfangs ansprachen, eben nicht mehr besuchen können. Was bleibt, ist dann der Fernseher.
Und Kulturpolitik hat die Aufgabe, eben auch Möglichkeitsräume – Begegnungsräume ist ein großes Thema, an dem wir dran sind –, zur Verfügung zu stellen. Das ist Aufgabe von Kulturpolitik, direkte Kommunikation in den Städten und Regionen zu fördern.
Kassel: Aber was sagen Sie den Menschen, die dann sagen, ich hab gar nichts von der Kultur, solange ich trotzdem keinen Arzt hab. Der wohnt in der Kreisstadt, zu der kein Bus mehr fährt. Supermarkt gibt es auch nicht mehr. Was haben die davon, wenn es anstatt dessen dann ein Kulturfestival gibt?
Kultureinrichtungen als Begegnungsräume
Mahnken: Es ist so, dass wir darüber nachdenken, wie man das verbinden kann. Beispielsweise habe ich jetzt den Fall, dass ich ein Figurentheater beraten durfte, und gleichzeitig sind wir da dran, wie wir in einem angrenzenden Dorfladen – der ist also sozusagen gleich nebenan von dem Figurentheater auf dem Lande –, wie wir dann auch dort einen Raum in diesem Dorfladen noch schaffen können, wo es eine Informationsbörse gibt, wo man beispielsweise sehen kann, wo ist der nächste Arzt, wer kann mich auch mitnehmen. Es geht um Fahrgemeinschaften zukünftig, gerade im ländlichen Raum. Und da sind diese kulturellen Highlights auf dem Lande beispielsweise oder auch in einzelnen Stadtteilen, die sind dann eben nicht mehr nur so das Symbol für die hehre Kultur, sondern sie sind Begegnungsräume, wo ich weiß, wenn ich da hingehe, krieg ich Information und krieg ich Hilfe, wie ich mich in diesen demografisch sich wirklich im Umbruch befindenden Räumen, wie ich da irgendwie klarkommen kann auch als Bürgerin und Bürger.
Kassel: In vielen Gebieten, in denen die Bevölkerung schrumpft, gerade auf dem Land, bleiben ja die älteren Menschen zurück. Bedeutet das auch, die Kulturangebote müssen besonders spezialisiert sein auf ein älteres Publikum?
Rote Theaterstühle
Kein Zukunft für Kultur auf dem Lande?© picture-alliance / dpa-ZB / Patrick Pleul
Mahnken: Das ist genau der Punkt, den Sie dort ansprechen, Herr Kassel. Ich habe auch einen anderen Fall, wo wir ein Seniorentheater jetzt gründen werden, und das sind unglaubliche Entwicklungen, die da in dem Dorf passiert sind, in dem ich da tätig bin. Es ist so, dass ältere Menschen es dort geschafft haben, eben auch jüngere mit an Bord zu holen, und eine Bühne gegründet haben mit Unterstützung der Staatlichen Bühnen der Uckermärkischen Bühnen in Schwedt. Das ist also eine schöne Mischung auch aus engagierten Akteuren und Theaterprofis in dem Fall. Und da tut sich ganz viel.
Wir hatten dort ein Kulturhaus, das wirklich ganz lange leer stand. Die Leute sind losgegangen, haben also wirklich auch Handzettel dann in die Briefkästen persönlich eingeworfen, und es war ein unglaublicher Erfolg, es war also über die Hälfte der Dorfbevölkerung, die gekommen ist. Es sind Leute von außerhalb gekommen. Und da haben wir gemerkt, die Leute warten, dass was passiert. Es ist nicht so, dass man gar nichts mehr möchte. Gerade im Osten haben wir ja diese Kulturhaustradition gehabt. Dass man keine Kultur mehr möchte, kulturmüde sei, das ist nicht der Fall, sondern es ist – wenn man etwas anbietet und das wirklich auch die Themen der Menschen vor Ort trifft, das ist der Punkt. Man muss die Themen treffen, dann kommen die Menschen auch wieder von ihrem Fernseher weg.
Kassel: Gerhard Mahnken, Coach und Mitarbeiter der Kulturpolitischen Gesellschaft über die Kultur als Mittel zum Umgang mit dem demografischen Wandel gerade in kleinen Städten und auf dem Land. Herr Mahnken, vielen Dank!
Mahnken: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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