Wallace Thurman: "The Blacker the Berry"

Achterbahn fahren nach dem Krieg in Harlem

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Buchcover "The Blacker the Berry" von Wallava Thurman vor einem grafischen Hintergrund
In "The Blacker the Berry" von Wallace Thurman versucht Emma Lou ihren eigenen Weg zu finden. © Deutschlandradio / Verlag ebersbach & simon
Von Marko Martin · 08.09.2021
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Wallace Thurman erzählt vom Schicksal einer jungen Afroamerikanerin, die wegen ihrer vermeintlich "zu dunklen" Hautfarbe sogar innerhalb der eigenen Familie diskriminiert wird. In Harlem findet sie nach dem Ersten Weltkrieg jedoch zu neuem Selbstbewusstsein.
Seit ihrer Geburt muss sich die Afroamerikanerin Emma Lou die verletzende Bemerkung gefallen lassen, sie sei "zu schwarz". Indessen ist es die eigene Familie, die sie derart malträtiert: "Die Großeltern mütterlicherseits waren beide hellhäutige Nachkommen von weißen Plantagenbesitzern, die diese mit ihren Sklavinnen in außerehelichen Verhältnissen gezeugt hatten."
Dass die Hierarchisierung der Hautfarben ein infamer weißer Herrschaftstrick ist, steht damit außer Frage. Nur: Dieses Wissen um eine Jahrhunderte lang wirkende Vergiftung nutzt der vaterlos aufgewachsenen jungen Frau vorerst gar nichts; ihr Außenseiterstatus scheint von vornherein festzustehen.

Protagonistin kommt nach Harlem

Weniger um ihre Bildung besorgt als darum, die "allzu Schwarze" nicht mehr vor Augen zu haben, ermöglicht ihr die zu bescheidenem Wohlstand gekommene Familie ein Studium in Los Angeles. Freilich erweist sich der Weg aus einer Provinzstadt auf den Campus der kalifornischen Metropole ebenso als Sackgasse: Wer hier studiert, achtet noch penibler (oder verzweifelter) darauf, nur mit den vermeintlich "richtigen" Hautfarben Kontakt zu pflegen. Bis es Emma Lou gelingt, quer durchs Land nach New York zu kommen, genauer: ins vibrierende Harlem selbstbewusst gewordener Afroamerikaner.
Genau dort wurde vor beinahe hundert Jahren Emma Lous Geschichte geschrieben, der nun erstmals auf deutsch übersetzte Roman "The Blacker the Berry". Sein Verfasser Wallace Thurman (1902-1934) war Teil der "Harlem Renaissance" um den Lyriker Langston Hughes und die Anthropologin Zora Neale Hurston und bis zu seinem frühen Tbc-Tod einer der ungewöhnlichsten Autoren innerhalb dieses Zirkels aus Schriftstellern, Intellektuellen, Musikern und Malern. Selbst von dunklerer Hautfarbe als die meisten seiner Kollegen, dazu als Homosexueller ein bekennender Hedonist, verspürte Thurman wenig Lust, der weißen Mehrheitsgesellschaft zu zeigen, wie formidabel afroamerikanische Romanfiguren sein könnten.

Thurman schreibt ohne didaktisch erhobenen Zeigefinger

Innerlich frei wie Jahrzehnte später erst wieder James Baldwin (dem er womöglich die Beschreibungsfreude am Seelenverändernden des Jazz literarisch vererbt hatte), schreibt Thurman ohne didaktisch erhobenen Zeigefinger, jedoch auch fern jener episch ausgreifenden Naivität, die glaubt, auf Reflexives verzichten zu können. Und so schickt er seine Emma Lou auf jene Achterbahn-Erfahrungen, wie sie Harlem bot nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Denn nicht, dass es sich dort etwa um eine quasi rassismus- und ressentimentfreie Zone gehandelt hätte.
Afroamerikaner sehen auf erst kürzlich aus der Karibik Eingewanderte herab, Intellektuelle verspotten Arbeiter, die wiederum diese voller Abneigung betrachten, und auch Frauenverachtung kennt weder soziale noch Hautfarben-Grenzen. Derweil beginnt Emma Louise sich immer selbstbewusster in jener Welt zu bewegen, zunehmend furchtlos auf Wohnungs- und Jobsuche und schließlich landet sie sogar einmal im innersten Zirkel der "Harlem Renaissance".
Wallace Thurman arbeitet hier mit Elementen des Schlüsselromans, und so hören und sehen wir nächtlich Debattierende, die etwas verhandeln, das bis zum heutigen Tag aktuell geblieben ist: Welche Leerstellen hat ein ostentativer Universalismus, welche segregierenden Abgründe beherbergt das Prinzip der Diversität und wie vermischt sich all das, wenn aus Thesen komplexe Alltagserfahrungen werden?

Sprachdynamik und kitschfreie Menschenfreundlichkeit

Denn Nein, "The Blacker the Berry", im Titel auf ein fragwürdiges amerikanisches Sprichwort anspielend, ist kein Thesenroman und folgt auch nicht den erwartbaren Konventionen der "Figurenentwicklung". Am Ende nämlich ist alles andere als klar, wie es mit Emma Lou weitergeht. Allerdings hat sie da bereits die Kraft gefunden, ihrem ausbeuterischen Lover, einem bisexuellen Filou, gehörig Bescheid und Adieu zu sagen - was immerhin ein Anfang sein könnte. 98 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung hat dieses Buch nichts verloren von all seiner Spannung, Sprachdynamik und gänzlich kitschfreien Menschenfreundlichkeit.

Wallace Thurman: "The Blacker the Berry"
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Heddi Feilhauer
ebersbach & simon, Berlin 2021
220 Seiten, 22 Euro

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