Wahnsinnig viele Klänge

Von Camilla Hildebrandt · 14.06.2012
Schlagzeuger stehen selten im Rampenlicht. Sie sind musikalische Begleiter, Teil eines Orchesters, aber nicht Star der Show. Stephan Wildfeuer beweist das Gegenteil. Der 52-jährige Komponist und Musiker ist Gründer der Gruppe "Power Percussion".
2005 wurde Stephan Wildfeuer mit seiner Truppe Wettkönig bei "Wetten, dass...?". Einer der Kollegen erkannte anhand der Kehrgeräusche rhythmisch gefegter Besen fünf aus hundert Beatlestiteln. Gerade zeigt das Quintett sein Können auf einer Deutschlandtournee.

Bunte Plastikrohre in grellen Neonfarben. Acht Hände, acht Schlagzeugstöcke. Die gestimmten Rohre sind auf einem Gestänge horizontal befestigt. Die vier Musiker stehen dahinter, tänzeln beinahe im Takt. Ihre Stöcke sausen in einer Geschwindigkeit und Leichtigkeit auf die Rohre nieder, dass es schwer fällt, mit den Augen zu folgen. Ein Rhythmus geht in den nächsten über, keiner verpatzt auch nur einen winzigen Einsatz in der Show.

Stephan Wildfeuer: "Die Herangehensweise ist bei mir oft die, verschiedene Sachen miteinander zu kombinieren, die erst mal nicht zusammenpassen, und das mit verschiedenen Schlagzeuginstrumenten. D. h. ich nehme eine Orchesterpauke und mische sie mit einem Plastikeimer und erzeuge dadurch einen Rhythmus, der zunächst mal ungewöhnlich ist und spannend."

Vier Alu-Haushaltsleiter. Unter den Schlägen der Musiker werden sie zu Klangobjekten. Treppauf treppab wandern die Schlagstöcke, mal zum Nachbarn, mal auf die Öl-Tonne hinter ihnen. Die Präzision des Zusammenspiels, die Choreographie der Bewegungen ist genauso verblüffend wie die Musik, die entsteht.

Das Publikum, egal ob in Jena, Tübingen oder Berlin, tobt regelmäßig vor Begeisterung, erzählt der Gründer der Truppe, Stephan Wildfeuer:

"Irre war es tatsächlich vor eineinhalb Jahren in Peking, die Chinesen – die an und für sich zurückhaltend sind. Die waren so aus dem Häuschen, das haben wir noch nie erlebt! 2500 Chinesen trampelnd im Nationaltheater."

Das Schlagzeug hat den durchtrainierten Münchner – ca. 1,80 Meter groß, volle, dunkle Haare, warme, braune Augen – schon als Kind gereizt. Warum genau? Keine Ahnung, sagt Wildfeuer und lacht. Vielleicht waren es die wilden Bewegungen mit den Schlagstöcken...

"...vielleicht das Motorische, vielleicht auch das Optische, dass ich ein Schlagzeug, allein wenn es da steht, ein schönes Instrument finde."

Angefangen hat er aber zuerst mit klassischem Klavier. Damals war er sechs. Die Mutter sang im Kirchenchor, der Bruder spielte Gitarre und gründete mit zwölf eine Band. Der kleine Bruder Stephan war natürlich dabei:

"Ich habe am Anfang Klavier gespielt, Keyboards. Das Schlagzeug stand im Keller. Also, ich hatte es nicht weit, es hat mich da hingezogen."

Losgelassen hat es ihn seitdem nie wieder. Nach dem Abitur studiert Wildfeuer an der Münchner Musikhochschule:

"Es gib hunderte, wenn nicht tausende verschiedene Schlagzeuginstrumente. Man lernt natürlich nicht alle diese Sachen. In der Musikhochschule lernt man vor allem den Bereich, den das klassische Schlagzeug abdeckt: Pauken, kleine Trommeln, die ganzen Stabspiele, Xylophon, Marimbaphon und Vibraphon. Darüber hinaus lernt man viele Instrumente kennen. Die muss man aber nicht lernen, man bedient die mehr oder weniger."

Noch während der Ausbildung lernt er den Kabarettisten Werner Schneyder kennen. Zwölf Jahre begleitet er ihn als Schlagzeuger. Danach arbeitet er mit Udo Jürgens, Dieter Hildebrandt und Ute Lemper zusammen. Eine sehr spannende und lehrreiche Zeit. Aber selbst im Rampenlicht stehen, das war für ihn damals nicht wichtig. Daran hat sich auch heute nichts geändert, sagt der zweifache Familienvater:

"Ich mag die Bühne, ich spiele gerne dort, aber das Rampenlicht im Sinne von: dass ich mich deswegen toll fühle – ganz sicher nicht (Lachen). Der Weg dorthin, bis man etwas auf die Bühne gebracht hat, das ist das Spannende. Das Schlagzeug bietet wahnsinnig viele unterschiedliche Klänge. Und die herzuzeigen, ist schon mal eine Lebensaufgabe!"

1997 stand Wildfeuer zum ersten Mal mit "Power Percussion" auf der Bühne – mit rauschendem Erfolg. Heute ist er rund hundert Tage im Jahr mit der Show unterwegs. Wenn er zuhause in München ist, schreibt er Film-Soundtracks, u.a. für die TV-Serien "Der Bulle von Tölz" und "Tatort".

Und wenn dann immer noch Zeit bleibt – seine beiden Kinder sind schon erwachsen – erfindet er ein Rohrophon zum Nachbauen aus allem, was der Haushalt hergibt: leere Büchsen, Becher, kaputte Rohrteile. Oder er gibt Workshops, nicht nur für Kleine.

"Wir haben schon mit Vorständen solche Trommelworkshops gehabt und erstaunlicherweise sind die Männer, die auf den ersten Blick sehr steif und sehr akkurat wirken und sehr diszipliniert ... nach einer Viertelstunde tauen die auf. Und es kam schon vor, dass sie auf ihren Dingern rumgetrommelt haben wie wild und zu Kindern geworden sind. Wenn wir das schaffen, dann haben wir unseren Job sehr gut gemacht."

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