Wahlwerbespots 2017

Nichtssagende Bildsprache

Vier Fernsehapparate im Retro-Style und in verschiedenen Farben stehen nebeneinander.
Wie präsentieren sich die Parteien in ihren Werbesports zur Bundestagswahl? © imago / Westend61
Filmjournalist Andreas Kötzing im Gespräch mit Patrick Wellinski  · 16.09.2017
Die meisten der 42 Parteien, die zur Bundestagswahl antreten, präsentieren sich im Fernsehen und Netz mit Wahlwerbespots. Allerdings nicht besonders einfallsreich, findet der Filmjournalist Andreas Kötzing. Es herrsche ein "großes Misstrauen gegenüber den Bildern".
Patrick Wellinski: Insgesamt treten 42 Parteien in diesem Jahr zur Bundestagswahl an, die meisten davon präsentieren sich auch mit Wahlwerbespots im Fernsehen oder im Netz. 90 Sekunden haben sie da, um ihre Botschaften prägnant auf den Punkt zu bringen – und das tun sie mit diversen filmischen Mitteln. Wir haben den Filmjournalisten Andreas Kötzing gebeten, sich alle Spots anzuschauen, und wagen jetzt eine kleine Filmkritik der Wahlwerbespots. Andreas Kötzing, welche filmischen Besonderheiten sind Ihnen denn bei den Wahlwerbespots aufgefallen?
Andreas Kötzing: Es gibt zwei Besonderheiten, die mir aufgefallen sind: Einerseits dieses ambitionierte Umgehen mit filmischen Mitteln, das kann man ja durchaus bei einigen dieser Spots beobachten. Da gibt es zum Beispiel bei der CDU gleich die Einblendung mit dem Baby im Bauch, was natürlich Assoziationen an Stanley Kubrick und "2001" weckt. Das kann der Wahlwerbespot natürlich in keiner Art und Weise erfüllen, aber diese Assoziation ist erst mal da.

Oder diese schnelle Schnittstil bei Christian Lindner und der FDP, dieses stakkatoartige Aneinanderreihen der Bilder. Man muss irgendwie unfreiwillig an Quentin Tarantino denken, auch wenn im Spot natürlich Blut und Selbstironie völlig fehlen. Aber solche Mittel finden wir in vielen Spots.
Eine 360-Grad-Kamerafahrt bei den Linken zum Beispiel, die sich einmal komplett im Kreis drehen oder was mir auch aufgefallen ist, sehr offensiver Einsatz von Text- und Bildkombinationen, also immer wieder eingeblendete Texttafeln zum Beispiel bei den Grünen oder auch bei der AfD, also auch das ist ein sehr modernes Stilmittel, was benutzt wird, um diese ganzen Spots sehr modern, sehr zeitnah, sehr jugendlich wirken zu lassen.

Aber auf der anderen Seite, wenn man das dann ins Verhältnis setzt, wie sie eigentlich tatsächlich ihre politische Botschaft transportieren, dann sind diese Spots wiederum sehr, sehr antiquiert, finde ich, weil da wird fast gar nichts über die Bildsprache transportiert. Da sind die Bilder dann immer sehr, sehr untergeordnet, was ihre Bedeutung angeht, und das läuft ausschließlich über den Off-Kommentar, also über eine Erzählstimme aus dem Hintergrund. Meistens ist es ja der Parteivorsitzende oder die Parteivorsitzende selber, die dann zwangsläufig auch irgendwann ins Bild tritt und uns noch mal die politische Botschaft präsentiert. Aber kaum einer dieser Spots traut sich, sich irgendwie auf die Bilder zu verlassen, sondern es muss dann tatsächlich immer über das gesprochene Wort transportiert werden, und das ist dann auf eine gewisse Art und Weise natürlich wieder sehr altbacken.

Spots setzen vor allem auf das gesprochene Wort

Wellinski: Also die filmischen Bilder sind den Botschaften der Parteiprogramme deutlich untergeordnet, das stimmt, woran liegt das aber?
Kötzing: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, da ist ein großes Misstrauen gegenüber den Bildern, die man für diese Spots gedreht und verwendet hat. Ich glaube, niemand traut sich so richtig, die politische Botschaft im Rahmen einer Bildsprache zu transportieren, weil man vielleicht Gefahr läuft, missverstanden zu werden. Und um dem vorzubeugen, setzt man dann wiederum sehr viel stärker auf das gesprochene Wort. Was ich persönlich sehr interessant finde, ist, wenn man bei einzelnen Werbespots einfach mal den Ton stumm stellt. Sie werden merken, wenn der Ton weg ist und man bis zu dem Moment wartet, wo tatsächlich ein Parteivorsitzender im Bild zu sehen ist und man sofort natürlich eine Assoziation hat, zu welcher Partei das gehört, dann sind diese Spots eigentlich nichtssagend für sich genommen, was die Bildsprache angeht.
Nehmen Sie die Grünen, da ist irgendwie vom Bodybuilder bis zum flauschigen, lieblichen Küken irgendwie alles mit dabei, aber wofür steht das letzten Endes, diese Bilder? Das ist wie so Lana-Del-Rey-Musikvideo, wo einfach nur versatzstückartig so Bilder aneinandergereiht werden, ohne eine konkrete Aussage damit verbunden wissen zu wollen.

"Die reine Personalisierung"

Wellinski: Einige der Spots setzen ganz gezielt auf den Parteivorsitzenden oder die Parteivorsitzende und, wenn man so will, damit auf einen sehr starken Hauptdarsteller oder Hauptdarstellerin. Im Fall von Christian Lindner gab's dafür schon sehr viel Kritik, aber auch Spott, aber setzen nicht auch andere Parteien letztlich auf ein sehr ähnliches Konzept, also auf eine sehr starke Personalisierung?
Kötzing: Bei Lindner war der Hohn und Spott natürlich vor allem da, weil diese Selbstverliebtheit sich durch den ganzen Spot hindurchzieht, aber Sie haben schon recht, auf eine gewisse Art und Weise tut man ihm so ein bisschen unrecht, weil andere Parteien das natürlich genauso machen. Die haben natürlich einfach nicht so ein charismatisches Gesicht wie der Lindner, den sie nach vorne setzen können.

Aber schauen Sie sich zum Beispiel den Spot der CSU an, der besteht eigentlich auch zu 95 Prozent nur aus Großaufnahmen von Horst Seehofer. Mal ist es seine Hand, mal sind es seine Augen, mal ist es der gesamte Kopf – man ist immer so ein bisschen erschrocken, weil Horst Seehofer da so ein bisschen zerteilt wird in diesem Spot, aber das ist auch die reine Personalisierung – übrigens sehr, sehr stark eher bei den konservativen Parteien.

Die AfD probiert es ja auch, durch diese Personalisierung so Leute wie den Gauland oder die Weigel irgendwie sympathischer erscheinen zu lassen oder sie als charismatische Figuren in den Mittelpunkt zu rücken. Man kann da sehr drüber streiten, ob das überhaupt irgendwie…wie weit das trägt, weil wir kennen die Leute ja alle aus diesem politischen Alltag.

Was sollen dann so diese immer so ein bisschen geheuchelten Bilder in den Spots, diese Volksnähe von Herrn Seehofer, glaubt ihm das eigentlich wirklich jemand? Die Spots versuchen das sehr, sehr stark über diese Personalisierung, aber es ist natürlich letzten Endes auch so ein altes Mittel aus der Politik: Wenn man sich über Inhalte nicht schafft zu definieren, dann macht man es eben über die Person.

Kleine Parteien versuchen, Geschichten zu erzählen

Wellinski: Man könnte ja auch sagen, dass Horst Seehofer eine Art Outlaw ist, ein Cowboy, der so zerteilt wird wie in den Sergio-Leone-Filmen – man sieht die Augen, man sieht die Hände, alles ist da, da kommt jemand und bringt quasi Gerechtigkeit und Law and Order. Das ist vielleicht auch schon so eine Art von Ansätzen einer Bildsprache. Ich hab ja schon erwähnt, 42 Parteien stellen sich zur Wahl, das heißt, es gibt wesentlich mehr Spots als die üblichen, die mittlerweile im Bundestag sitzen. Gibt es denn da auch Spots bei dem kleinen Filmfestival, das Sie sich da veranstaltet haben, die aus diesem starren Schema versuchen auch auszubrechen, die andere Wege versuchen zu finden, in einer Filmsprache vielleicht sogar zu argumentieren?
Kötzing: Ja, das gibt's durchaus. Einige der kleineren Parteien versuchen dieses starre Format aufzubrechen – nicht mit großem Erfolg, aber sie probieren es immerhin. Also zum Beispiel die V-Partei³, von der werden jetzt die wenigsten schon mal gehört haben. Das ist eine neue Partei, steht für Veränderung, Vegetarismus und Veganismus, und die versuchen tatsächlich, in ihrem 90-Sekunden-Spot eine richtige Geschichte zu erzählen. Da vererbt nämlich eine Großmutter in ihrem Testament ihren gesamten Nachlass an ihre Tochter Angela, und die soll sich in Zukunft um ihre Anliegen kümmern und sich vor allem dann natürlich um Vegetarismus und Veganismus kümmern. Das ist alles sehr platt und schauspielerisch sehr laienhaft, aber ich finde diese Idee eben interessant, zu sagen, wir nehmen diese 90 Sekunden und versuchen dort tatsächlich, eine Geschichte zu erzählen und uns nicht an dieses alte Muster des klassischen Wahlwerbespots zu halten.

Und irgendwie hatte ich Idee, man müsste eigentlich mal an die Filmhochschule gehen, man müsste ein Seminar mit den angehenden Filmstudenten machen und zu denen sagen, so, hier, ihr habt jetzt 90 Sekunden, das ist eure Partei, jetzt erzählt ihr bitte eine Geschichte, und die einzige Bedingung ist: ohne Off-Kommentar. Macht mal eine richtig gute visuelle Geschichte in 90 Sekunden als Werbung für eine Partei. Das würde ich unglaublich gerne sehen und nicht diese ganzen durchformatierten Spots, mit denen wir derzeit im Fernsehen und im Internet beschallt werden.
Wellinski: Vielleicht ja eine Idee für die nächste Bundestagswahl, aber zunächst haben wir die hier, und die Wahlwerbespots dieser aktuellen Bundestagswahl hat für uns Andreas Kötzing betrachtet. Vielen Dank!
Kötzing: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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