"Wahlkampf mit palästinensischem Blut"

Salah Abdel Shafi im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 16.11.2012
Salah Abdel Shafi, Leiter der Palästinensischen Diplomatischen Mission in der Bundesrepublik, attackiert die israelische Regierung. Es sei "bedrückend zu sehen, dass Menschen sterben sollen, damit eine bestimmte politische Partei in Israel oder ein politischer Führer die Wahlen gewinnt", sagt Shafi.
Jan-Christoph Kitzler: Mal wieder muss man wohl sagen: Es sieht nach Krieg aus im Nahen Osten. Das israelische Militär bekämpft seit Mittwoch schon Ziele im Gazastreifen, allein in der vergangenen Nacht gab es nach israelischen Angaben rund 130 Luftangriffe. Damit reagieren die Israelis auf Raketenangriffe aus dem Gazastreifen, die gibt es in schöner Regelmäßigkeit. Die Menschen im Süden Israels leben in dauerhafter Angst.

Aber in den letzten Tagen war es besonders extrem: Über 400 Raketen sollen allein seit Mittwoch auf israelisches Gebiet niedergegangen sein. Gestern gab es sogar Luftalarm weit weg, in der Hauptstadt Tel Aviv. Die Logik der gegenseitigen Beschuldigungen, von Angriffen und Gegenangriffen ist seit gefühlten Ewigkeiten dieselbe, da bessert sich nichts. Aber wie kommt man da wieder heraus? Das will ich jetzt mit Salah Abdel Shafi besprechen. Der palästinensische Botschafter in Deutschland sucht die Öffentlichkeit und ist jetzt bei mir zu Gast im Studio. Schönen guten Morgen!

Salah Abdel Shafi: Guten Morgen!

Kitzler: Wie sehen Sie eigentlich diese letzte Eskalation? Ist das das alte, blutige Spiel von Gewalt und Gegengewalt, oder hat das für Sie eine neue Qualität?

Shafi: Nein, das ist eine Spirale der Gewalt, die schon lange andauert, und deswegen, unserer Meinung nach: Man braucht eine politische Lösung. Und das liegt auf der Hand, die internationale Weltgemeinschaft ist sich einig: Es herrscht ein Konsens über die Zwei-Staaten-Lösung und dass Israel ihre Okkupation der palästinensischen Gebiete, die Israel 1967 besetzt hat, beenden soll. Das ist die Lösung. Diese Spirale der Gewalt kann wieder entflammen, mal wieder Ruhe, noch mal Gewalt - darunter leidet die zivile Bevölkerung, und deswegen brauchen wir dringend eine politische Lösung für dieses Problem.

Kitzler: Israel reagiert aber nicht politisch, sondern militärisch. Auf der anderen Seite leben die Menschen vor allem im Süden Israels ja wirklich im Terror, in ständiger Angst vor den Raketenangriffen. Israel hat doch das Recht, seine Bürger zu verteidigen oder zu schützen.

Shafi: Wissen Sie, Israel ist eine Okkupationsmacht. Die Palästinenser leben unter Okkupation. Im Gazastreifen sind 1,8 Millionen auf engstem Raum, die unter einer Blockade leben. Und deswegen sagen wir: Wenn Israel Frieden haben will, wenn Israel Sicherheit haben will - Sicherheit für Israel gibt es nur, wenn die Palästinenser auch in Würde, Freiheit und in einem eigenen Staat leben können.

Kitzler: Aber wenn Sie sagen, die Palästinenser, muss man schon ein bisschen differenzieren, also es gibt die radikale Hamas im Gazastreifen, die auch nicht besonders interessiert ist am Frieden, wenn man die letzten Töne da so hört. Das ist doch auch ein Problem.

Shafi: Nein. Palästinenser sind Palästinenser, ob im Gazastreifen oder in der Westbank. Sie reden über politische Strukturen, aber ich meine über Palästinenser, das palästinensische Volk, das seit über 40 Jahren unter Okkupation lebt. Die überwiegende Mehrheit der Palästinenser wollen die Zwei-Staaten-Lösung, jetzt abgesehen, wer in Gaza herrscht heutzutage. Und deswegen sind wir bereit zu Verhandlungen mit Israel, vorausgesetzt, Israel ist bereit, ihre Okkupation der palästinensischen Gebiete zu beenden.

Kitzler: Die Hamas will den Frieden nicht, so wie es jetzt aussieht, die israelische Regierung will ihn offenbar auch nicht, weil sie halt militärisch reagiert, das muss man wohl auch so sagen, und Frieden bedeutet natürlich auch Zugeständnisse. Wie kommt man da wieder raus?

Shafi: Wissen Sie, die israelische Regierung behauptet, sie wollen die Zwei-Staaten-Lösung, aber was Israel tut und unternimmt – nicht nur übrigens im Gazastreifen, in der Westbank werden Siedlungen gebaut, es wird Landnahme betrieben – wie gesagt, ich glaube, auch auf israelischer Seite: Die Mehrheit der Bevölkerung will die Zwei-Staaten-Lösung. Und deswegen: Diese Lösung kann stattfinden nur, wenn man politische Lösungen sucht und von militärischer Gewalt absieht.

Kitzler: Würden Sie auch so weit gehen und sagen: Die Regierung Netanjahu lässt diesen Konflikt jetzt so eskalieren, auch in Zeiten des Wahlkampfs?

Shafi: Ich glaube, was Netanjahu macht, ist Wahlkampf mit palästinensischem Blut. Das hat sich auch 2008 gegeben, als Israel eine groß angelegte Offensive gegen den Gazastreifen gestartet hat. Das war auch damals eine Wahlkampagne. Und deswegen ist es traurig, bedrückend zu sehen, dass Menschen sterben sollen, damit eine bestimmte politische Partei in Israel oder ein politischer Führer die Wahlen gewinnt.

Kitzler: Welche Rolle spielt eigentlich der Teil der Palästinenser, die Sie vertreten? Der Palästinenserpräsident Abbas hatte sich jetzt auch geäußert in der Sache, hat Israelis und die Hamas aufgefordert, die Gewalt ruhen zu lassen. Zeigt sich daran nicht das ganze Dilemma der Palästinenser – der Präsident in der Westbank kann eigentlich nur zuschauen?

Shafi: Das stimmt. Wir haben keine Kontrolle auf das Geschehen im Gazastreifen. Dennoch sind wir die legitime Regierung, und legitim heißt auch, dass wir international anerkannt als Gesprächspartner. Sie wissen unsere Position: Wir sind gegen jegliche Gewalt, wir sind gegen Angriffe auf Zivilisten, und deswegen hat Präsident Abbas die UNO aufgerufen, die Arabische Liga aufgerufen, alle verantwortlichen Politiker weltweit, alles zu tun, damit diese Spirale der Gewalt beendet wird.

Kitzler: Aber es gibt natürlich diese Doppelstruktur: Es gibt Fatah und Hamas. Es gab Versuche der Einigung, die sind gescheitert. Jetzt in der Zeit der Eskalation wird eigentlich auch den radikalen Kräften der Rücken gestärkt. Oder? Ist das nicht ein Problem für den gemäßigten Teil der Palästinenser?

Shafi: Aber selbstverständlich, das ist ein großes Problem. Je mehr die Lage schlecht wird, desto besseren Boden haben extreme Kräfte. Und deswegen sagen wir: Was wir brauchen, ist eine politische Lösung. Und wenn Israel sich bereit erklärt, sich aus den palästinensischen Gebieten abzuziehen, glaube ich, werden wir an Boden gewinnen, und wie gesagt, weil: Die überwältigende Mehrheit der Palästinenser will die Zwei-Staaten-Lösung, wollen einen palästinensischen Staat neben dem Staat Israel und nicht an der Stelle vom Staat Israel.

Kitzler: Glauben Sie, dass sich nach der Wahl etwas tut, oder haben Sie die Hoffnung aufgegeben?

Shafi: Wir sind nicht optimistisch. Es sieht ja so aus, dass Netanjahu wiedergewählt wird. Er wird gestärkt durch diese Runde der Gewalt herauskommen, und wie gesagt, Netanjahu in den letzten vier Jahren hat gezeigt, dass er keinen Frieden will, dass er die Rechte der Palästinenser nicht anerkennen will, und deswegen sage ich noch mal: Optimistisch sind wir noch nicht.

Kitzler: Ihre Rolle als Botschafter ist natürlich, die Seite der Palästinenser in die Öffentlichkeit zu bringen. Auf der anderen Seite haben Sie gesagt: Es gibt Einigkeit international über die Zwei-Staaten-Lösung, auf der anderen Seite kommt ja niemand den Palästinensern zur Hilfe. Heute kommt immerhin der ägyptische Regierungschef in den Gazastreifen. Ansonsten ist doch relativ Totenstille, was Solidarität mit den Palästinensern angeht.

Shafi: Das ist frustrierend. Wir brauchen nicht Solidarität mit den Palästinensern, wir brauchen Solidarität mit dem Frieden. Wir brauchen, dass die Welt handelt, wonach die Welt sich einig ist, und ich sage: Es herrscht ein Konsens über die Zwei-Staaten-Lösung. Das sagen die Amerikaner, das sagen die Europäer, das sagt Deutschland. Und deswegen: Wir wollen, dass die Welt auch danach handelt und endlich die Zwei-Staaten-Lösung durchsetzt.

Kitzler: Salah Abdel Shafi, Botschafter und Leiter der palästinensischen diplomatischen Mission in der Bundesrepublik Deutschland. Haben Sie vielen Dank, dass Sie hier bei uns waren!

Shafi: Sehr gerne, danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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