Wahljahr

Das große Jammern in der Politik

Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki
Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki sieht für seine eigene Partei auch keinen Grund zum Jammern © dpa / picture-alliance / Carsten Rehder
Wolfgang Kubicki im Gespräch mit Dieter Kassel  · 04.01.2017
Jammern sei in der Politik überflüssig, sagt der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Er habe aus politischen Gründen noch nie gejammert und blicke optimistisch in das Wahljahr 2017.
"Jammern als Waffe einzusetzen, als politisches Instrument einzusetzen, ist nicht nur verfehlt, das mögen die Menschen auch nicht", sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki. Im Deutschlandradio Kultur sagte Kubicki, er verstehe, dass Menschen jammerten, wenn sie Schmerzen hätten oder frustriert seien angesichts eines Misserfolgs, aber Mitleid sei eben auch keine Kategorie in der Politik.
"Wer jammert, zeigt damit gleichzeitig seine Hilflosigkeit, der macht sich klein", sagte Kubicki.
"Wer sich klein macht, wird klein gewählt, das ist schlicht und einfach die Logik in der Politik."

Der größte Jammerlappen

Für ihn sei der SPD-Politiker Ralf Stegner der größte Jammerlappen in der deutschen Politik, sagte Kubicki.
"Mein Busenfreund von den Sozialdemokraten, der sich dauernd darüber beschwert, dass die Welt ungerecht sei und deshalb die Sozialdemokraten aufgerufen seien, dafür Sorge zu tragen, die Ungerechtigkeit zu beseitigen – und sie schaffen im Zweifel immer mehr." Das sei das Problem vieler Sozialdemokraten.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Heute Abend beschäftigen wir uns in einem Feature in unserer Sendung "Zeitfragen" ab 19:30 Uhr mit der Kulturgeschichte des Jammerns, und bei der Beschäftigung mit diesem Thema fiel uns auf, dass auch das Jammern in der Politik nicht gerade selten ist. Hier ein paar Beispiele, die allerdings mit einem Präsidenten beginnen, der seinem Nachfolger vom Jammern abrät:
((Einspieler))
Bei Gregor Gysi klingt irgendwie selbst das Jammern lustig, aber grundsätzlich ist das schon eher unangenehm, wenn jemand öffentlich jammert. Das klingt nicht gerade sympathisch. Wir wollen darüber jetzt mit einem Politiker reden. Da haben wir natürlich gedacht, wir nehmen einen von einer Partei, der eigentlich in den letzten Jahren genug Grund zum Jammern gehabt hätte und dann aber fairerweise einen, der es wiederum nicht so richtig getan hat. Da sind wir zuerst bei der FDP gelandet und dann bei deren stellvertretenden Bundesvorsitzenden Wolfgang Kubicki, den wir fürs Jammern sogar im Urlaub stören dürfen. Schönen guten Morgen, Herr Kubicki!
Wolfgang Kubicki: Einen wunderschönen guten Morgen!
Kassel: Im Urlaub tut man es ja eher nicht, aber wann haben Sie das letzte Mal gejammert?
Kubicki: Als ich eine Knochenhautentzündung unter der linken Ferse hatte. Das tat nämlich höllisch weh, aber aus politischen Gründen habe ich, soweit ich denken kann, noch nie gejammert. Ich halte das auch für überflüssig.
Kassel: Aber nach der letzten Bundestagswahl, da saßen Sie am späten Abend mit Christian Lindner zusammen, es wurde geraucht und getrunken. Da haben Sie beide auch gejammert, oder?
Kubicki: Nein, da haben wir nicht gejammert, sondern die Frustration, die wir hatten, schlicht und ergreifend abgearbeitet und uns in die Hand versprochen, dass wir aus diesem Tal der Tränen die Freien Demokraten wieder gemeinsam herausführen, und nach drei Jahren kann ich sagen, wir sind auf einem guten Weg.

Zeichen von Hilflosigkeit

Kassel: Aber ist nicht Jammern auch so ein Ventil? Ich meine, wenn man ein bisschen Stil hat, macht man es besser nicht öffentlich, aber manchmal so im Gang zu sagen, ich bin es wirklich leid, ich bemüh mich hier, aber die Zeitungen schreiben schlecht, die Leute wählen mich nicht, und die Opposition lacht immer oder auch die Regierung, wenn man jetzt in der Opposition ist. Ist das nicht manchmal ein menschliches Bedürfnis?
Kubicki: Ja, das mag ja sein, aber wer jammert, zeigt damit gleichzeitig seine Hilflosigkeit. Der macht sich klein, und wer sich klein macht, wird klein gewählt. Das ist einfach schlicht und ergreifend die Logik in der Politik, und das deutet auch darauf hin, die Menschen, die jammern, die zeigen auch ihr eigenes Unvermögen, denn immer sind andere schuld, nicht man selbst, und das zeigt doch eigentlich, dass man bemitleidet werden will. Nur ist Mitleid in der Politik keine Kategorie.
Kassel: Aber nun hat es ja mal Zeiten gegeben, die sind noch nicht so lange vorbei, da hätte die FDP auch sinngemäß auch zum Wähler gesagt, bitte wählt uns, damit wir über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, damit wir wenigstens noch so ein bisschen Oppositionspartei sein können. Das klang für mich manchmal leider doch ein bisschen nach Gejammer.
Kubicki: Ja, das klang auch nach Gejammer, das war auch sehr erbärmlich. Deshalb ist die FDP auch zu Recht, wie ich finde, bestraft worden. Wer sich selbst klein macht, wird klein gewählt. Wer in der Regierung mit 14,6 Prozent im Rücken sagt, die CDU lässt uns keine Luft, die Mutti gönnt uns nichts, der dokumentiert ja damit, dass die Menschen ihm auch künftig nicht vertrauen sollen, denn wer seine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit dokumentiert, darf auch nicht darauf vertrauen, dass Menschen ihn erneut mit einem Mandat ausstatten.

Das politische Kalkül von Trump

Kassel: Aber wir haben ja am Anfang der Collage vorhin auch gehört, wie Obama Donald Trump vor dem Jammern gewarnt hat, aber Trump hat sich ins Amt gejammert, weil er auch immer gesagt hat, die anderen sind … alle lügen, die sind alle böse, ich kann sie auch nicht mehr ertragen, wählt doch mich. So ein taktisches Gejammer scheint mir im Moment doch auch funktionieren zu können.
Kubicki: Ja, aber Trump war ja kein Gejammer, sondern der Hinweis darauf, dass die anderen schlicht und ergreifend die Menschen hinter die Fichte führen. Er hat im Prinzip nichts anderes getan, als zu dokumentieren, ich bin anders, ich will anders sein, ich werde die im Kongress und im Kapitol aus ihren Ämtern jagen, weil sie versäumt haben, an die Menschen im Land zu denken, und aus diesem Trick sind eine Menge Wählerinnen und Wähler hereingefallen. Ich hoffe, dass das in Deutschland nicht passiert, aber es war politisches Kalkül, nicht zu jammern, sondern zu sagen, ich mache es anders als die, die euch belügen und betrügen.
Kassel: Wenn Sie jetzt dabei bleiben, und ich nehme es Ihnen einfach ab, in der Politik ist Jammern immer schlecht und funktioniert nicht, aber wie ist es allgemein im Leben? Sie sind ja auch Mensch und Anwalt. Sie haben schon gesagt, als Mensch haben Sie mal über Schmerzen gejammert, und als Anwalt: kann das vor Gericht mal Sinn machen, wenn man dann jammert in einem Strafprozess zum Beispiel?
Kubicki: Das wird den Angeklagten nichts nützen, wenn Sie jammern und um Gnade flehen. Ein Gericht muss eine Tat aburteilen, muss sich natürlich von der Persönlichkeit eines Menschen ein Bild machen, aber Richter und Staatsanwälte sind nicht dumm, wie die meisten Menschen nicht dumm sind, sie merken, ob etwas tatsächlich wirkliche Reue ist, das ist ja strafmildernd, oder ob es nur geschauspielert ist, um einen vermeintlich guten Eindruck zu hinterlassen. Wenn Menschen Schmerzen haben, dann verstehe ich das, dass sie jammern. Wenn ihnen etwas misslingt, dann verstehe ich, dass sie frustriert darüber sind, aber Jammern als Waffe einzusetzen, als politisches Instrument einzusetzen, ist nicht nur verfehlt, das mögen die Menschen auch nicht. Meine Mandanten jammern über die Gesetze, die nun mal so gemacht sind wie sie sind.
Ich bin Verteidiger in Wirtschaftsstrafsachen und Steuerstrafsachen, und ich versuche immer zu erklären, solange Gesetze vorhanden sind, gelten sie für jedermann, und dann muss man nicht darüber jammern, sondern sich daran halten oder versuchen, sie zu ändern, aber über eine Niederlage kann ich frustriert sein, über ein verlorenes Fußballspiel meiner besten Mannschaft kann ich frustriert sein, aber es würde mich nie dazu bringen, zu jammern, dass die Bundesliga schlecht ist.

Nicht der richtige Maßstab

Kassel: Es gibt auch Politiker, die über Gesetze jammern, und damit kämen wir kurz noch mal zurück in die Politik. Gibt es da noch Kategorien, ich meine, es kommt doch drauf an: Man kann ja über die eigenen Parteikollegen jammern, man kann über den politischen Gegner jammern, man kann über die Presse jammern, man kann aber auch – und das habe ich auch schon gehört – über die eigenen Wähler jammern. Letzteres ist wahrscheinlich das Schlimmste, oder?
Kubicki: Letzteres ist das Schlimmste überhaupt. Nach der Devise von Bertolt Brecht: Das Volk suchen wir uns aus, wenn es nicht so wählt wie wir, dann suchen wir dann ein neues Volk. Das kann nicht der richtige Maßstab sein. Was mich am meisten stört in der Politik sind Abgeordnete, deren sie würden ja gerne anders, aber sie trauen sich nicht aus Angst, das Mandat zu verlieren oder in der Partei nicht mehr gelitten zu sein.
Wenn wir soweit sind, dass Menschen ihre Meinung nicht mehr sagen aus lauter Furcht, sie können politisch nicht reüssieren, dann ist mit unserer Demokratie etwas nicht in Ordnung. Also wer auf solche Menschen trifft, die sagen, ich würde gerne im Bundestag mich anders verhalten, aber ich werde ja von meiner Partei, von meiner Fraktion dazu gezwungen, gegen meinen Willen etwas zu organisieren, der gehört da nicht hin, der muss weggewählt werden.

Busenfreund Ralf Stegner

Kassel: Ich kündige gleich an, wenn Sie mir jetzt bei dieser versprochenermaßen auch letzten oder vorletzten Frage ausbüxen, fange ich an zu jammern: Wer ist denn für Sie der größte Jammerlappen in der deutschen Politik?
Kubicki: Der größte Jammerlappen der deutschen Politik, da gibt es eine Reihe von Menschen, aber für mich ist der größte Jammerlappen der deutschen Politik Ralf Stegner, mein Busenfreund von den Sozialdemokraten, weil er sich dauernd darüber beschwert, dass die Welt ungerecht sei, und deshalb die Sozialdemokraten ausgerufen sein, dafür Sorge zu tragen, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, und sie schaffen im Zweifel immer mehr. Das ist das Problem vieler Sozialdemokraten.
Kassel: Tun wir wenigstens den Gefallen und lassen das nicht als die letzten Worte von Wolfgang Kubicki an diesem Morgen stehen: Was glauben Sie denn persönlich, werden Sie im September nach der Bundestagswahl Grund zum Jammern haben?
Kubicki: Ich bin sicher, dass wir Grund haben werden zur Freude, sowohl Christian Lindner als auch ich, als auch die Freien Demokraten insgesamt, als auch die Menschen in Deutschland, weil wir erleben werden, dass es dann wieder eine vernünftige politische Kraft im Bundestag gibt, die nicht zuerst ans Verteilen denkt, sondern ans Erwirtschaften.
Kassel: Irgendjemand wird dann jammern, aber das ist immer so. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki war das über das Jammern in der Politik und warum er das nicht will und selber auch nicht hören kann. Herr Kubicki, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen noch einen schönen Resturlaub!
Kubicki: Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag noch und bedanke mich auch für diese wunderbare Diskussion über das Jammern im Allgemeinen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

In der Sendung "Zeitfragen" läuft am Mittwoch, 4. Januar ab 19.30 Uhr das Feature: "Tränen in der Stimme. Eine kleine Kulturgeschichte des Jammerns" von Andi Hörmann.

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