Wahljahr

2016 als politische Wetterscheide

Die Jahreszahl 2016 liegt in bunten Magnetbuchstaben auf einem Tisch.
Ein spannendes Wahljahr wird 2016 in jedem Fall, meint Peter Lange. © Deutschlandradio / Ellen Wilke
Von Peter Lange · 02.01.2016
Im Wahljahr 2016 steht für die Parteien viel auf dem Spiel, kommentiert Peter Lange: Die gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen zwölf Monate werden zu politischer Münze. Das verspricht Spannung und könnte weitreichende Folgen haben.
Eigentlich hat Angela Merkel 2015 großes Glück gehabt. Wie auch die Menschen, die es aus Syrien und dem Irak bis nach Deutschland geschafft haben. Denn hätte die Kanzlerin in den letzten sechs Monaten ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik durchsetzen und durchhalten können, wenn es Landtagswahlen gegeben hätte? Oder wenn im vergangenen Herbst eine wichtige Wahl verloren gegangen wäre?
2016 ist ein Wahljahr, es ist sogar schon ein Vorwahljahr, denn 2017 wird der Bundestag neu gewählt. Fünf Landtagswahlen stehen an: Gerade mal zehn Wochen sind es bis zu den ersten drei – am 13. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Im September folgen dann Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.
Es steht viel auf dem Spiel
Für die Parteien steht dabei viel auf dem Spiel: Will die SPD 2017 im Bund überhaupt eine Chance haben, muss sie auch künftig in Mainz, Schwerin und Berlin den Regierungschef stellen. Die CDU braucht nach einer Serie von Niederlagen in den Ländern unbedingt Erfolgserlebnisse. Und vor allem braucht sie politische Partner für Koalitionen, sonst hilft die eigene Stärke gar nichts. Ob die FDP wieder ein solcher Partner werden kann, ist möglich, aber nicht ausgemacht. Und die Grünen schauen vor allem nach Baden-Württemberg: Kann ein grüner Ministerpräsident nach vier Jahren die Macht verteidigen, oder war das alles nur eine Episode?
Die Wahlen im März werden auch eine Abstimmung über die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Dafür schlagen die Folgen ihrer Entscheidung viel zu stark auf Länder und Kommunen durch, als dass sich die Bundespolitik diesmal ausblenden lässt. Ob aber dieser geänderte Kurs von den Wählern honoriert wird, oder ob die Kanzlerin dafür die Quittung bekommt, das ist im Moment völlig offen.
Mehrfach geteilte Gesellschaft
Die deutsche Gesellschaft zu Jahresbeginn ist mehrfach geteilt: Da gibt es das Segment der aktiven Bürgergesellschaft, die sich für Flüchtlinge engagiert, deren Kräfte aber erschöpft sein könnten, wenn der Zustrom nicht bald nachlässt. Es gibt die skeptischen, aber unbeteiligten Beobachter; es gibt den Teil, der sich ernsthaft Sorgen macht, was in der neuen Gemengelage aus ihm wird – in der Konkurrenz um Arbeitsplätze und Wohnungen. Und schließlich gibt es den Teil, der aktiv gegen diese neue Zuwanderung Front macht, mit Worten und mit Taten – von AfD über Pegida bis hinein ins rechtsextreme Spektrum. Und niemand weiß heute, wie sich diese Stimmungslage in Stimmen niederschlagen wird.
Es wird sich aber in diesem neuen Jahr zeigen, ob sich auf Dauer oder zumindest für längere Zeit in den Parlamenten eine deutschnationale oder gar nationalistische politische Kraft etablieren wird. Demokratietheoretisch betrachtet, aus Gründen der Transparenz und der Repräsentanz, wäre das vielleicht sogar zu wünschen. Denn es ist nicht gut, wenn sich ein beachtlicher Teil der Bevölkerung im politischen System nicht mehr repräsentiert fühlt.
Für die praktische Politik, für das Zustandekommen gestaltungsfähiger politischer Mehrheiten hätte es aber tiefgreifende Folgen: Zwei-Parteien-Koalitionen würden fast unmöglich – von Großen Koalitionen zwischen CDU und SPD abgesehen, die so groß ja auch gar nicht mehr sind. Je mehr Parteien aber ein Bündnis schmieden, desto kleiner wird der gemeinsame Nenner. Die Differenz zwischen dem, was eigentlich getan werden müsste und dem, was solche Regierungen zustande bringen, wird immer größer – zum Unmut der Wähler.
Ein mögliches NPD-Verbot und seine Folgen
Und gesetzt den Fall, das Bundesverfassungsgericht ringt sich in diesem Jahr zu einem Verbot der NPD durch. Dann ist es eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich, dass ein Teil von deren Wählern bei den neuen Deutschnationalen Zuflucht sucht. Dass es bei denen nach Rechtsaußen so etwas wie eine Brandmauer geben wird, damit sollte man nach den Beobachtungen von 2015 wohl eher nicht rechnen. Und die Frage, ob man diese politische Kraft ignorieren oder attackieren sollte, wird uns vermutlich das ganze Jahr beschäftigen.
Ein spannendes Wahljahr wird 2016 in jedem Fall, vielleicht ein Reifetest für den liberalen demokratischen Rechtsstaat, vielleicht aber auch das Jahr einer Wetterscheide über die Flüchtlingspolitik der Regierung, bei der offenbar wird, wohin die Grundströmungen der Gesellschaft tatsächlich fließen.
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