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Ruhrfestspiele Recklinghausen
Angela "Mutti" Merkel auf der Couch

Die Schriftstellerin Juli Zeh und die Dramatikerin Charlotte Roos haben für die Ruhrfestspiele Recklinghausen Angela Merkel und Co zur Therapie geschickt. "Mutti" ist allerdings keine Analyse politischer Machtverhältnisse, sondern ein überdrehter Spaß mit kurzer Halbwertszeit.

Von Karin Fischer | 23.05.2014
    Was für ein Plot! Sigmar Gabriel zwingt Angela Merkel zu einer Therapiesitzung mit der Drohung, sonst die Koalition platzen zu lassen, und das ausgerechnet am Abend der Fußball-WM 2014, an dem Deutschland im Finale gegen Spanien steht?! Zusammen mit Ursula von der Leyen und Horst Seehofer? Sehr unwahrscheinlich, das. "Mutti" ist jedenfalls zuerst da:
    "Sie sitzen in einem riesigen Scheißhaufen und sagen, es gehe Ihnen gut?!" – "Dieser 'Scheißhaufen' ist meine Arbeit." – "Die zum größten Teil aus Krisen besteht." – "Ich mag Krisen." – "Ich auch. Ich verdiene ja schließlich mein Geld damit." – "Na, sehen Sie."
    Klar: Es ist total einfach, mit dem Phänotyp Angela Merkel – Betonfrisur, herunter gezogene Mundwinkel, die Hände als Raute vor dem Bauch – billige Lacher einzuheimsen. Auch alle anderen sind Karikaturen ihrer selbst: Horst grummelt und will immer zurück nach Bayern, Sigmar doziert wie aus dem Lehrbuch der Sozialdemokratie oder geht cholerisch an die Decke. Ulla ist schrecklich dienstbeflissen und inhaltslos, dafür lächelt sie die ganze Zeit. Angela guckt und schweigt. Die schauspielerische Mimikry, die halbe Miete fürs Stück, ist hier gut gelungen und lässt auch darüber hinweg sehen, dass der inszenierende Weimarer Intendant Hasko Weber seinem "Hellmann", dem Familienaufsteller, einen teppichähnlichen Umhang, unpassende Omms und schamanenartige Gesten verpasst hat.
    "Seien Sie ruhig ein bisschen intuitiv." – "Intuitiv ist gut. Das ist doch ein Fremdwort für sie." – "Sie ist ganz anders als ich, sie ist halt kein Bauchmensch." – "Ich kriege keine Luft hier drinnen. Ist die Klimaanlage kaputt?" – "Das ist gut, dass Sie keine Luft kriegen. Sie werden durchlässig." – "Offen für Gefühle." – "Das ist sie ja gerade nicht!" – "Ich bin gern in Angelas Nähe. Vielleicht kann ich ja mit Papa tauschen?" – "Und Ulla übrigens erst recht nicht. Die ist auch total gefühlskalt." – "Ja, bis hierhin mal, Horst." – "Wie normale Frauen verhalten die sich doch alle beide nicht." – "Angela findet es bestimmt besser, wenn ich hinter ihr stehe."
    Die vier sind sich noch kaum darüber einig, ob man es mit einer Systemaufstellung, einer Gruppentherapie, einer Behandlung oder einem Consulting zu tun hat, da wird der Ernst der Lage klar: Griechenland ist zahlungsunfähig, der Euro befindet sich ab Montag im freien Fall, Sigmar fordert eine historische Europarede von Angela, "eine mit Pathos und Kurskorrektur". Eine kleine Rhetorik-Schulung für Angela und ein Tänzchen als Lockerungsübung folgen, in Brasilien steht es mittlerweile 1:1. Dann überschlagen sich die Ereignisse: In Katar sind auf einer WM-Baustelle 70 Arbeiter erschossen worden; und jetzt wird auch noch Jogi Löw, der Bundestrainer, telefonisch zugeschaltet, weil sich vor dem Stadion in Rio wegen Katar die protestierenden Massen versammeln.
    Chaos droht, Leib und Leben der anwesenden Regierungsspitzen scheinen in Gefahr. Aber während Sigmar die Ereignisse von Katar einen "Massenmord" nennt, der den Fußball als "Speerspitze des globalen Raubtierkapitalismus entlarvt", - erklärt Angela wie immer: "Ruhe bewahren" - und dem Bundestrainer allen Ernstes, wie er jetzt fußballstrategisch vorzugehen habe! Das einzige Mal übrigens, dass diese Frau aus sich heraus geht.
    Die Schriftstellerin, politische Denkerin und schreibende Aktivistin Juli Zeh und die Dramatikerin Charlotte Roos haben kein Stück über die Mechanismen politischer Macht geliefert, auch keine Beziehungs-Analyse unter Koalitionspartnern. Um die Vorführung politischer Rhetorik zum Zweck des Machterhalts geht es ebenfalls nur am Rande; und so etwas wie "Regierungs-Praxis" bleibt hier vollständig im Dunkeln.
    "Mutti" ist ein kleiner, überdrehter Spaß mit sehr begrenzter Halbwertszeit, schnell verbranntes Schauspieler-Futter, aber auch ein flott zu inszenierendes Amüsierstück über nicht gerade amüsante Realitäten.
    Und doch: Am Ende hat Angela wieder einmal haushoch gewonnen. Sie hat stoisch geschwiegen, bis sich die anderen aneinander abgearbeitet haben, und dann hat sie, eiskalt und mit sicherem Instinkt für das politisch Vernünftige, den Koalitionspartner ins Messer der eigenen sozialdemokratischen Verblendung laufen lassen. Vermutlich ist die Quintessenz des Stückes von den Autorinnen nicht gewollt, sie lautet: So wird "Mutti" ewig Kanzlerin bleiben.