Vulgär und obszön

Rezensiert von Hartwig Tegeler · 07.10.2005
Es klingt schon ein wenig abwegig: Eine Pornoproduktionsfirma als letzter Hort für ein entspanntes und unangepasstes Leben! Das ist die Ausgangssituation oder von "The Cocka Hola Company", ein Hörspiel, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Matias Faldbakken. Mit besessener Sorgfalt, großer Bedürftigkeit und Leidenschaft verstoßen die Figuren darin gegen den guten Geschmack, um sich der herrschenden Kultur zu entziehen. Ein aussichtsloses Unterfangen.
Ansage: " The Cocka Hola Company. Eine skandinavische Misanthropie. "

Misanthropie - Menschenhass, wie auch die Menschenscheu. Und beides - zu hassen und scheu zu sein - sollte man Simpel, Casco und Tiptop zugestehen. Und der Ton macht hier zuvörderst die Musik.

" [Telefon.] Ja, Simpel hier! - Casco! - Wir beide gehen nämlich morgen ins Kino, du und ich! Ich habe einen Film entdeckt, in dem es um mich geht. Es geht um unsere ganze Bande. Morgen halb acht! Im Filmpalast. - In Ordnung, ich hab Zeit.
[Hämisch.] Ich hab Zeit, ich hab Zeit! Das musst du auch, verdammt, Casco! Das hier ist was, was man nicht verpasst. "

Simpel, der hier so vor sich her 'dröhnt', ist der ideologische Kopf einer Pornoproduktionsfirma namens 'Desirerevolution', die alles, aber auch alles tut, um frei und wild zu leben und das vor allem gegen die Normalität.

"Jede, aber auch jede Idee langweilt mich nach dreißig Sekunden, einschließlich dieser hier: black power gleich white powder, deprimierend zu viel zu schlafen, deprimierend zu wenig zu schlafen. "

Die Bewohner des Kosmos, den Matias Faldbakken in "The Cocka Hola Company" entwirft, könnte man als unangepasste schlechte Menschen beschreiben, die gegen jeden bürgerlichen Schein von Mitgefühl oder Scham löcken. Als Maßnahmen zum Erreichen dieser Lebensmaxime zählen beispielsweise: ein Isolationsprojekt, das zur Aufgabe hat, sich selber jahrelang in der eigenen Wohnung gefangen zu halten. Und immer wieder mal ein Pornodreh, um das Ganze zu finanzieren. Mit anderen Worten: "The Cocka Hola Company" ist eine ruppige, nicht hübsche, aber treffende Geschichte. Sie linear nacherzählen zu wollen, muss unbedingt scheitern.

Um eben den Ton des Textes in den des Hörspiels zu transportieren, ist es fast logisch und - offen gestanden - brillant, dass Oliver Frank und Markus Hartmann, die "The Cocka Hola Company" produziert haben, Simpel, Casco und die anderen nicht mit bekannten Schauspielern besetzt haben, sondern mit herausragenden Vertretern der Pop- und Subkultur, als da wären: Rocko Schamoni, Musiker aus Hamburg, Sven Schumacher, MTV-Moderator, Hussein Tams, Ex-DJ aus Hamburg, als Erzähler, Jens Rachut, Musiker aus Hamburg und viele andere mehr. "The Cocka Hola Company" ist als Hörspiel zu dem geworden, was es notwendigerweise werden musste: eine äußerst schräge Inszenierung. Anders gesagt: Schauspielen kann hier keiner, aber genau dieses Unvermögen erledigen alle Beteiligten mit einer Authentizität und Intensität, die faszinierend ist und Sogcharakter hat. Und dann ist da ja eben noch Julia Hummer, Schauspielerin und Musikerin aus Berlin, die hier mit ihrem unverkennbaren Minimalismus das Kind Lonyl spielt, für das die Bezeichnung störrisch bis autistisch pure Verharmlosung wäre:

" Lonyl. - Ja. - Weißt du, dass du die Tür aufdrücken musst. - Ja. - Dann drück. - Ja. - Jetzt mach ich noch mal auf. Bist du bereit? - Ja. - [Türdrücker.] - Bist du jetzt drin? - Nein. - Hast du es versucht? - Nein. - Willst du reinkommen? - Nein. - Dann warte draußen, bis Papa kommt. - Nein. - Dann musst du die Tür drücken. - Ja. - Das ist jetzt das allerletzte Mal, ja. - Ja. [Türdrücker.] - Lonyl! - Ja! - Bist du jetzt drin? - Nee. - Dann bis später, tschüß. - [Türsprechanlage.] Hallo. - Jetzt drück ich. - Dann tu's, das ist das allerletzte Mal. - Jetzt drücke ich. [Türdrücker.]. "

Das Ende von "The Cocka Hola Company" ist nicht minder notwendig düster, und hier endlich erweist sich dass Vulgäre und Obszöne, das uns vielleicht im Roman wie im Hörspiel quälte, (wie nicht anders zu erwarten) als Schutz vor der Welt. Der Misanthrop als verzweifelter, hassender und scheuer Romantiker! Dass aber kein Gedanke immun ist gegen seine Kommunikation, das muss Simpel erfahren, als er in einer Talkshow auftritt.

"Ich habe die Faszinationsdiktatur der Kulturschaffenden satt gehabt. Und da unser Land vor lauter Kulturarbeitern bald überläuft, dachte ich, es ist höchste Zeit, etwas gegen die Faszinationsgeneration zu unternehmen. - [Moderator.] Es geht sowieso alles zum Teufel, willst du sagen? - Jetzt hör mal gut zu: Ja! Wir sind schon zum Teufel gegangen. [Beifall mit Gejohle.] - Das Publikum liebt dich. Was, wenn die Leute dir zustimmen. - Zustimmung ist der Satan! - Der Satan? - Wenn sie dich gut finden, hast du verloren, dann bist du tot! [Beifall.] "

Tja, tot! Wie gesagt, kein Gedanke ist immun gegen seine Verwertung. Nicht wahr, Simpel - nicht wahr, Matias Faldbakken, den jetzt alle den 'bedeutendsten skandinavischen Gegenwartsautoren' nennen. Trotz oder gerade wegen dieser ruppigen und auch obszönen Geschichte, die er geschrieben hat.

Matias Faldbakken: The Cocka Hola Company
Hörspiel mit Rocko Schamoni, Julia Hummer, Jens Rachut, Sven Schuhmacher u. v. a.
Erschienen bei Random House Audio
2 CD - 19,50 Euro - ca. 120 Minuten