Vorzüge und Gefahren des digitalen Zeitalters

Rezensiert von Katja Wilke · 22.05.2011
Angst sollte man nicht haben vor den digitalen Umwälzungen der Medienbranche, argumentieren Tim und Kai-Hinrich Renner. Constanze Kurz und Frank Rieger warnen dagegen vor der elektrischen Datensammelwut von Unternehmen und Staat.
Bei Lesern, die vor 1990 jung waren, werden die Brüder Kai-Hinrich und Tim Renner nostalgische Gefühle wecken: Sie erzählen von klobigen Kassettenrekordern, umfangreichen Schallplattensammlungen, von ihren ersten Mixtapes und ihren liebevoll zusammenkopierten Fanmagazinen. Mit ihrem autobiografischen Blick zurück wollen sie in ihrem Buch "Digital ist besser" zeigen, dass es in der Medienbranche ständig Umwälzungen gegeben hat – und dass es keinen Grund gibt, Angst davor zu haben.

Veränderungen sind nicht aufzuhalten, Veränderungen sind gut - so die Kernthese. Die Industrie soll sich nach Meinung der Autoren den gewandelten Anforderungen stellen und neue Geschäftsmodelle entwickeln – statt die althergebrachten mit Klauen und Zähnen zu verteidigen.

Tim Renner war früher Chef einer großen Plattenfirma und Kai-Hinrich Renner ist Medienjournalist. Sie appellieren an Staat und Medienunternehmen, endlich zu akzeptieren, dass sich das Nutzungsverhalten und das Rechtsempfinden breiter Bevölkerungsschichten in der digitalen Welt grundlegend geändert haben.

Denn wer es gewohnt ist, die Zeitung gratis im Internet zu lesen, könne kaum noch dazu bewegt werden, plötzlich eine Gebühr dafür zu zahlen. Und wer einmal gemerkt hat, wie bequem sich ein Buch, ein Kinofilm oder Musik von illegalen Plattformen oder in Tauschbörsen herunterladen lässt, ärgere sich über das oftmals wenig nutzerfreundliche Kaufangebot der Industrie. Die Renners sind zuversichtlich, dass sich neue Freiheiten durchsetzen werden und scheuen große Vergleiche nicht:

"Egal ob Papst, Mullah, chinesischer Zensor oder Ursula von der Leyen: Wer versucht, Freiheiten, die er lebt, oder Wünsche, die bereits erfüllt wurden, wieder zu unterdrücken, wird scheitern. Kurzfristig helfen vielleicht Drohungen und Gewaltanwendung. Auf Dauer ist aber so nicht der Dampf im Kessel zu halten. Was im Rahmen der Digitalisierung brodelt, ist nämlich kein revolutionärer Prozess, sondern eine Evolution – wenn auch mit zum Teil revolutionären Folgen, zum Beispiel für die Medien."

Tim und Kai-Hinrich Renner liefern der Branche ein paar Vorschläge, wie sie endlich eingefahrene Strukturen verlassen und trotzdem überleben kann. So plädieren sie zum Beispiel für eine Medien-Flatrate, mit der alle Downloads pauschal abgegolten sein sollen. Dieses Modell ist unter Experten bereits seit Jahren im Gespräch, doch bei vielen Akteuren in Wirtschaft und Politik stößt es auf erbitterten Widerstand - und hat zumindest derzeit wenig Chancen, sich durchzusetzen.

Praxisnäher erscheint dagegen der Rat der Autoren, die Industrie solle beim Marketing neue Wege gehen. Statt weiter an Charts zu glauben - die in Zeiten nachlassender Verkäufe zunehmend an Aussagekraft verlieren - sollten die Unternehmen zum Beispiel auf soziale Netzwerke setzen, in denen sich Gleichgesinnte austauschen können.

So wie in Ping, dem Netzwerk der iTunes-Nutzer, in dem Musik kommentiert wird von Leuten, die sich der Nutzer selbst ausgewählt hat. Ein Problem mit dem Datenschutz gebe es dabei nicht, resümieren die Renners, solange gewisse Vorsichtsmaßnahmen eingehalten würden.

Bei Constanze Kurz und Frank Rieger dürfte dies Beklemmungen auslösen. Ihnen wäre es zu viel guter Glaube an den vermeintlichen Fortschritt. Die beiden Sprecher des Chaos Computer Clubs warnen in ihrem Buch "Die Datenfresser" vor der Sammelwut von Unternehmen und Staat.

Sie erklären, wie sehr persönliche Daten zu einer wertvollen Ware geworden sind und welche Gefahren ihre Preisgabe mit sich bringt. Einen Fokus legen sie dabei auf das soziale Netzwerk Facebook, das Datenschutz notorisch ignoriere, und auch auf die Suchmaschine Google, die von Millionen Menschen noch immer arglos genutzt werde. Ein Fehler, wie die Autoren glauben:

"Auf der Suche nach bestimmten Informationen oder Unterhaltung stellen die Menschen nur vordergründig Anfragen, in Wahrheit geben sie Antworten, deren Klarheit keine Umfrage je ermitteln könnte. Was viele Menschen für eine Suchmaschine halten, ist in Wirklichkeit nur ein Werkzeug Googles, um durch Anfragen an Antworten sowie im nächsten Schritt an Einnahmen über das Anzeigengeschäft und Display-Werbung zu kommen."

Kurz und Rieger legen - zum Teil mittels fiktiver Geschichten – typische Mechanismen im Netz offen. Sie ermahnen ihre Leser, Daten nur sparsam herauszugeben und, wo immer möglich, ihre digitalen Spuren durch verschiedene Profile und Decknamen zu verschleiern. Denn im schlechtesten Fall geraten sensible Daten in falsche Hände.

Die vor kurzem bekannt gewordene Datenpanne bei Sony scheint den Autoren recht zu geben: Dem Unterhaltungselektronikhersteller wurden die Datensätze von über 75 Millionen Kunden gestohlen – inklusive der Kontoverbindungen.

Die Autoren hegen aber nicht nur ein tiefes Misstrauen gegen Unternehmen. Auch der Staat stellt nach ihrer Meinung eine Bedrohung dar – insbesondere, weil er im Namen der Sicherheit immer stärker auf das Sammeln von biometrischen Daten setzt. Für Kurz und Rieger ist das lediglich ein Placebo:

"Ob nun Terrorismus, organisierte Kriminalität oder Internetkriminelle, die Maßnahmen, die uns als notwendig zur Verbesserung der Sicherheitslage verkauft werden, zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie wenig Aussicht auf Erfolg gegen motivierte und informierte Terroristen und Kriminelle haben. Je nach aktueller Lage eignen sie sich jedoch als Grund, immer weitergehende Eingriffe in das Leben des Einzelnen zum angeblichen Wohl der Gemeinschaft vorzunehmen. Mit geringer Anstrengung lässt sich aber praktisch jede dieser Überwachungsmaßnahmen umgehen."

Leider erscheinen manche der im Buch geschilderten Gefahren arg übertrieben. So stellen Kurz und Rieger ausführlich den Ortungsdienst "Foursquare" dar, der aber bislang in Deutschland noch kein Massenphänomen geworden ist und wohl auch künftig keine "Killer-Applikation", wie es neuerdings so schön heißt, werden wird. Zudem würde man sich für einige Behauptungen mehr Belege wünschen, weil sie sonst eher nach Verschwörungstheorie klingen.

Für Menschen, die sich bisher wenig mit dem Internet oder Fragen zur Datensicherheit beschäftigt haben, dürfte das Buch allerdings einen aufrüttelnden Einblick geben, wo Gefahren lauern und wie sie sich vermeiden lassen.

Das Buch der Renner-Brüder liefert dagegen etwas weniger Information, dafür aber mehr Meinung. Ihre Argumentation ist dabei schlüssig, und Gleichgesinnte werden das Buch zufrieden und voller Zustimmung nach dem Lesen zur Seite legen. Andersdenkende wird es aber wohl kaum überzeugen. Angefangen beim eigenen Verlag, der auf Seite eins der Druckfahne darauf hinweist, dass der Text nicht fotokopiert werden darf. Das erscheint nach dem Lesen dieses flammenden Plädoyers gegen den herkömmlichen Urheberrechtsschutz fast schon rührend altbacken.

Kai-Hinrich Renner und Tim Renner: Digital ist besser. Warum das Abendland auch durch das Internet nicht untergehen wird
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2011

Constanze Kurz und Frank Rieger: Die Datenfresser. Wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011
Cover: "Digital ist besser" von Kai-Hinrich Renner und Tim Renner
Cover: "Digital ist besser" von Kai-Hinrich Renner und Tim Renner© Campus Verlag
Cover: "Die Datenfresser" von Constanze Kurz und Frank Rieger
Cover: "Die Datenfresser" von Constanze Kurz und Frank Rieger© S. Fischer Verlag