Vorverlegte Flitterwochen - mit einem Dritten

Roland und Rosemarie sind 24. Die beiden Rucksacktouristen verbringen ihre vorverlegten Flitterwochen auf Capri. Doch ihre künftige Ehe gerät unter das Zeichen einer Verunsicherung. Sie verlieben sich in einen Dritten. Georg-Büchner-Preisträger Arnold Stadler ist ein Spezialist für alle Arten des Heimwehs und der Sehnsucht.
Nur zum "Braunwerden" sind Roland und Rosemarie nach Capri gekommen. Sie sind jung, keine vierundzwanzig, sie studiert Medizin, er Philosophie, typische Rucksacktouristen der 70er Jahre. Untypisch allerdings ist, dass sie heiraten wollen. Der Termin steht schon fest, und so ist der Italienurlaub eine Art "Hochzeitsreise im Voraus". Doch ihre künftige Ehe gerät unter das Zeichen einer Verunsicherung.

Denn Roland und Rosemarie verlieben sich: in einen Dritten, einen Amerikaner italienischer Abstammung. Dieser Jim de Mariniello ist auf der Suche nach seiner Herkunft und vielleicht noch mehr nach einem Abenteuer. Zufällig landet er am selben Strand und fragt die beiden nach einem Schluck Wasser. Und die können nicht übersehen, wie gut er aussieht, als wäre er direkt einem Pasolini-Film entsprungen. "Komm, gehen wir", sagt schließlich einer zum anderen, und so landen sie am Abend des 24. August 1978 zu dritt in einem Hotelzimmer.

"Komm, gehen wir", so heißt auch der Roman. Arnold Stadler, Georg-Büchner-Preisträger des Jahres 1999, Spezialist für alle Arten des Heimwehs und der Sehnsucht, setzt seine ganze Kunstfertigkeit daran, die Poesie dieses kleinen dreigliedrigen Aufforderungssatzes zu entfalten: sein Wagnis, sein Versprechen und seine mögliche Wiederholbarkeit. Wie ein Refrain durchläuft er den Roman, als eine Wortfolge, von der jeder träumt, der sich nach Liebe sehnt, - aber auch als ein Menetekel des Alters.

Alt fühlt sich, wer davon ausgehen muss, niemals mehr diesen Satz zu hören. Der erotische Augenblick wird in diesem Roman zum pars pro toto aller Augenblicke, auf die es ankommt: kostbar, wenn sie geschehen, und schon fast vorbei, wenn man bemerkt, dass sie stattfinden.

Man liest diesen Roman mit einer Spannung, die auch Anspannung ist. So leuchtend hier einzelne Sätze zünden, so scheinbar umstandskrämerisch geht es in den Niederungen zu. Wer das für eine bloße Stilattitüde hält, wird Stadlers Romane nicht zu schätzen wissen und kann sich die Lektüre sparen. Es ist durchaus ein Kunstgriff, aber einer von der notwendigen, nicht der willkürlichen Sorte.

Arnold Stadlers Prosa schwebt in einer Zeitform, die es im wirklichen Leben nicht gibt, einer Art Irrealis permanenter Erinnerung des geglückten Augenblicks. "Ja – es war ein unvergessliches So-gut-wie-nichts." Das ist eine Form der Daseinsbejahung, wie sie nur im Medium der Literatur möglich ist.

Und so erzählt Arnold Stadler drei Lebensläufe, vom gemeinsamen Geburtsjahr 1955 bis zum Jahr 1989, in dem Roland mit seinem ersten Roman nach Miami reist, um ihn Jim zu überreichen. Beide haben der Liebe zu Männern längst abgeschworen, es gibt Söhne, gescheiterte Ehen, dicke Bäuche. Aber Roland Nesensohn hat sich durch das Schreiben wenigstens die Erinnerung daran bewahrt, dass die Zigarren, die er inzwischen schätzt, das edle Schuhwerk und das besondere Olivenöl nur Kompensationen sind: für das "große Ja und Einverstandensein", das ihm vor Jahren bewusstlos glückte.


Rezensiert von Meike Feßmann


Arnold Stadler: Komm, gehen wir. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2007. 396 Seiten, 18,90 €.