Vorsicht Vogel, wenn der Traktor kommt!

Heike Jeromin im Gespräch mit Susanne Burg · 08.05.2012
Wo nur noch Mais wächst und wo es kaum noch Wiesen gibt, können viele Singvögel nicht gut leben. Die landwirtschaftliche Monokultur macht ihnen zu schaffen. Sie verlieren Brutflächen oder finden keine Nahrung mehr.
Susanne Burg: Ein kleines Vogelorchester. So hat es früher geklungen, vor etwa 60 Jahren, als auf Wiesen auf dem Land noch Brachvögel gebrütet haben, Uferschnepfen, Kiebitze, Lerchen. Um diese Feld- und Wiesenvögel steht es heute nicht gut. Das liegt vor allem an der Intensivlandwirtschaft, die den Vögeln kaum noch Zeit zum Brüten lässt. Aber auch die Energiewende bringt die Vögel in Bedrängnis. Mais- und Rapsmonokulturen für die Biogasanlagen entstehen überall, und dort findet sich für Vögel kaum noch etwas zu fressen. Kommt der stumme Frühling auf das Land? Das möchte ich jetzt mit Heike Jeromin besprechen. Sie ist Biologin am Michael-Otto-Institut in Bergenhusen und dort für den Schutz von Wiesenvögeln in Agrarlandschaften zuständig. Ich begrüße sie in einem Studio in Heide in Schleswig Holstein. Guten Tag, Frau Jeromin!

Heike Jeromin: Guten Tag!

Burg: Wir haben eben diese kleine Vogelsinfonie gehört. Frau Jeromin, Sie sind jeden Tag draußen unterwegs, in Schleswig-Holstein, zwischen Flensburg und Husum – wie klingt das heute?

Jeromin: Heute ist es etwas ruhiger geworden. Bekassinen hört man eigentlich kaum noch im normalen Grünland und auch die anderen Arten haben in ihren Beständen stark abgenommen.

Burg: Wie dramatisch ist dieser Rückgang?

Jeromin: Das würde ich Ihnen gerne am Beispiel der Uferschnepfe näher erläutern. Die Uferschnepfe ist für uns so eine Charakterart für das Feuchtgrünland. Und diese Art hat innerhalb der letzten 15, 20 Jahre um mehr als 50 Prozent Abnahmen zu verzeichnen, und das nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden, ihrem Kerngebiet. Die Art ist mittlerweile weltweit bedroht und ist nur noch auf dem Grünland zu finden.

Burg: 50 Prozent – kann man das auch in Zahlen ausdrücken, in Vogelzahlen?

Jeromin: Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Derzeit brüten in Deutschland noch 4700 Uferschnepfen. Und es waren halt entsprechend die doppelte Menge noch vor 15, 20 Jahren.

Burg: Und welche Arten sind besonders betroffen?

Jeromin: Es sind besonders die Arten betroffen, die wirklich an das Grünland gebunden sind. Denn wir haben deutliche Grünlandverluste durch den Umbruch und die Umwandlung in Äcker und natürlich auch den allgemeinen Flächenverschluss. Also Arten wie die Bekassine oder die Uferschnepfe, Großer Brachvogel oder Rotschenkel sind besonders von den Bestandsrückgängen betroffen.

Burg: Von 2003 bis 2008 hat sich in Deutschland die Fläche, die als Grünland
bewirtschaftet wird, um vier Prozent reduziert. Gleichzeitig sind die Anbauflächen
für Mais gestiegen. Warum ist das für die Vögel so problematisch?

Jeromin: Sie verlieren ihren primären Lebensraum. Das ist die direkte Auswirkung da drauf. Nur wenige Arten können die Maisflächen als Ersatzhabitat annehmen. Klassisches Beispiel dafür wäre zum Beispiel der Kiebitz, der durchaus auf dem Mais brüten kann. Aber es ist überhaupt nicht bekannt, inwieweit der Bruterfolg dort irgendwie ausreicht, um den Bestand selber zu erhalten. Das sind einfach noch Datenlücken, die wir haben.

Burg: Eine Studie hat aber ergeben, dass von 27 Vogelarten, die die Wissenschaftler untersucht haben, sechs Arten den Mais durchaus anderen Feldern vorgezogen haben, Sei haben den Kiebitz erwähnt. Das heißt, können sich Vögel nicht auch umgewöhnen?

Jeromin: Zum Teil ja. Der Kiebitz kann die Maisfläche sehr gut annehmen, da er unbewachsene Flächen sowieso präferiert, und der Mais im Frühjahr, wenn er kommt, Ende März, Anfang April, ein entsprechendes Äußeres hat, also braun ist, in Flussniederungen und Flusstälern durchaus auch schlammig ist, und er sieht dann sehr gut für den Kiebitz aus. Die Frage ist aber, wenn der Kiebitz die Brut abgeschlossen hat, ob er dort auch einen Bruterfolg verzeichnet. Und nach unserem heutigen Erkenntnisstand, der ist aber noch nicht abgesichert, ist es so, dass in der Nähe Grünland sein muss, damit er mit den Jungen dorthin wandern kann, weil die Nahrungssituation für die Küken auf den Maisflächen nicht so gut ist. Die jungen Kiebitze ernähren sich von Regenwürmern, Käfern, Spinnen. Die fressen keine Maiskörner und auch keine Maisblätter.

Burg: Der Ornithologe Hermann Hötker hat mal gesagt: Ein Maisacker ist ökologisch so wertvoll wie eine betonierte Fläche. Ist das wirklich so drastisch?

Jeromin: Das ist relativ drastisch. Ich aus meinen eigenen Erfahrungen kann sagen, dass ich nur dann eine wertvolle Maisfläche habe, wenn wirklich die Vögel sich anschließend von der Maisfläche entfernen können mit ihren Jungen. Runterlaufen können zum Beispiel auf Weideflächen. Dann kann es noch zu einem Bruterfolg kommen. Verbleiben die Küken aber auf den Maisflächen, dann ist das häufig so, dass die Tiere einfach verschwinden. Wir wissen nicht genau, was passiert, wahrscheinlich aber verhungern sie.

Burg: In unserer Vogelwoche hier im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit der Biologin Heike Jeromin über die Zunahme des Maisanbaus und was es für Wiesenvögel bedeutet. Frau Jeromin, kommen wir mal zum Rebhuhnküken: Was für eine Umgebung bräuchte es denn, um zu einem stattlichen Rebhuhn heranzuwachen?

Jeromin: Also Rebhühner sind klassische Feldvögel, die schon gerne Äcker haben. Aber es ist eine gewisse Vielfalt an Äckern notwendig, damit es auch sowohl Deckung hat an den Rändern, Nahrungsflächen hat, damit sich Insekten dort aufhalten können, denn auch das Rebhuhnküken frisst gerne Insekten, und es braucht etwas mehr als eine reine Monokultur.

Burg: Was bedeutet diese Monokultur für die Vögel?

Jeromin: Die Monokultur bedeutet, dass alles genau gleich läuft. Das heißt, auf allen Flächen ist zur gleichen Zeit Deckung oder auch Nicht-Deckung. Sie können also nicht von offenen Flächen, wo sie gut Nahrung suchen könnten, zu Deckungsflächen wechseln. Wenn Flächen abtrocknen und dort nichts mehr los ist, dann ist in der Monokultur auch auf großer Fläche nichts los, sie können nicht irgendwohin ausweichen. Wenn Arbeitsschritte gemacht werden, finden Sie meist zeitgleich statt. Die Gefährdung ist also zeitgleich auf allen Flächen. Es gibt keine Ausweichmöglichkeiten. Das alles sind ganz große Nachteile von Monokulturen.

Burg: Nun hat sich ja auch bei einigen Vögel selber eine recht – aus Menschensicht – leichtsinnige Taktik durchgesetzt: Kiebitze und Lerchen beispielsweise legen ihre Eier einfach so auf die Wiese, wo sie ganz leicht vom Traktor überfahren oder von Mardern, Füchsen, Katzen gefressen werden können. Wie hat sich denn diese für die Vögel gefährliche Praxis überhaupt erst einbürgern können?

Jeromin: Die Kiebitze haben eine ganz besondere Strategie. Die eine Möglichkeit ist, dadurch, dass sie direkt auf der Erde brüten, in einem sehr offenen Habitat, sehen sie Feinde, die sich herannähern wollen, sehr früh, können sehr früh in die Luft gehen und diese attackieren oder aber sie entfernt vom Nest schon ablenken, indem sie einen gebrochenen Flügel oder Ähnliches simulieren.

Die andere Möglichkeit, die Kiebitze haben, ist, dass sie bis zu vier Nachgelege zeitigen können, das heißt, wenn ein Gelege verloren geht, also die Eier gefressen worden sind, dann können Kiebitze nach fünf bis zehn Tagen wieder nachlegen und wieder ein komplettes Vierergelege machen. Und das können sie dann so lange machen, bis sie das Glück hatten, dass dann auch wirklich die Küken schlüpfen konnten. Das geht aber nur, wenn der Lebensraum auch über einen langen Zeitraum stimmt und für sie geeignete Vegetationsstrukturen hat, also sprich, diese Kurzrasigkeit, das ist sehr schwierig geworden.

Burg: Und das bedeutet jetzt was?

Jeromin: Das bedeutet, dass Kiebitze in der heutigen Zeit mit Gelegeverlusten sehr viel schwieriger umgehen können, als das noch früher der Fall war. Früher hatten sie die Zeit, bis zu vier Nachgelege nachzulegen, weil die Grünlandflächen – das Gras ist einfach so langsam gewachsen, die Düngung war nicht so intensiv. In der heutigen Zeit wächst das Gras so schnell hoch, dass sie einen Gelegeverlust nicht mehr ausgleichen können. Das heißt, ihre Strategie greift heute nicht mehr und die Verluste durch Räuber haben eine ganz andere Bedeutung als Gefährdungsursache, als das noch früher der Fall gewesen ist.

Burg: Nun kann man ja diese von Ihnen erwähnten Räuber, gegen die kann man wahrscheinlich weniger machen, aber gegen Traktor fahrende Bauern schon. Was tun Sie denn, um diese Vögel zu schützen?

Jeromin: Wir haben zusammen mit mehreren ehrenamtlichen in der Eider-Treene-Sorge-Niederung ein neues Schutzkonzept entwickelt. Initiatorin war auch eine Landwirtin damals, das finde ich ganz spannend, und es ist so, dass wir die Gelege stecken, also markieren, mit zwei Fähnchen, möglichst unauffällig, aber so gut, dass der Landwirt es sehen kann. Wir sagen dem Landwirt Bescheid und können ihm eine Ausgleichszahlung anbieten, wenn er um das Gelege beim Schleppen und Walzen und später bei der Mahd drumherum fährt. Und ich muss sagen, in Regionen, wo noch die Wasserstände, die Nahrungsversorgung, die Deckung stimmt, in solchen Regionen kann ein derartiges Schutzkonzept sehr, sehr gut funktionieren.

Burg: Kommen wir noch einmal zum Ausgangspunkt unseres Gespräches. Werden wir denn bald mit einem stummen Frühling auf dem Lande leben müssen?

Jeromin: Sicher sagen kann das niemand. Prognostiziert wird er schon recht lange. Bisher haben sich die Vögel immer noch halten können, aber ganz, ganz viel hängt von der Agrarreform ab, die jetzt bis Ende 2013 in der entscheidenden Phase ist und was dort die Politik entscheidet, wie es auf den Grünlandflächen und auf den Feldern weitergeht.

Burg: Über die Schattenseiten der Energiewende, darüber, wie der zunehmende Maisanbau den Vögeln zusetzt, habe ich mit Heike Jeromin gesprochen. Sie ist Biologin am Michael-Otto-Institut in Bergenhusen und dort zuständig für den Schutz von Wiesenvögeln in Agrarlandschaften.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links bei dradio.de:

Da fliegen sie wieder! -
Die Große Vogelschau im Deutschlandradio Kultur vom 7.-12. Mai 2012