Vorreiter auf dem flachen Land

Wie Löwenstedt den Breitbandausbau wuppte

Holger Jensen, Landwirt und Bürgermeister von Löwenstedt
Ohne Breitbandzugang sei auch die Arbeit als Michbauer schwierig, sagt Holger Jensen, Landwirt und Bürgermeister von Löwenstedt. © Johannes Kulms
Von Johannes Kulms · 14.05.2018
Eine digitale Erfolgsgeschichte: Weil die Dorfbewohner von Löwenstedt nicht auf schnelles Internet verzichten wollten, nahmen sie die Sache selbst in die Hand und bauten das erste Breitbandnetz nach dem Solidarprinzip auf.
Am nordfriesischen Straßenrand ist Flower Power angesagt. Gerade haben die Eheleute Ley die Rosen in ihrem Vorgarten gedüngt. Nun nähert sich der Radioreporter aus der Landeshauptstadt und will wissen, wie das denn jetzt so ist mit dem Breitband in Löwenstedt.
Karl-Heinz Ley, 80 Jahre jung, muss gar nicht lange überlegen:
"Ja, das ist hier so ein breites Kabel, das ist flach und das wird ins Haus geleitet."
Doch natürlich wissen er und seine Frau, dass hinter dem Kabel mehr steckt – nämlich ein schneller Internetzugang. Der nütze den Dorfbewohnern, ist die 75-jährige Giesela Ley überzeugt. Auch wenn sie ihn selber eigentlich gar nicht braucht.
"Wir haben uns darüber gefreut, dass wir das jetzt auch haben, dass wir nicht nur hinterwäldlerisch sind, sondern auch ein bisschen moderner und schnelles Internet haben. Ja, also und ich denke schon, da wir nun tatsächlich die Oldies sind: Unsere arbeitende Bevölkerung und die Schüler und so, die haben schon, glaube ich, ein Vorteil davon, das denke ich."

Auch die Landbevölkerung braucht Breitband

Löwenstedt – das ist eine 700-Einwohner-Gemeinde im nördlichsten Zipfel der Bundesrepublik, etwa 30 Kilometer von der deutsch-dänischen Grenze entfernt. Während die Politik in Berlin beim Ausbau einer flächenmäßigen schnellen Internetversorgung in der Bundesrepublik nur langsam vorankommt, haben die Löwenstedter schon vor Jahren Nägel mit Köpfen gemacht.
Seit 2014 surfen sie hier komfortabel. Bis zu 100 MBit/s, der Breitbandzugang macht es möglich. Ohne ihn sei auch die Arbeit als Milchbauer heute nur noch schwer zu leisten, sagt Holger Jensen. Denn die Verbraucher wollen wissen, woher ihre Milch stammt. Sieben Tage bleiben ihm, um ein Kalb nach der Geburt zu melden.
"Bei uns ist das so eben hier, die kriegen eine Ohrmarke eingedrückt. Wir melden das meist aber auch erst zwei, drei Tage nach dem Kalben an und dann macht man das eben jetzt über ein Smartphone das relativ einfach an der Box: Das Kalb kriegt eine Ohrmarke, Smartphone rein und dann wird das Kalb angemeldet. Fertig ist das."
Seit fünf Jahren ist Holger Jensen ehrenamtlicher Bürgermeister von Löwenstedt. Er hat schon mit vielen Journalisten gesprochen. Auch die New York Times war schon da, sagt Jensen. Es gibt Dorfoberhäupter in Schleswig-Holstein, die ihre Gemeinden mit ähnlichen Erfolgsstorys über den grünen Klee loben und sich selbst gehörig vermarkten. Nicht so Jensen, der angenehm auf dem Teppich geblieben scheint. Und versichert:
"Also, ein Spaziergang war das wirklich nicht."

Ausbau nach dem Solidarprinzip

Tatsächlich ist Löwenstedt ein bundesweiter Vorreiter. Es ist jene Gemeinde, in der erstmals ein Breitbandnetz nach dem Solidarprinzip aufgebaut wurde.
Denn aus Sicht der großen Konzerne lohnt sich der Breitbandausbau im dünnbesiedelten Nordfriesland nicht. Doch Bürger, Kommunen und Unternehmen aus der Region wollten das nicht hinnehmen und gründeten 2012 die Bürger-Breitband-Netzgesellschaft, kurz BBNG. Das Ziel: schnelles Internet für 57 Gemeinden! Dies ist noch lange nicht erreicht. Doch Löwenstedt lieferte die Blaupause.
Vereinfacht – und verbilligt – wurde das Vorhaben, weil 2012 gerade die Löwenstedter Straßen aufgerissen wurden wegen der Fernwärmeversorgung. Damals konnten auch Leerrohre verlegt werden, in die später die Glasfaserleitungen kamen. Trotzdem mussten die Banken überzeugt werden für das Breitbandprojekt.
"Also haben die gesagt: Die Gemeinden müssen das erstmal aus eigenem Kapital machen. Bürger aus anderen Kommunen haben sich hier an der Bürger-Breitband-Netzgesellschaft beteiligt und mit ihrem Kapital, das haben sie ja nach Löwenstedt geschoben, um Löwenstedt erstmal auszubauen. Das Ausbauen der Kommune hat damals 850.000 Euro gekostet."
Auch die Löwenstedter gaben viel Geld. Holger Jensen, sein Amtsvorgänger Peter Thoröe und andere Mitglieder aus dem Gemeinderat hatten dafür kräftig Klinken geputzt. Mit 1000 Euro Beteiligung konnte jeder Haushalt dabei sein. Am Ende gaben 90 Prozent ihre Einwilligung. Damit war eine wichtige Hürde genommen. Denn die BBNG hatte klargemacht: Wir brauchen mindestens 68 Prozent der Haushalte, sonst verlegen wir keine Glasfaserkabel. Dass so viele Löwenstedter sich überzeugen ließen war kein Zufall, glaubt Jensen. Und sei auch einer Gründe dafür gewesen, warum das Dorf als Pilot für den Breitbandausbau auf dem platten Land auserkoren wurde.

Die Dorfbewohner ziehen an einem Strang

"Die Bürger hier in Löwenstedt die haben das schon so üblich seit Generationen, dass die immer sehr an einem Strang ziehen. Wenn die meinen, die wollen irgendwas auf die Beine stellen, dann kriegen die das auch hin! Weil so viel Energie in den Leuten steckt, dass wir auch irgendwas durchsetzen."
Ohne diese Bürgerbeteiligung ginge es nicht, sagt der 55-Jährige. Und damit meint er nicht nur das Thema Breitbandausbau, sondern auch die Errichtung von Windparks. Wobei die inzwischen auch im windreichen Schleswig-Holstein inzwischen vielerorts umstritten sind.

Doch Löwenstedt ist offenbar nicht nur ein Ort des besonderen Zusammenhalts. Sondern auch der Kreativität. Zum Beispiel in Person von Simon Hansen. 27 Jahre jung. Und aufgewachsen in der 700-Einwohner-Gemeinde.
"Das wünsche ich mir sozusagen auch für meine Kinder. Also, man hat hier super viel Platz. Und man wird, wenn man alt genug ist, morgens aus dem Haus gelassen und kommt abends wieder nach Hause und kann in der Zwischenzeit so tun, was man will."
Für das Studium zog Hansen ins rund 30 Kilometer entfernte Flensburg - Inzwischen wohnt der Informatiker wieder in seinem Heimatdorf. Ohne eine Breitbandversorgung wäre das nicht gegangen, denn Hansen tüftelt viel und braucht dafür unbedingt einen stabilen Internetzugang.
Ausgetüftelt und entwickelt hat er zusammen mit seinen Flensburger Firmenkollegen auch "Knoop". Mit der App macht der letzte das Licht aus. Im wahrsten Sinne des Wortes: Nutzer können so per Smartphone die Straßenbeleuchtung an- und wieder ausschalten. Auch Hansen nutzt Löwenstedt nun als Pilot. Nach vielen Gesprächen mit den Gemeindevertretern und Einwohnern konnte er das Dorf überzeugen, hier die Knoop-App in die Praxis umzusetzen.
Simon Hansen, 27 Jahre jung und Erfinder der App "Knoop"
Mit der App "Knoop" lässt sich die Straßenbeleuchtung an- bzw. ausschalten. Erfunden hat sie Simon Hansen.© Johannes Kulms

Eine App für die Straßenbeleuchtung

"Man hat natürlich den Vorteil, dass man die Leute kennt und der Bürgermeister weiß, mit wem lässt er sich ein, also, das hat auf jeden Fall Vorteile. Und es gab auch hier diverse Bedenken, wie zum Beispiel: Was ist, wenn es jetzt jede Nacht nur noch blinkt und die Kids hier sind nur noch mit der App am Schalten und keiner kommt mehr zur Ruhe."
Doch diese Szenarien seien nicht eingetreten. Zuvor waren die Straßenlaternen in Löwenstedt um kurz nach Mitternacht automatisch ausgeschaltet worden. Mit der App können die Dorfbewohner sie nun wieder in der Zeit zwischen 0 Uhr 30 und 5 Uhr 30 zum Leuchten bringen. Immerhin 15 Prozent der Löwenstedter hätten das Programm inzwischen runtergeladen, und jede Woche käme ein weiterer Nutzer dazu, sagt Simon Hansen. Seine Firma in Flensburg stehe inzwischen mit dutzenden Gemeinden in Kontakt, die ebenfalls überlegten, die Knoop-App einzusetzen.
Es scheint beinahe so, als sei Holger Jensen Bürgermeister einer kleinen Hightech-Gemeinde. Doch der Landwirt bleibt ganz norddeutsch-nüchtern. Und wünscht sich mehr Unterstützung von der Politik in Berlin für die Kommunen beim Breitbandausbau. Doch Jensen hat auch noch anderes im Kopf:
"Also, der neueste Traum für Löwenstedt ist ein Kunstrasenplatz."
Der würde rund 800.000 Euro kosten. Fast so viel wie der Glasfaserausbau vor einigen Jahren. Und wieder einmal hofft Jensen auf die Bürger: Für 30 Euro können sie einen Quadratmeter künstliches Grün sponsern.
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