Vordenker der postindustriellen Gesellschaft

Von Winfried Sträter · 25.09.2007
Der Sozialphilosoph André Gorz ist tot. Er nahm sich im Alter von 84 Jahren zusammen mit seiner schwerkranken Frau das Leben. Gorz galt in den 70er und 80er Jahren als Vordenker der Neuen Linken, die sich von den Fesseln marxistischer Dogmatik befreite. Sein Lebensthema war die Freiheit des Individuums - auch von der Arbeit sowie die gerechte Verteilung von Arbeit.
Geboren wurde er als Gerhard Hirsch 1923 in Wien. Sohn eines jüdischen Holzhändlers. Im Zweiten Weltkrieg lebte er im Exil in der Schweiz, 1949 zog er nach Paris, Jean Paul Sartre wurde sein geistiger Mentor. Gorz arbeitete als politischer Redakteur, schließlich stellvertretender Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Le Nouvel Observateur". 1983 gab er diese Position auf, um sich in einem Landhaus in Burgund nur noch seinen wissenschaftlichen Studien zu widmen.

Zu dieser Zeit war André Gorz bereits ein Star der Neuen Linken, einer ihrer wichtigsten Theoretiker, denn André Gorz gelang es, die Linke aus den Fesseln der marxistischen Dogmatik zu befreien.

Das Erlebnis beflügelte eine ganze Generation von Studenten und Intellektuellen: Man stand nicht mehr vor der Alternative, entweder starr an marxistischen Lehrsätzen festzuhalten oder die Marx'schen Analysen über Bord zu werfen. Also: entweder dumpfe Gefolgschaft zu leisten oder Verrat zu begehen. Man konnte Marx weiterdenken.

Genau das leistete André Gorz, der selbst einmal gläubiger Marxist gewesen war, in seinen wichtigsten Werken. "Abschied vom Proletariat": Titel und Inhalt dieses 1980 auf Deutsch erschienenen Buches waren eine Herausforderung für die traditionsverhafteten gewerkschaftsorientierten Linken. Denn Gorz nahm Abschied vom Glauben an das industrielle Proletariat, an die Befreiung der Menschheit durch das Proletariat.

Die Hoffnung auf grundlegende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen aber gab er nicht auf. Gorz entwarf Utopien eines selbstbestimmten Lebens im postindustriellen Zeitalter. "Wege ins Paradies" wurde ein Kultbuch der undogmatischen Linken. Und in seiner "Kritik der ökonomischen Vernunft" entwarf er ein neues Bild von Arbeit: Wenn klassische Erwerbsarbeit weniger werde, müsse sie anders verteilt werden und die nichterwerbliche Arbeit müsse einen neuen Stellenwert in der Gesellschaft bekommen. Angesichts wachsender Arbeitslosigkeit war das eine konkrete Utopie, um die Reduzierung der Arbeit nicht als Misere hinzunehmen, sondern aktiv gestaltend mit den wirtschaftlichen Veränderungen umzugehen.
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