Vorbeugung

"Menschen da abholen, wo sie stehen"

21.12.2013
Die AOK will künftig stärker auf digitale Vorbeugung setzen. Kai Kolpatzik, Leiter der AOK-Präventionsabteilung, sagt, dass man so auch Menschen erreichen könne, die sich an den üblichen Gesundheitsprogrammen weniger beteiligen, zum Beispiel Männer mit Migrationshintergrund.
Hanns Ostermann: Bewusster und vor allem gesünder zu leben, das ist ein Ziel der Selbstoptimierung, unserem Themenschwerpunkt im Deutschlandradio Kultur bis Anfang Januar. Wer sich regelmäßig auf die Waage stellt oder den Blutdruck misst, der sammelt sicher wichtige Daten für seine Gesundheit. Den Krankenkassen sollte das recht sein, nur: Wie weit sind sie inzwischen auf diesem Gebiet? Darüber rede ich jetzt mit Kai Kolpatzik; er ist Arzt und Gesundheitswissenschaftler und leitet den Bereich Prävention beim AOK-Bundesverband. Guten Morgen, Herr Kolpatzik!
Kai Kolpatzik: Guten Morgen!
Ostermann: Ist die digitale Gesundheitskontrolle das Zukunftsmodell oder reicht der normale Menschenverstand – ich muss mich bewegen, gesund und ausgewogen ernähren?
Kolpatzik: Es ist auch hier wieder eine Mischung von beidem, und wir haben durch die Entwicklung im Sinne der digitalen Möglichkeiten, die wir haben, durch die Nutzung der Neuen Medien, dass wir auch das Thema Prävention digitaler spielen können - und nach vorn geschaut, sehen wir als Krankenkasse oder AOK als Gesundheitskasse konkret die Chance, Menschen zu erreichen, die wir bisher noch nicht gut erreichen konnten. Das sind beispielsweise Männer, die eher technikaffin sind, die bisher mit Einheitsprogrammen von Krankenkassen schwieriger erreicht werden konnten. Und wir können beispielsweise auch Gruppen wie Menschen mit Migrationshintergrund besser erreichen, da dort eine bessere Ausstattung in der Technik vorliegt und auch ein anderes Verständnis der Nutzung von den neuen Medien da ist, sodass wir in Studien gesehen haben und auch die beispielsweise Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dass man solche Gruppen gezielter ansprechen kann, gezielter erreichen kann, wie wir das bisher noch nicht konnten. Deswegen ist das für uns ein Entwicklungsfeld, in das wir reingegangen sind.
Ostermann: Wer sich regelmäßig kontrolliert, der lebt gesünder und länger. Wie gesichert ist eigentlich diese These? Gibt es entsprechende Studien?
Kolpatzik: Gibt es nicht, ist mir nicht bekannt. Durch diese Messung von den ganzen Pulsmessern, Schrittzählern gibt es bisher keine guten, großen Studien dazu, die das bestätigen.
Ostermann: Die digitale Gesundheitskontrolle kann natürlich nicht den Besuch beim Arzt ersetzen, das ist klar im Ernstfall. Trotzdem: In welchen Bereichen versuchen Sie jetzt bei der AOK, die Prävention zu verbessern?
Kolpatzik: Wir versuchen, dort einzusteigen oder sind eingestiegen auch mit größeren Projekten, vom Bundesministerium für Wirtschaft finanziert, um einen Coaching-Ansatz, einen Gesundheitscoach beispielsweise zu testen und genauer zu untersuchen, wie kann man ganzheitlich an die Menschen herankommen? Vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass die Technik, die neuen Möglichkeiten auch akzeptiert werden. Dass man sie individuell auf die einzelnen Bedürfnisse zuschneidet. Und vor allen Dingen auch, und das ist die große Herausforderung dort, vor der wir stehen, wo wir, weil wir relativ weit sind auch durch das Forschungsprojekt, wie hält man die Menschen daran. Das Thema Adherence, das Dransein, die dauerhafte Motivation, sich gesund zu verhalten. Das haben wir bisher sehr gut aufgestellt, haben auch andere Programme, Onlineprogramme. Von Kassen kennt man ja meistens Angebote zu Ernährung, Bewegung, Entspannungsmöglichkeiten, wo man hingeht und die dort auch macht. Aber wir haben auch Onlineangebote, und da beispielsweise bei einem Ernährungsprogramm gesehen, dass zwischen sechs und zwölf Monaten umgesetzt wird, dass wir da andere Zielgruppen erreicht haben zum einen, aber auch wissenschaftlich nachgewiesen, Gewichtsreduzierungen bei Frauen von 4,4 Kilogramm, bei Männern von 5,9 Kilogramm.
Ostermann: Sie bieten verschiedene Programme an, "Abnehmen mit Genuss" beispielsweise, "Tschüss, ihr Pfunde", "Alles in Balance", "Ich werde Nichtraucher" und so weiter. Das sind bereits vorhandene Angebote. Aber was macht dann der Gesundheitscoach zukünftig? Worin besteht dessen Arbeit?
Kolpatzik: Der Gesundheitscoach versucht, nicht in einem strukturierten Programm, wie bei den anderen Programmen, die über sieben Wochen, zwölf Wochen beispielsweise gehen und dort strukturiert aufgebaut sind. Wir versuchen, mit dem Gesundheitscoach die Menschen da abzuholen, wo sie stehen. Das machen wir über sogenannte Assessments, solche Eingangsfragebögen, wo man genau zu den Themenbereichen Ernährung oder Bewegung oder auch zu Zielen, die man hat, den Menschen abholt, wo er gerade steht, und dann, im Hintergrund kategorisiert, gezielte Empfehlungen gibt, die er in seiner Situation am besten macht, wo die höchste Wahrscheinlichkeit ist, dass er sie auch machen wird. Und das weitere Entscheidende dazu ist, dass wir eine Entscheidungsunterstützung rein gegeben haben in den Gesundheitscoach, wo der Einzelne, der Nutzer sich selber Ziele setzt, realistische Ziele, die er auch erreichen kann, nicht von jemand vorgegeben, sondern selber macht, und die regelmäßig überprüft werden.
Ostermann: Aber, um es noch mal klar zu sagen, noch gibt es diesen digitalen Gesundheitscoach nicht. Wie lange wird die Entwicklung dauern?
Kolpatzik: Das Projekt und die Förderung vom Bundesministerium für Wirtschaft ist Ende Oktober ausgelaufen oder beendet, das Projekt. Jetzt sind wir dabei, die Verwertung zu entwickeln und nacheinander sozusagen umzusetzen. Die Förderprojekte gehen immer dahin, dass man etwas erforscht und Grenzen auch aufzeigt und sagt, dann im nächsten Schritt, was ist jetzt machbar, was war gut gewesen. In der Untersuchung, was gut gewesen ist oder was am besten funktioniert hat, am besten angekommen ist: diese Zielvereinbarung. Was wir vorher gar nicht gedacht hätten. Das kam am besten an. Und so etwas werden wir beispielsweise im Bereich der Reha-Kliniken wahrscheinlich auch umsetzen, wo der Reha-Erfolg in der Klinik vorhanden ist, aber danach es ja eine Black Box ist, wohin man geht. Und dort kann man über so einen Gesundheitscoach beispielsweise das Angebot verlängern oder den Erfolg der Reha verlängern, indem man das dort nutzt. Andererseits, das ist so ein eher medizinischer Bereich, es geht aber auch in den privaten Bereich rein, wo dieser Gesundheitscoach beispielsweise auch in Familien eingesetzt werden kann, und dass er auch da wieder individualisiert genutzt werden kann.
Ostermann: Ein Problem ist ja grundsätzlich, Sie haben das eben auch schon mal angesprochen, wie motivieren Sie Ihre Kunden für ein gesünderes Leben? Da gibt es Kassen, die Beiträge zurückerstatten, das heißt, dort wird mit Geld motiviert. Ist ein ähnliches Verfahren eigentlich auch bei normalen Kassenpatienten denkbar, wenn diese zum Beispiel den Fitnesscoach zukünftig nutzen?
Kolpatzik: Grundsätzlich ist das denkbar. Ich würde es jetzt gar nicht so nebeneinander vergleichen, aber auch Bonusprogramme sind vorstellbar, die man hiermit kombinieren kann. Allein übers Geld funktioniert es nicht. Wir kennen Studien aus England beispielsweise, wo das Abnehmen auch honoriert wurde, wenn man abnimmt über ein Jahr lang. Beim Rauchen ähnlich: Wenn man ein Jahr lang oder innerhalb eines Jahres nicht geraucht hat, dort auch finanzielle Flüsse stattgefunden haben. Sobald dieser finanzielle Fluss aufhört oder die Belohnung über Geld, hört auch der Effekt auf. Die Menschen haben wieder angefangen, zu rauchen, und die Menschen haben auch wieder angefangen, zuzunehmen. Deswegen versuchen wir hier, über dieses Realistische-Ziele-Vereinbaren das intrinsische Moment sozusagen, die eigene Motivation zu packen und das über spielerische Elemente, Gaming-Aspekte da reinzunehmen, Belohnungssysteme auf digitaler Ebene, wie digitale Hanteln, oder was man dort alles machen kann – dort den Menschen zu greifen und dass man da dran bleibt. Rein übers Geld ist sehr schwierig und hat sich bisher nicht bewährt nach den Studien.
Ostermann: Sagt Kai Kolpatzik, Arzt, Gesundheitswissenschaftler und Leiter des Bereichs Prävention beim AOK-Bundesverband. Herr Kolpatzik, Dank Ihnen für das Gespräch!
Kolpatzik: Ebenfalls, vielen Dank, Herr Ostermann!
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