Vor 75 Jahren gestorben

Simone Weil - Philosophin und Widerständlerin

Porträtaufnahme von Simone Weil (1909-1943) als junge Frau | picture alliance / Whiteimages / Leemage
Porträtaufnahme von Simone Weil (1909-1943) als junge Frau © picture alliance / Whiteimages / Leemage
Von Peter Hölzle  · 24.08.2018
Ein kurzes Leben, ausgefüllt mit rastloser Arbeit, ein starker Wille in einem schwachen, oft kränkelnden Körper, ein scharfer rationaler Geist im Widerstreit mit der eigenen Seele: Heute vor 75 Jahren starb Simone Weil, Philosophin und Chronistin der ausbeuterischen Arbeitswelt.
Sylvie Weil: "Die Familie liebte es zu provozieren. Simones Mutter brüstete sich einmal damit, dass sie in einem piekfeinen Hotel die 'Internationale' angestimmt hätten. Sie waren auf eine gewisse Weise arrogant, taten, was sie wollten, und wenn die Leute das störte, war ihnen das egal."
Kein schmeichelhaftes, aber ein zutreffendes Urteil einer Verwandten über diese großbürgerliche Familie Weil, die gleichermaßen im elsässischen wie im galizischen Judentum verwurzelt war. Ein Urteil, das besonders für deren Tochter Simone gilt. Simone Weils Lust an der Provokation spiegelt sich im Werdegang der Philosophin.
Nach dem Besuch renommierter Pariser Gymnasien und der Elitehochschule École Normale Supérieure wurde sie 1931 Philosophielehrerin am Mädchengymnasium von Le Puy. Sie war gerade 22 Jahre alt und hatte bereits promoviert. Die in die tiefste Provinz versetzte intellektuelle Überfliegerin füllt die 'reine Lehre' freilich nicht aus. Sie leidet an der Ungerechtigkeit der Welt, setzt sich für arbeitslose Industrie- und Landarbeiter ein und teilt ihr Gehalt mit ihnen. Simone de Beauvoir, gleichfalls Philosophin, die mit ihr die 'École Normale Supérieure' besucht hatte, schreibt in ihren Memoiren über sie:
"Ich beneidete sie um ein Herz, das imstande war, für den ganzen Erdkreis zu schlagen."

Vom Schuldienst in die Fabrik

Im Lehreralltag in der Auvergne konnte Simone Weil nicht mit solcher Sympathie rechnen. Ihr gewerkschaftliches Engagement für die Ausgebeuteten und ihre unorthodoxe Unterrichtsgestaltung führten zu Strafversetzungen. Als "Jüdin Weil" und als "rote Jungfrau" stand sie am Pranger der Lokalpresse. Schließlich quittierte sie den Schuldienst und ging in die Fabrik. Was sie als Hilfsarbeiterin in einem Elektrobetrieb erlebte, hielt sie in ihrem Fabriktagebuch fest. Unter dem 17. Dezember 1934 notiert sie:
"Müde und entmutigt. Empfindung, 24 Stunden lang ein freier Mensch gewesen zu sein über Sonntag und mich nun wieder an ein Sklavendasein gewöhnen zu müssen. Widerwille wegen dieser 56 Centimes Stücklohn im Akkord, der Zwang, sich anzustrengen und sich zu verausgaben mit der gewissen Aussicht auf einen Anschnauzer wegen Langsamkeit oder wegen Ausschuss."
Simone Weils Fabriktagebuch gibt einen illusionslosen Einblick in die ausbeuterische Arbeitswelt der dreißiger Jahre. Indem sie sich ihr aussetzt, zeigt sie, wie ernst es ihr ist, die Lebensbedingungen der Arbeiter selbst zu erfahren und nicht als "Salonlinke" nur über sie zu schwadronieren. Dass ihr zarter Körper den Belastungen nicht gewachsen war, die ihr Wille glaubte meistern zu können, sollte sich noch mehrfach erweisen. So, als sie im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik kämpfen wollte, aber nur für den Küchendienst tauglich befunden wurde, so, als sie 1942 aus ihrem Londoner Exil aufbrechen wollte, um mitzuhelfen, Frankreich von den Deutschen zu befreien, von General de Gaulle aber an den Schreibtisch zurückbeordert wurde.

"Unterdrückung und Freiheit" - auch heute aktuell

Überraschend am kurzen Leben der engagierten Linken, die am 24. August 1943 im Alter von 34 Jahren im englischen Ashford an Hunger und Herzinsuffizienz starb, ist ihre religiöse Wende. Als agnostisch erzogene Jüdin entdeckte sie auf einer Italienreise in Rom und Assisi den Katholizismus in seiner Wirkmächtigkeit, hatte mystische Erlebnisse und trat in einen intensiven Briefwechsel mit dem Dominikanerpater Joseph-Marie Perrin. Zum katholischen Glauben konvertierte sie aber wohl nicht.
Simone Weil hinterließ ein in seiner Vielseitigkeit außergewöhnliches Werk, dessen größter Teil erst nach ihrem Tod erschien. In ihm finden sich Schriften zur Philosophie und Kulturphilosophie, zur Theologie und Mystik, aber auch Abhandlungen zu Sozialreformen und Gewerkschaftsfragen wie Tagebücher, Theaterstücke und Gedichte. Ihr wichtigster Text aber bleibt ihre Schrift "Unterdrückung und Freiheit", eine umfassende Analyse der politischen und sozialen Repression, ihrer Ursachen und Mechanismen, die bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat.
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