Vor 20 Jahren

Al Jazeera geht auf Sendung

Journalisten arbeiten in Doha, der Hauptstadt von Katar, in einem Newsroom des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera.
Der Sender Al Jazeera wird vom Emirat Katar finanziert. © picture alliance / dpa / Tim Brakemeier
Von Tobias Mayer · 01.11.2016
In der arabischen Medienlandschaft kam es einer Revolution gleich, als am 1. November 1996 Al Jazeera als ausdrücklich unabhängiges Nachrichtenprogramm an den Start ging. Schnell wurde der Sender zur glaubwürdigen Instanz, nicht zuletzt während des Arabischen Frühlings. Inzwischen macht sich Ernüchterung breit.
"Willkommen! Dies ist die erste Nachrichtensendung des Kanals Al Jazeera in Katar."
Es war etwas völlig Neues, was die Zuschauer in der arabischen Welt am 1. November 1996 über Satellitenschüssel in die Wohnzimmer geliefert bekamen: Fernsehen, das nicht nur staatliche Verlautbarungen oder Volkstanzgruppen zu traditioneller Musik ausstrahlte, sondern sich mit den Problemen vor der eigenen Haustür beschäftigte.
"Man kennt den Witz aus den Siebzigern in einem syrischen Theaterstück, wo in einem syrischen Dorf Schüsse zu hören sind. Dann sagt der eine Dorfbewohner zum anderen: 'Mach auf BBC London, damit wir wissen, was hier nebenan los ist'", erinnert sich Aktham Suliman, ehemaliger Deutschland-Korrespondent von Al Jazeera, in einem Interview mit dem alternativen Medium weltnetz.tv:
"Das war wirklich die mediale Landschaft in der arabischen Welt. Man muss BBC London hören, damit man weiß, was nebenan los ist. Ansonsten gab es keine richtige Öffentlichkeit im professionellen Sinne."
Neben News-Shows nach CNN-Vorbild gab es kontroverse Diskussionssendungen. Zuschauer konnten bei Al Jazeera anrufen und offen ihre Ansichten äußern.
"Al Jazeera kam mit dem neuen Anspruch, professionell und öffentlichkeitsorientiert zu agieren, die großen Fragen anzusprechen, die die arabischen Massen bewegen."
Hervorgegangen ist Al Jazeera aus einer gescheiterten Kooperation der BBC mit den Saudis. Der Emir von Katar heuerte die dort entlassenen Reporter an und gründete einen neuen Sender, der journalistisch unabhängig sein sollte. Schnell wurde Al Jazeera in der arabischen Welt zu einer glaubwürdigen Instanz.

Vom Westen eher skeptisch beäugt

Zwischen 1996 und 2003 war Al Jazeera der einzige arabische Nachrichtensender – das in Zeiten, wo bestimmte Themen eine große Rolle gespielt haben. Das ist die palästinensische Intifada, das ist der Irak-Krieg 2003, das sind die Anschläge vom 11. September.
Im Westen genoss Al Jazeera lange einen zweifelhaften Ruf. Die Reporter sprachen mit korrupten Politikern und Terroristen. Exklusiv bekam man die Botschaften von Osama bin Laden, aufgezeichnet in abgelegenen Höhlenverstecken in den Bergen Afghanistans.
Al Jazeera scheute auch keine Gefahren: Bei der Bombardierung von Kabul nach dem 11. September 2001 hatte man Leute vor Ort. Auch im Irakkrieg 2003 bedienten sich alle internationalen TV-Sender bei den Kollegen von Al Jazeera. Sie hatten ihre Kameras auf den Dächern der Häuser in Bagdad aufgestellt und sendeten von dort den Bombenhagel live in die Welt.
Bei den Schauplätzen der arabischen Revolutionen 2011 war Al Jazeera überall dabei: als Präsident Ben Ali mit dem Flugzeug Tunesien verließ, bei den Straßenschlachten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, bei der Tötung Gaddafis in Libyen. Und auch die nun schon mehrere Jahre andauernde Tragödie in Syrien läuft in einer Dauerschleife.
Von Beginn an war es ein Markenzeichen von Al Jazeera, sich über Tabus und Konventionen hinwegzusetzen und so den Boden für eine Demokratisierung der arabischen Welt zu bereiten. Doch bald nach dem Beginn der Aufstände 2011 machte sich Ernüchterung breit, auch bei den Journalisten, die für den Sender arbeiteten.

Al Jazeera: kein neutraler Beobachter mehr

Aktham Suliman: "Man war ursprünglich bei Al Jazeera, weil Al Jazeera freier war als andere arabische Medien, weil Al Jazeera aktiver war, professioneller war. Und plötzlich entdecken wir, dass die ganzen Krankheiten der arabischen Medien bei Al Jazeera sehr präsent geworden sind."
2012 verließ Aktham Suliman den Sender. Al Jazeera war kein neutraler Beobachter mehr, die Distanz zu den politischen Prozessen ging oft verloren. Die Führung in Katar hatte sich in Ägypten offen auf die Seite der Muslimbruderschaft geschlagen.
"Es war ganz klar: Wir sind ein staatlicher Sender geworden - von Katar. Und Katar betreibt eine ganz merkwürdige und umstrittene Politik in der Region. Und wir sind sozusagen die gekauften Journalisten, die die technische, die professionelle Arbeit zu erledigen haben."
Aus dem kleinen TV-Kanal ist seit 1996 ein globaler Medienkonzern geworden – mit Doku-, Kinder- und Sportprogrammen und auch einem englischsprachigen News Channel. Doch trotz aller Kritik: Al Jazeera ist aus der internationalen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken.
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