Von Ulrike Timm

12.06.2008
Die "Süddeutsche Zeitung" erklärt ihren Lesern die Bedeutung von "Krüsimüsi", und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" beschäftigt sich mit dem "Bewusstseinszustand Schönheit". Mehrere Feuilletons widmen sich dem stillen Tod der Zeitschrift "Kursbuch".
Nein, das war einfach ein bisschen zu viel Krüsimüsi. Der Kommentar zum Spiel der deutschen Mannschaft gegen Kroatien steht im Feuilleton der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und wurde schon vor dem Anpfiff gedruckt. Eigentlich wollten die Kollegen nur die Sprache eines kreativen Sportreporters analysieren. Krüsimüsi also.

Schweizerischer Ausdruck für Rudelbildung bei gleichzeitig leicht ziellosen Durcheinander, oder auch "kleine Ansammlung von gestenreich diskutierenden Fußballern". Nundenn. Ganz gleich, ob sich das Krüsimüsi - oder heißt es der Krüsimüsi? - kurz, ganz gleich, ob sich die Form der deutschen Mannschaft nun noch wiederfindet oder nicht, das EM-Tagebuch der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG empfehlen wir täglich aufs Neue und von Herzen.

Ergibt allzu angestrengt gesuchter Kontakt von Neurowissenschaft und Kunst vielleicht auch Krüsimüsi? Der Verdacht beschleicht uns beim Studium der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. In Berlin wurde eine Forschungsgruppe Neuroästhetik ins Leben gerufen. Sie sucht unter anderem nach dem"Bewusstseinszustand Schönheit". Das ist tapfer, doch was der Zweck der Fusion von Neurologie und Kunst sein soll, erschließt sich trotz eines langen Interviews weder dem Interviewer noch dem Leser so recht.

"Mein persönlicher Freiheitsgedanke ist, dass auch die Kunst vielfältig sein darf","

sagt der Neurobiologe Alexander Abbushi doch tatsächlich der FAZ. Nochmal: Die Kunst darf vielfältig sein. Wegen der Freiheit. Aha. Da ist wirklich viel Hirnschmalz getropft. Oder doch eher Krüsimüsi?

Auch, dass sich bei jemandem, den ein Bild begeistert und der dafür eine zehn gibt, mehr in Herz und Hirn regt als bei jemandem, der seinen Eindruck mit einer müd-gelangweilten zwei benotet, ist vielleicht doch nicht so richtig erstaunlich. Aber natürlich ist es schön, dass die Hirnstromkurve das zeigt. Kurzum, "was Neurobiologen sehen, wenn sie Kunst sehen", scheint weniger Geheimnis zu bergen, als sich die FAZ erhoffte. Und natürlich wünschen wir der neuen Gesellschaft für Neuroästhetik trotzdem alles Gute, und dass sie den "Bewusstseinszustand Schönheit" findet - ob wir ihn nun brauchen oder nicht.

Das KURSBUCH jedenfalls, einst legendäre Intellektuellenzeitschrift der 68er, wird nicht mehr gebraucht. Darin sind sich die Feuilletons einig, selbst die Nachrufe auf die jetzt eingestellte Zeitschrift fallen erstaunlich wehmutsfrei aus.

""Das Kursbuch hat sich mit den Lehrergenerationen, die es sich hielten, verbraucht. Die alte Schnittigkeit kam ihm abhanden, es war schon länger, was es seinem linksautoritären Gründungsgestus zufolge nie sein wollte: eine Stimme unter vielen","

schreibt die WELT. "'Kursbücher', hieß es in der ersten Nummer, ‚schreiben keine Richtung vor, sie geben Verbindungen an'", so zitiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, und die FRANKFURTER ALLGEMEINE kommentiert:

""Kursbücher, die niemand liest, handeln offenbar von Verbindungen, die niemand benutzt."

Und weiter:

"Nicht also die Linke ist verschwunden, sondern ihre Fähigkeit zu überraschen."

Am lapidarsten und schärfsten urteilt die FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Das 'Kursbuch' wird eingestellt. Das ist eine gute Nachricht."

Was bleibt, ist die Erinnerung an glorreiche Zeiten, und - vor allem - an die ersten Ausgaben unter der Ägide von Hans Magnus Enzensberger und Karl Markus Michel, die Jahre später sogar noch einmal komplett nachgedruckt wurden.

Anfang der 70er war das Kursbuch wirklich so etwas wie das "Zentralorgan der bundesrepublikanischen Intelligenz", dann folgten viele Jahre des Dahindümpelns und nun ein stiller Tod, dem alle Feuilletons Nachrufe widmen, aber keines trauert wirklich.

"Fein, aber fade", so beschreibt die BERLINER ZEITUNG die letzten Ausgaben. Vielleicht hat dem intellektuellen Diskurs einfach ein kräftiger, lebendiger Schuss Krüsimüsi gefehlt…