Von Spaß bis Angst

Die Lust an schlechten Nachrichten

Aufnahme eines Luftangriffs in Mossul (Irak).
Aufnahme eines Luftangriffs in Mossul (Irak). © AP
Von Katharina Kühn  · 28.10.2017
Geht es bei den Artikeln, die Menschen in der Zeitung oder im Internet lesen, wirklich um Wissen? Oder gruseln wir uns einfach gerne über furchterregende Neuigkeiten? Katharina Kühn über die Lust an schlechten Nachrichten.
Ist das gruselig, was da in den USA passiert. Und schlimm, diese Tsunamis. Und diese Krise – also die finanzielle, politische oder gesellschaftliche, suchen Sie sich eine aus, in unserem Krisenmodus ist ja für jeden das passende dabei. Wir sind ständig im Nachrichtenfluss. Kaum aufgewacht, checken wir schon unseren Newsfeed auf Twitter, Facebook und Spiegel Online. Im Bad läuft das Radio, beim Frühstück sowieso.
Jede neueste Entwicklung können wir verfolgen, die noch so kleine Bemerkung des Wahnsinnigen aus Übersee live miterleben, die genaue Ausdehnung eines Waldbrandes nachvollziehen, durch die Webseiten, die Push-Alerts auf dem Handy und die Eilmeldungen im Radio und Fernsehen.

Ähnlich wie bei den Gladiatorenkämpfen

Und irgendwie... macht das Spaß. Oder warum schauen wir sonst immer wieder hin? Die Steinzeit ist schuld. Unsere Steinzeit-Gene: Es war damals wichtiger, eine Gefahr einzuschätzen, zu wissen, wo der Säbelzahntiger ist, als eine schöne Geschichte zu hören. Dazu kommt: Wir sind grausam. Iris Hauth leitet die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee.
Hauth: "Denken Sie nur an die Gladiatorenkämpfe in Rom, wie das grölende Volk sich daran ergötzt hat, wie Menschenleiber von Löwen zerrissen wurden, also diese Mischung aus Angst, aber auch in Sicherheit zu sein und auf der anderen Seite auch irgendwie ein Lustgefühlt dabei zu haben, ist eine offensichtlich tief menschliche Reaktion und wenn man sich das Gehirn dazu anschaut, reagiert das Gehirn auch mit einem höheren Erregungszustand bei solchen aufregenden, mit Grausamkeit und Gewalt einhergehenden Bildern und Texten, als auf schöne Bilder und schöne Texte."
Frau Hauth denkt dabei übrigens nicht an ihre Patienten, wenn sie von dieser grausamen Faszination spricht:
"In einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie werden ja Patienten eingeliefert, die psychisch in großer Not sind, manchmal dabei auch sehr aufgeregt sind und manchmal ist die Polizei auch dabei, wenn es um lebensmüde Gedanken geht und da haben wir schon erlebt, dass dann die Fußgänger auf den Krankenwagen gehalten haben, auf die Polizei und auf den Betroffenen."

Voyeurismus gegen Medien-Hygiene

Wo fängt dieser tägliche Voyeurismus an? Erst wenn wir mit dem Handy einen Unfall aufnehmen? Oder schon bei den Polizeimeldungen, bei den Aufnahmen von Flutopfern, bei den Berichten über grausame Tötungen des IS? Und was macht das mit uns? Maren Urner, Neurowissenschaftlerin:
Urner: "Das Problem dabei ist dann halt, dass das langfristig dazu führen kann, dass wir nicht nur gestresst sind, weil wir einfach die ganze Zeit in dieser Alarmbereitschaft sind, sondern dass wir tatsächlich auch langfristig psychologische Folgen davon haben können, die eben sehr negativ sind, also dass wir zum Beispiel in so einem Zustand der gelernten Hilfslosigkeit kommen."
... also resignieren, weil wir scheinbar nichts gegen das Leid unternehmen können. Urner will diesem Gefühl entgegenwirken und hat die Internetseite Perspective Daily mitgegründet, die sich auf konstruktiven Journalismus* konzentriert, also zum Beispiel nicht über die Katastrophen, sondern über mögliche Hilfestellungen nach den Katastrophen berichten möchte. Und als Privatperson? Wäre es nicht an der Zeit, sich von den Angstreaktionen der Steinzeitmenschen zu verabschieden?
"Der erste Schritt ist immer die Erkenntnis, ok, da ist irgendwie etwas, was ich ändern möchte, also so ein bisschen so wie wenn jemand mit dem Rauchen aufhören möchte und genauso ist es auch mit den Informationen, die wir an uns ranlassen wollen oder können, da auch ganz bewusst dann für sich zu entscheiden, welche Informationen möchte ich nutzen, welche Kanäle möchte ich nutzen, welche Medien möchte ich nutzen und wie lang bin ich auch zum Beispiel im Internet, in den sozialen Medien unterwegs und so weiter und was macht das mit mir?"
Urner spricht von einer Medien-Hygiene. Sie vergleicht das mit Zähneputzen. Die Zahnbürste hat der Menschen ja auch nicht von Anfang an benutzt.

* In einer früheren Fassung des Beitrags hatten wir an dieser Textstelle eine andere Definition verwendet.
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