Von Paris in die Provinz

Von Jörn Florian Fuchs · 23.03.2008
Sarashina heißt eine Gegend in Japan, benannt nach einer Tagebuchschreiberin aus dem elften Jahrhundert. Über die Dame und ihre intimen Bekenntnisse realisierte der ungarische Komponist Peter Eötvös vor knapp zehn Jahren ein Klangtheater mit dem Titel "As I Crossed a Bridge of Dreams". Für die Aufführung in Lyon hat Eötvös das Stück erweitert und die Besetzung verändert.
Das recht üppige Orchester, inklusive ausgedehntem Schlagwerk, liefert den Grundstock für ein Vokaltrio und die Sarashina-Sopranistin. Selbige gestaltet formschön-farbige Bögen über Einsamkeit, schlechtes Karma, Pilgerschaft, verlorene oder nie erreichte Liebe. Und sie besingt ausführlich den zu allen Jahreszeiten - aber besonders im Frühling - wunderbar leuchtenden Mond.

Des Öfteren greift das Sangestrio korresponierend, kommentierend oder selbst träumend in die episodische Handlung ein. Neun Szenen, neun Tagebucheinträge fließen vorüber, vom japanischen Edelbühnendesigner Ushio Amagatsu elegant choreographiert und arrangiert. Eine Art Paravent in der Mitte teilt den Raum, hinten bewegen sich zwei Kreise aufeinander zu und streben am Schluss sanft wieder auseinander.

Ein bisschen mehr musikalischen Esprit hätte man sich allerdings schon gewünscht, Eötvös hält sich in Sachen Avantgarde vornehm zurück und irgendwann nerven die recht monotonen asiatischen Akkorde sowie die vielen Glocken und Glöckchen dann doch. Zur Entschädigung sang Mireille Delunsch die Sarashina-Partie ganz wunderbar, auch das Traum-Trio überzeugte, vor allem durch den stimmkräftigen Einsatz von Salomé Kammer. Unter Leitung des Komponisten spielte das Orchestre de l’Opéra de Lyon vorzüglich, den nachhaltigsten Eindruck hinterließen einige von den Balkonen aus spielende Klarinetten.

Weiter südlich, an der Opéra National de Montpellier Languedoc-Roussillon ließ es der Hausherr René Koering heftig krachen. Koerings erstes Bühnenwerk überträgt Kleists "Penthesilea" in eine gediegen moderne, aber sehr eruptive Klangsprache, orientiert an Richard Strauss und - vor allem - an Othmar Schoeck. Die Hauptfiguren Penthesilea und Achilles sind gedoppelt, sie singen deutsch und sprechen französisch. Dadurch werden frappierende dramaturgische und musikalische Überlappungen möglich. Die Sprechrolle der Penthesilea übernimmt Dörte Lyssewski und sie bietet im Wortsinne eine furiose Leistung.

Georges Lavaudants Inszenierung arbeitet vor allem mit dem Mythos, ausgeklügelte Licht- und Schattenspiele wechseln mit Bildern von existenzieller und dadurch sehr gegenwärtiger Eindringlichkeit.

In Paris liefern sich derzeit sämtliche Opernhäuser eine regelrechte Premierenschlacht. Dabei gibt es die großen Klassiker zu bestaunen, aber auch Rares zu entdecken. Das Théâtre du Châtelet bietet mit Albert Roussels Indien-Oper "Padmavati" ein sehr selten gespieltes Werk, die Story um eine erst naive, dann jedoch zunehmend selbstbewusstere Angetraute eines illustren Prinzen wird im Châtelet zur knallbunten Bollywoodrevue mit echten Elefanten und Raubkatzen. Ebenfalls grell geht es im altehrwürdigen Palais Garnier zu.

Olivier Py, momentan wohl der erfolgreichste Opern- und Sprechtheaterregisseur Frankreichs, widmete sich Strawinskys skurriler Oper "The Rake’s Progress". Leider fielen ihm für die Höllenfahrt eines lebenssüchtigen Taugenichts nur bunte Bilder und oberflächliche Effekte ein. An der Bastille-Oper dagegen zeigte der auch in unseren Landen einschlägige Krzysztof Warlikowski seine Deutung des "Parsifal". Überraschend konventionell und nachgerade christlich wird das Erlösungsgeschehen zelebriert, dazu kommen Filmbilder und neue Figuren, die gleichsam vorsichtig-tastend die Handlung erweitern.

Die Sensation jedoch zaubert im Graben und heißt Hartmut Haenchen, der Wagner so dirigiert, wie man es sich immer erträumt hat. Nichts wird verschleppt, nichts dröhnt oder scheppert, stattdessen gibt es ein Klangbad, in das man sich gerne stundenlang fallen lässt, weil es nie überschwappt, nie vor sich hin blubbert und immer die richtige Temperatur hat.

An der Opéra Comique hingegen herrscht momentan der Pirat Zampa, der in Louis Hérolds 1831 uraufgeführter Oper gleichen Namens für Unruhe sorgt. Der Draufgänger hatte einst ein Mädel in den Tod getrieben, als er neues Liebes-Unheil anrichten will, kommt die Tote in Form einer Marmorstatue zurück und schickt ihn straks in die Unterwelt - am Schluss sind alle trotz des eher "unhappy ends" froh, denn "Zampa" ist eine großartige komische Oper mit ausschweifender Freude an nachpfeifbaren Melodien und kräftigen Rhythmen. Das Regieduo Macha Makeieff und Jérôme Deschamps hat ebenso großen Spaß am Spiel wie William Christie, der sich mal abseits seines üblichen barocken Repertoires bewegt und feurige Knalleffekte mit präzisen symphonischen Läufen verbindet. Und wir sagen: danke, Maestro!