Von Klaus Pokatzky
Die umstrittene Nierenspende-Show im niederländischen Fernsehen beherrschte in dieser Woche die Diskussion in den Feuilletons der deutschen Zeitungen.
Die Feuilletons befassen sich mit einer Spielshow in den Niederlanden, in der eine gespendete Niere zu gewinnen ist. Die "Frankfurter Allgemeine urteilt: einfach widerlich. Außerdem in den Feuilletons: der irische Afrika-Lobbyist Bob Geldof durfte als Chefredakteur der "Bild"-Zeitung wirken und ein Rückblick auf die Geschichte des G8-Tagungsorts Heiligendamm.
"Der aufrechte Gang hat sich möglicherweise schon früh bei baumbewohnenden Affen entwickelt und nicht erst bei den direkten Ahnen des Menschen."
Das lasen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über neue Studien, nach denen vielleicht schon der Affe auf dem Baume aufrecht gehen konnte – was wieder Argumente liefert für seine tiefe Seelenverwandtschaft zu uns Menschen.
"Hollands letzte Niere", war eine Glosse in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN überschrieben, deren erster Satz lautete:
"Die Idee klingt so widerlich, dass sie nur aus dem holländischen Fernsehen stammen kann."
Das klingt anti-holländisch und wird daher von uns nicht geschätzt: als Monarchisten im Allgemeinen und Anhänger des Hauses Nassau-Oranien im Besonderen. Doch die Idee klang wirklich so widerlich, dass sie nur aus dem Fernsehen – aus welchem auch immer – stammen konnte.
"Im Jugendsender BNN sollen am kommenden Freitag drei nierenkranke Patienten vor laufender Kamera um eine Spenderniere kämpfen, die eine sterbende Frau ausgelobt hat","
fasste die FRANKFURTER ALLGEMEINE am Mittwoch das zusammen, was dann flugs nicht nur die EU-Kommission als "geschmacklos" bezeichnete. "Würde ich", fragte allerdings in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG eine Betroffene, "an einer Sendung teilnehmen, die mir die 33-prozentige Chance auf eine Niere verspricht? Natürlich würde ich das." Das schrieb die Schriftstellerin Slavenka Drakulic, die mit einer gespendeten Niere lebt – und deren ebenso sensibler wie verschreckender Artikel eine anrührende Facette zu der Diskussion über die widerliche Idee der holländischen Fernsehmacher lieferte. Und dann war ja plötzlich alles ganz anders.
"Die in aller Welt vorab heftig umstrittene Show entpuppte sich als Inszenierung", steht im Berliner TAGESSPIEGEL vom Sonntag:
""Die 37-jährige vermeintlich todkranke Lisa, die ihre Niere am Ende der Show einem von drei Kandidaten spenden wollte, war die Schauspielerin Leonie, die Kandidaten waren echte Patienten und eingeweiht","
schreibt Rolf Brockschmidt – und:
""Der sozialdemokratische Medienminister Plasterk fand die Form der Spielshow 'eine intelligente Art', um auf den Mangel an Organspendern in den Niederlanden aufmerksam zu machen."
Zuvor hatte der sozialdemokratische Medienminister Plasterk das Unternehmen noch als "unpassend und unethisch" bezeichnet. Und, wenn man im TAGESSPIEGEL die Details der Sendung liest, wie die Schauspielerin Lisa zunächst mal aus 25 Kandidaten drei auswählt, dabei erst die über Fünfzigjährigen aussondert, dann die Raucher und Ex-Raucher, die Kinder unter 18 Jahren, die Arbeitslosen – dann muss man dieses trotz aller guten Absicht wirklich nicht als passend und ethisch bezeichnen. "Ein Kalkül scheint zumindest aufzugehen", heißt es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG:
"12.000 Anrufer sollen sich spontan bereit erklärt haben, Organspender zu werden."
1,2 Millionen Menschen vor den Bildschirmen, 200 Zuschauer im Studio. "Während man die Motive aller Beteiligten zumindest nachvollziehen kann, haben die Zuschauer keine Entschuldigung dafür, dass sie sich das anschauen", hatte noch vor der Enthüllung als Bluff in der SÜDDEUTSCHEN Slavenka Drakulic geschrieben:
"Ist Voyeurismus Teil der menschlichen Natur?"
Ja, kann man da nur antworten. So schlimm ist der gewöhnliche Affe nicht. Und ganze Zeitungen leben vom menschlichen Voyeurismus der ekelhaftesten Art.
"Am Freitag erschien 'Bild' mit der Schlagzeile: 'Schluss damit! Jetzt!'"
Das stand im TAGESSPIEGEL und damit war natürlich nicht gemeint, dass die Bild-Zeitung damit aufhören will, mit dem Appell an die niedersten Instinkte Geld zu machen. Es war nur mal wieder eine geniale Bild-PR-Idee, vor der man nur sprachlos den Hut ziehen kann.
"Am Donnerstag hat die Boulevardredaktion den irischen Popstar und Afrika-Lobbyisten Bob Geldof für einen Tag zum Chefredakteur des Blattes gemacht","
hieß es im TAGESSPIEGEL – und am Freitag konnten wir alle lesen, wie Sir Bob Geldof aus dem Millionenblatt ein Medium der kritischen Protest-Begleiter des G8-Gipfels in Heiligendamm gemacht hatte – mit Künstlern und Unternehmern, Politikern und Sportlern, die von der deutschen Regierung forderten: "Machen Sie endlich Schluss mit dem Elend!". So viel Mitleid mit den AIDS-kranken Kindern in Afrika und den anderen Armen dieser Welt war noch nie. "Außer Marie-Luise Marjan fehlte kaum ein prominenter Armutsgegner auf der Liste", schreibt Harald Staun in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG:
"Und dennoch erhöhte es eher die Ratlosigkeit, dass auch Angela Merkel und George W. Bush so deutliche Töne gegen die deutsche Regierung anschlugen. Aber wer weiß: Vielleicht half die Aktion ja tatsächlich, ein paar Leute zu überzeugen, die Armut bisher für eine gute Sache hielten."
So wie die holländische Nierenshow ja auch hoffentlich die Spenderbereitschaft erhöht hat…
"Als Anfang der sechziger Jahre FKK in der DDR Mode wurde, besaß Heiligendamm längst einen medizinisch gebotenen Nacktbadestrand."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE klärte uns dankenswerterweise über die Geschichte des Tagungsortes des G8-Gipfels in der kommenden Woche auf: vom herzoglich mecklenburgischen ersten deutschen Seebad 1793 bis zum "Sanatorium der Werktätigen" in der DDR.
"Abendliche Konzerte unter freiem Himmel inmitten der strahlend weißen klassizistischen und neoklassizistischen Kurgebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert waren für Patienten aus allen sozialen Schichten ein bleibendes Erlebnis","
schrieb der Autor in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN aus eigenem Erleben, denn, so teilte uns die redaktionelle Fußnote mit:
""Zu DDR-Zeiten wurden ihm zwischen 1963 und 1989 sechs medizinisch indizierte Kuren in Heiligendamm bewilligt."
Der heutige Autor und frühere Heiligendamm-Kurer heißt Harald Wessel, "leitete das Wissenschaftsressort des 'Neuen Deutschland' und schreibt heute für die 'Junge Welt'."
Normalerweise käme der wahrscheinlich nicht an den Pförtnern der FRANKFURTER ALLGEMEINEN vorbei – Heiligendamm bringt die dollsten Koalitionen zustande. Weitere in einer Woche.
"Der aufrechte Gang hat sich möglicherweise schon früh bei baumbewohnenden Affen entwickelt und nicht erst bei den direkten Ahnen des Menschen."
Das lasen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über neue Studien, nach denen vielleicht schon der Affe auf dem Baume aufrecht gehen konnte – was wieder Argumente liefert für seine tiefe Seelenverwandtschaft zu uns Menschen.
"Hollands letzte Niere", war eine Glosse in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN überschrieben, deren erster Satz lautete:
"Die Idee klingt so widerlich, dass sie nur aus dem holländischen Fernsehen stammen kann."
Das klingt anti-holländisch und wird daher von uns nicht geschätzt: als Monarchisten im Allgemeinen und Anhänger des Hauses Nassau-Oranien im Besonderen. Doch die Idee klang wirklich so widerlich, dass sie nur aus dem Fernsehen – aus welchem auch immer – stammen konnte.
"Im Jugendsender BNN sollen am kommenden Freitag drei nierenkranke Patienten vor laufender Kamera um eine Spenderniere kämpfen, die eine sterbende Frau ausgelobt hat","
fasste die FRANKFURTER ALLGEMEINE am Mittwoch das zusammen, was dann flugs nicht nur die EU-Kommission als "geschmacklos" bezeichnete. "Würde ich", fragte allerdings in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG eine Betroffene, "an einer Sendung teilnehmen, die mir die 33-prozentige Chance auf eine Niere verspricht? Natürlich würde ich das." Das schrieb die Schriftstellerin Slavenka Drakulic, die mit einer gespendeten Niere lebt – und deren ebenso sensibler wie verschreckender Artikel eine anrührende Facette zu der Diskussion über die widerliche Idee der holländischen Fernsehmacher lieferte. Und dann war ja plötzlich alles ganz anders.
"Die in aller Welt vorab heftig umstrittene Show entpuppte sich als Inszenierung", steht im Berliner TAGESSPIEGEL vom Sonntag:
""Die 37-jährige vermeintlich todkranke Lisa, die ihre Niere am Ende der Show einem von drei Kandidaten spenden wollte, war die Schauspielerin Leonie, die Kandidaten waren echte Patienten und eingeweiht","
schreibt Rolf Brockschmidt – und:
""Der sozialdemokratische Medienminister Plasterk fand die Form der Spielshow 'eine intelligente Art', um auf den Mangel an Organspendern in den Niederlanden aufmerksam zu machen."
Zuvor hatte der sozialdemokratische Medienminister Plasterk das Unternehmen noch als "unpassend und unethisch" bezeichnet. Und, wenn man im TAGESSPIEGEL die Details der Sendung liest, wie die Schauspielerin Lisa zunächst mal aus 25 Kandidaten drei auswählt, dabei erst die über Fünfzigjährigen aussondert, dann die Raucher und Ex-Raucher, die Kinder unter 18 Jahren, die Arbeitslosen – dann muss man dieses trotz aller guten Absicht wirklich nicht als passend und ethisch bezeichnen. "Ein Kalkül scheint zumindest aufzugehen", heißt es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG:
"12.000 Anrufer sollen sich spontan bereit erklärt haben, Organspender zu werden."
1,2 Millionen Menschen vor den Bildschirmen, 200 Zuschauer im Studio. "Während man die Motive aller Beteiligten zumindest nachvollziehen kann, haben die Zuschauer keine Entschuldigung dafür, dass sie sich das anschauen", hatte noch vor der Enthüllung als Bluff in der SÜDDEUTSCHEN Slavenka Drakulic geschrieben:
"Ist Voyeurismus Teil der menschlichen Natur?"
Ja, kann man da nur antworten. So schlimm ist der gewöhnliche Affe nicht. Und ganze Zeitungen leben vom menschlichen Voyeurismus der ekelhaftesten Art.
"Am Freitag erschien 'Bild' mit der Schlagzeile: 'Schluss damit! Jetzt!'"
Das stand im TAGESSPIEGEL und damit war natürlich nicht gemeint, dass die Bild-Zeitung damit aufhören will, mit dem Appell an die niedersten Instinkte Geld zu machen. Es war nur mal wieder eine geniale Bild-PR-Idee, vor der man nur sprachlos den Hut ziehen kann.
"Am Donnerstag hat die Boulevardredaktion den irischen Popstar und Afrika-Lobbyisten Bob Geldof für einen Tag zum Chefredakteur des Blattes gemacht","
hieß es im TAGESSPIEGEL – und am Freitag konnten wir alle lesen, wie Sir Bob Geldof aus dem Millionenblatt ein Medium der kritischen Protest-Begleiter des G8-Gipfels in Heiligendamm gemacht hatte – mit Künstlern und Unternehmern, Politikern und Sportlern, die von der deutschen Regierung forderten: "Machen Sie endlich Schluss mit dem Elend!". So viel Mitleid mit den AIDS-kranken Kindern in Afrika und den anderen Armen dieser Welt war noch nie. "Außer Marie-Luise Marjan fehlte kaum ein prominenter Armutsgegner auf der Liste", schreibt Harald Staun in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG:
"Und dennoch erhöhte es eher die Ratlosigkeit, dass auch Angela Merkel und George W. Bush so deutliche Töne gegen die deutsche Regierung anschlugen. Aber wer weiß: Vielleicht half die Aktion ja tatsächlich, ein paar Leute zu überzeugen, die Armut bisher für eine gute Sache hielten."
So wie die holländische Nierenshow ja auch hoffentlich die Spenderbereitschaft erhöht hat…
"Als Anfang der sechziger Jahre FKK in der DDR Mode wurde, besaß Heiligendamm längst einen medizinisch gebotenen Nacktbadestrand."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE klärte uns dankenswerterweise über die Geschichte des Tagungsortes des G8-Gipfels in der kommenden Woche auf: vom herzoglich mecklenburgischen ersten deutschen Seebad 1793 bis zum "Sanatorium der Werktätigen" in der DDR.
"Abendliche Konzerte unter freiem Himmel inmitten der strahlend weißen klassizistischen und neoklassizistischen Kurgebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert waren für Patienten aus allen sozialen Schichten ein bleibendes Erlebnis","
schrieb der Autor in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN aus eigenem Erleben, denn, so teilte uns die redaktionelle Fußnote mit:
""Zu DDR-Zeiten wurden ihm zwischen 1963 und 1989 sechs medizinisch indizierte Kuren in Heiligendamm bewilligt."
Der heutige Autor und frühere Heiligendamm-Kurer heißt Harald Wessel, "leitete das Wissenschaftsressort des 'Neuen Deutschland' und schreibt heute für die 'Junge Welt'."
Normalerweise käme der wahrscheinlich nicht an den Pförtnern der FRANKFURTER ALLGEMEINEN vorbei – Heiligendamm bringt die dollsten Koalitionen zustande. Weitere in einer Woche.