Von Heimatliebe und Terrorismus

11.10.2006
Wie werden aus musisch veranlagten Jugendlichen militante ETA-Terroristen? Der Schriftsteller Bernardo Atxaga zeichnet in "Der Sohn des Akkordeonspielers" den Weg zweier Jugendfreunde nach, deren Heimatverbundenheit in militante Aggression umschlägt. Auch hier verhandelt Atxaga sein zentrales Motiv der baskischen Identität.
Richtig zueinander konnten die beiden Jugendfreunde Joseba und David nach langen Jahren der Trennung nicht mehr kommen. David, jener "Sohn des Akkordeonspielers", stirbt 1999 auf einer Ranch in Kalifornien. Aber er hinterlässt ein autobiographisches Romanmanuskript, das seine Witwe dem Freund Joseba übergibt. Jenen Text überarbeitet, ergänzt Joseba - auf diese Weise das nicht mehr stattgefundene Gespräch gleichsam simulierend - und publiziert ihn. Es ist die Geschichte einer Freundschaft, die sich abspielt vor dem Hintergrund der dramatischen historischen Ereignisse im spanischen Baskenland des 20. Jahrhunderts.

Als Jugendlicher entdeckt David Mitte der 60er Jahre, dass sein Vater, zu dem er ein ohnehin gebrochenes Verhältnis hat, während des Bürgerkriegs entweder selbst zum Mörder geworden oder als Denunziant indirekt an Morden beteiligt war. Die Kluft zwischen Vater und Sohn wird nur tiefer, als David weiter recherchiert und auf diese Weise die Geschichte der Generation der Väter im fiktiven Dorf Obaba zusammen trägt.

Der Bürgerkrieg erscheint in diesem Mikrokosmos nicht nur als ein politisch motivierter Konflikt, vielmehr zeigt die akribische Rekonstruktion der Ereignisse, dass Neid, Habsucht, persönliche Feindschaft ebenso Antriebskräfte dieses brutalen "Bruderkriegs" sein konnten - und waren.

David fühlt sich immer stärker hingezogen zu den einfachen Leuten - Waldarbeitern, Pferdezüchtern -, die durchaus roh sind, dabei aber aufrichtig und unverstellt. Zudem sprechen sie nicht das von Franco zur absoluten Norm erklärte Spanisch, sondern pflegen die archaische baskische Sprache. Die Landschaft, die Natur, die Sprache und die Aufrichtigkeit der Menschen verschmelzen zu einem Ideal, dem die ungeliebte Vater-Welt des Franquismus' gegenüber steht.

David geht schließlich zum Studium nach Bilbao, und fast unmerklich geht der "kulturelle" Nationalismus in einen militanten über. Aus einer Art Heimatverbundenheit und Liebe zur baskischen Sprache wird militante Abwehr, wird schließlich gewalttätige Aggression, die ins Umfeld des Terrorismus führt, obwohl der ursprüngliche Impuls, der Kampf gegen Franco und sein System, seit dem Tod des Diktators eigentlich keine Grundlage mehr hat. Und auch hier lauern letztlich die gleichen Konflikte und Abgründe, lauern Verrat und moralische Zweifel ...

Bernardo Atxaga (Jahrgang 1951) gilt als der bedeutendste Autor des Baskenlandes. Er schreibt auf Baskisch und übersetzt erst danach seine Texte ins Spanische. Der Durchbruch gelang ihm mit dem Roman "Obabakoak", für den er 1989 den spanischen Nationalpreis für Literatur erhielt. Der vorliegende Roman bildet den Abschluss einer Romantrilogie, in der der Autor sein großes Thema entfaltet hat: das Verhältnis von baskischer Identität und baskischem Nationalismus, die komplizierten Schwingungen zwischen Spanien und dem Baskenland, den Antagonismus zwischen Natur-Idyll und Gewalttätigkeit.

Rezensiert von Gregor Ziolkowski

Bernardo Atxaga: Der Sohn des Akkordeonspielers
Roman. Aus dem Spanischen von Mathias Strobel
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2006.
463 Seiten, 24,80 Euro.