Von guten und schlechten Gebäuden

11.12.2006
Architektur lässt sich heute mitunter schlecht vergleichen, da technisch fast alles möglich ist. Die Frage nach guter Architektur könnte demnach zur reinen Geschmacksfrage reduziert werden. Dennoch unternimmt Jürgen Tietz den Versuch, durch Befragung von 21 Architekturnutzern und -kritikern eine Orientierung zu bieten.
Es gibt Häuser, die machen glücklich. Die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun etwa. Sie taucht gleich zwei Mal in dem kleinen Büchlein auf, das fragt, "Was ist gute Architektur?" Zu Recht schwelgen der Architekt Konrad Wohlhage und der Dirigent Kent Nagano über diesen einzigartigen Bau. Wo sonst kann man die höchste Musikkultur so entspannt flanierend genießen, so leicht die Treppen emporschweben, wo sonst hört der Musiker sich so gut wie das Publikum, wo ist man sich sonst so nahe, ohne kuscheln zu müssen?

Andere Häuser sind eher Denkspiele. Louis Kahns Salk Institute in Kalifornien etwa, ein strenges Kloster in Sichtbeton, geometrisch klar unter gleißender Sonne mit weitem Blick auf den Pazifik. Man muss sich hier einsehen, die Kunst der Fuge lernen wollen, bevor man die Qualität eines solchen Baus erfährt.

21 Architekturnutzer, Architekturkritiker, vor allem aber Architekten hat der Berliner Architekturkritiker und Architekturhistoriker Jürgen Tietz gefragt; die Antworten sind meist genaue Baubeschreibungen. Denn nur so, scheint's, wagt man sich noch an ein Urteil heran. Wir leben in einem Zeitalter, in dem technisch und - wenigstens im reichen Westen - ökonomisch fast alles möglich ist zu bauen. Selbst Frank Gehrys Knautscharchitektur lässt nur die PC-Festplatten rauchen.

Da sind Maßstäbe schwer zu finden. Schinkels Altes Museum konnte man mit Klenzes Glyptothek vergleichen und sehen, der Berliner hat die raffinierten Ecklösungen, besseren Proportionen, den ökonomischeren Grundriss, der Münchner mehr Gefühl für Repräsentation und Eleganz. Aber ob man die raffiniert gebrochene Lichtregie in der neuen Synagoge Dresden von Wendel-Höfer oder das direkt einfallende, jedoch durch farbige Scheiben getönte Licht der Pfarrkirche St. Florian in Wien von Rudolf Schwarz mehr liebt - das ist zuvorderst einmal eine Frage des Geschmacks.

Erstaunlich ist, wie schnell selbst diejenigen, die eigentlich als Architekturnutzer gefragt wurden, in den absolutistischen Duktus der klassischen Architekturkritik verfallen. Wir wollen gar nicht bestreiten, dass die Tate Modern in London ein großartiger Bau ist. Der Berliner Opernmanager Manfred Schindhelm aber erklärt ihn gleich zu einem der "schönsten Museumsbauten" an und für sich. Vor solchem Urteil sollte man schon fragen, was dieser Bau gekostet hat, welche Verluste am alten Kraftwerk entstanden, ob es sinnvoll ist, nur ein Drittel eines Gebäude zu nutzen, den Rest als Riesenhalle zu haben und kurz nach der Eröffnung festzustellen: Oh, wir haben zu wenig Ausstellungsplatz. Woraufhin die gleichen Architekten Herzog und de Meuron einen weiteren Neubau neben der Tate Modern errichten sollen. Wie gesagt, ein großartiges Projekt, aber man sollte schon fragen müssen, bevor die Architekturkritikerlaune einen übermannt.

Es gibt auch deswegen die Zyniker wie Dietmar Steiner vom Architekturzentrum Wien, der behauptet, nur Architektur vor der Architektur sei richtige Architektur und dafür bewundernd die ausgeweidete Ruine des Palais de Tokyo in Paris als Beispiel heranzieht. Ist ja ganz nett, so eine Lust an der Ruine, aber weder ist das besonders neu, dass sich Architekten und Architekturkritiker kulturpessimistisch auf das Grundsätzliche zurückziehen, noch kann man die ganze Welt in kulturzentrumsbewegte Ruinen verwandeln.

Falk Jäger, auch er eher pessimistisch, was übergeordnete Beurteilungskriterien von Architektur angeht, weist doch immerhin auf eines hin: Ohne die Umweltbilanz eines Gebäudes zu kennen dürfte eigentlich keine Kritik mehr geschrieben werden. Wenn Architekten über blitzende Aluminiumhäute und feste Sandsteinmauern schwärmen, muss man fragen, wie diese denn produziert wurden und wie weit das Material mit welchen Mitteln transportiert wurde.

Eine Architektursprache wird in diesem Kanon übrigens vollkommen ausgeblendet, nämlich das, was wir als High-Tech-Architektur in der Art des Centre Pompidou, der Arbeiten des Süddeutschen Thomas Herzog oder auch Renzo Pianos kennen. Und außerdem scheint gute Architektur nur in Westeuropa und Nordamerika stattzufinden. Oscar Niemeyer, Kenzo Tange und die jungen Chinesen bedanken sich herzlich für diesen Eurozentrismus.

Es destilliert sich als Orientierung dennoch einiges heraus: Gute Architektur muss gestalterisch in sich konsequent sein. Anders ausgedrückt: Ein Architekt, der sich nicht auch um die Auswahl der richtigen Türklinken kümmert und der hinnimmt, dass die Handwerker schludern beim Verlegen der Fliesen, der sollte lieber einen anderen Beruf wählen. Denn falsche Türklinken und schiefe Fliesenfugen ärgern das Auge genau so wie das falsche Grand Design. Wer aber auf die Details achtet, der wird auch die Grundrisse gut gestalten.

Und die zentrale Frage ist die, wie einmal in einer Jurysitzung gehört: Bringt uns dies Projekt kulturell weiter? Macht es uns klüger, reicher an Erfahrung, üppiger im Lebensgenuss? Oder anders und mit den Worten von Kristin Feireiss, der umtriebigen Gründerin der Berliner Architekturgalerie Aedes gesagt: "Gute Architektur bietet immer mehr als verlangt wird, sie denkt die Zukunft mit." Allerdings scheint es genau so wenig gute Propheten wie gute Architekten zu geben.

Rezensiert von Nikolaus Bernau
Jürgen Tietz: Was ist gute Architektur? 21 Antworten
DVA München, 2006
143 S., 29,90 EUR