Von einem Himmelsmacht-Ereignis

Vorgestellt von Hannelore Heider · 03.09.2008
In "Wolke 9" erzählt Andreas Dresen von der überraschenden Liebe zwischen zwei Alten. Inge geht auf die 70 zu und verliebt sich in einen Mann, dem sie eigentlich nur die Hosen kürzen wollte. Der Dokumentarfilm "Berlin Song" erzählt von vier jungen Menschen aus aller Welt, die in der Hauptstadt einen Platz zum Leben gefunden haben.
"Wolke 9"
Deutschland 2008, Regie: Andreas Dresen, Hauptdarsteller: Steffi Kühnert, Horst Rehberg, Ursula Werner, ab 16 Jahren

Inge (Ursula Werner) geht auf die 70 zu und hat eine Affäre. Nicht mit irgendeinem jungen Kerl, sondern einem gleichaltrigen, dem sie einfach nur die Hosen kürzen wollte. Das macht sie, um die Rente aufzubessern und mal rauszukommen. Seit Urzeiten ist Inge verheiratet. Ihr Mann Werner (Horst Rehberg) liebt Eisenbahnen und seine Frau. Sie haben Sex und eine große Vertrautheit, trotzdem steigt sie gleich in der ersten Szene die Treppe hoch zu einem Mann, zieht sich aus und landet mit ihm im Bett.

Ein Seitensprung, in einem Alter, wo sich das nicht mehr gehört, oder die große Liebe, die Erfüllung dieser Sehnsucht nach dem "Noch einmal"? Die Vorgeschichte zu diesem Himmelsmacht-Ereignis wird nicht erzählt.

Andreas Dresen hat wieder mit einem ganz kleinen Drehteam improvisiert, die Schauspieler mussten die richtigen Worte, die richtigen Bewegungen selbst finden. Kein Wolfgang Kohlhaase hat sie ihnen ins Drehbuch geschrieben wie bei "Sommer vor'm Balkon". Dann wurde radikal alles Geschwätzige herausgefiltert.

Wir müssen genau hinsehen, auch auf die wunderbaren Aufnahmen in die Natur vor den Wohnungsfenstern, die Stimmungen malen, wo Worte fehlen. Andreas Dresen beschreibt das Milieu ganz genau, indem diese unerhörte Geschichte passiert, und auch beim Sex gibt nichts "Verschwiemeltes". Doch wie soll sie zu Ende gehen, diese Dreiecksgeschichte am Ende des Lebens?

Konsequent, etwas anderes war von Andreas Dresen auch nicht zu erwarten, aber auch nicht, dass sich jeder Zuschauer mit seiner eigenen Moral zu dieser Geschichte verhält. So ist dieser "neue Dresen" sicher kein Feel-Good-Movie, mit dessen Helden man etwa wie im Film "Halbe Treppe" sofort vertraut ist. Diese Seherwartungen werden nicht bedient mit dieser unerwartet wortkargen, ganz auf die Mimik der wunderbaren und mutigen Schauspieler konzentrierten Erzählweise.

Und auch die Darsteller sind neu: Ursula Werner, die wunderbar mädchenhafte Turgenijew -Schauspielerin vom Maxim-Gorki Theater Berlin, Horst Rehberg, der in Schwerin einst den König Lear spielte, und Volksbühnenschauspieler Horst Westphal als agiler Witwer der Älteste im Bunde. Nur mit Steffi Kühnert als Inges Tochter treffen wir auf Vertrautes, eine alte Bekannte aus den vorausgegangenen Dresen-Erfolgs-Filmen.


Berlin Song
Deutschland 2007, Dokumentarfilm, Buch, Kamera: Uli M. Schueppel

Die in schwarz-weiß gedrehte Dokumentation befragt und bestätigt einen Mythos, den nämlich, das Berlin im Moment der kreativste und anregendste Wohnort für junge Menschen aus aller Welt sei. Sechs junge Leute aus den USA, aus Norwegen, Holland, England und Australien sind diesem Ruf gefolgt und leben seit wenigen Jahren hier. Alle haben sie sich als Musiker in der lebendigen Singer-Songwriter-Szene profiliert, die Vorbereitung eines Konzerts, in dem sie alle ihren "Berlin Song" zur Aufführung bringen sollen, bietet den Aufhänger für diese sehr speziellen Berlin-Geschichten.

Weshalb sind sie gekommen und weshalb sind sie geblieben? Diese plakativen Fragen werden nie gestellt, aber vermischt mit Spaziergängen oder Bahnfahrten werden sie auf individuelle Weise beantwortet. Dass es ausgerechnet der Schnee, die Kanäle und Brücken sowie immer wieder die Parks sind, dürfte für betriebsblinde Berliner doch überraschend sein. Weniger sicher die auf genauen Beobachtungen fußenden Beschreibungen von einer sehr freien Lebensweise, die auf der Multikultur dieser Stadt beruht, in der jeder seinen Platz erst finden muss und kann.

So erzählt der Film viel über die Werte dieser Generation, deren Vorhandensein ihr immer wieder abgesprochen wird, und von einem Deutschsein, auf das der Betrachter am Ende sogar ein bisschen stolz ist. Apropos Ende: das große Konzert mit Elisabeth Wood (Fancie), Einer Stenseng, Kat Frankie, Josepha und Phillip Conrad (Crazy for Jane), Tommy Simatupang und Nathan Vanderpool wird nicht gezeigt, ein Konzert ohne Live-Atmosphäre wollte Filmemacher Uli M. Schueppel in seinem Film nicht.
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