Von der Straße in die Kunsthalle

Von Günter Beyer · 21.08.2009
Die Bundesstraße 1 durchschneidet das Ruhrgebiet von Ost nach West. Bereits 1969 haben sich zehn Künstler mit ihrer Bedeutung auseinandergesetzt und skulpturale Architekturen, Leitsysteme und Lichtzeichen entworfen, eine besondere Form von Kunst im öffentlichen Raum. 150 Objekt der Künstlergruppe sind nun in Ahlen zu sehen.
Die Bundesstraße 1 folgt der mittelalterlichen Handelsstraße, dem "Hellweg", und ist bis heute die wichtigste Ost-West-Verbindung im Ruhrgebiet. Essen, Bochum, Dortmund, Unna - die Magistrale verbindet alle diese Städte. 1969 schlossen sich zehn Künstler der Region zu einer lockeren Gruppe zusammen. Der Name war schnell gefunden: "Künstlergrupe B1", und ein knappes Manifest rasch formuliert:

"B1 macht Objekte, Projekte, Plastiken, Bilder, Räume. B1 arbeitet kinetisch und statisch, mobil und stabil. B1 ist produktiv. B1 ist auf Fabrikation und Industrie eingestellt. B1 spielt und ist immer neugierig. B1 sind zehn, die an der B1 leben."

Der Bildhauer Franz Rudolf Knubel, Jahrgang 1938, war einer der zehn B1-Künstler. Sein Kollege, der Maler und Designer Bernd Damke, hatte ebenfalls in Westberlin studiert und sich dann B1 angeschlossen.

"Verbunden hat uns ein künstlerisches Grundkonzept, das war ja so Ende der 60er-Jahre, es war eine allgemeine Tendenz 'Raus aus dem Atelier, rein in die Landschaft und zu den Menschen', und während das in Berlin zu so einer Art kritischem Realismus führte, der sich politisch engagierte, war das im Ruhrgebiet da eigentlich pragmatischer."

Nun sind die Arbeiten von Franz Rudolf Knubel und Bernd Damke im Kunstmuseum Ahlen wieder zu entdecken - gemeinsam mit dem Oeuvre ihrer acht Mitstreiter von damals. Gleich im Eingangsbereich liefert jeder der Zehn exemplarisch seine künstlerische Visitenkarte ab: Bernd Damke ist mit einem großformatigen zweifarbigen Acrylgemälde von 1968 vertreten, das an ein vom Wind bewegtes Banner erinnert. Franz Rudolf Knubel, geprägt von US-amerikanischer Land Art und dem Minimalisten Donald Judd, zeigt eine große Holzskulptur aus rhythmisch angeordneten, sanft variierten Viertelkreisen. Der schon 1980 verstorbene Ferdinand Spindel entdeckt für sich das Industrieprodukt Schaumstoff als weiches, leicht formbares Material und schichtet rosafarbenen Schaumstoff zu rätselhaft organischen Reliefs und Landschaften. Der Bildhauer Friedrich Gräsel dagegen liebt es massiv: Seine kompakten zentnerschweren Plastiken aus Asbestzement erinnern an die im Ruhrgebiet vielerorts verlegten Rohrleitungen der Chemieindustrie. Von Gräsel stammt auch der Vorschlag, an den Ausfahrten der B1 farbig bemalte Zementrohre als Wegmarken zu installieren.

Auch der Objektkünstler Rolf Glasmeier spielt auf die Industrieproduktion an. Sieben mal sieben rote und gelbe Autoantennen montiert er zu einem im Wind wippenden "Antennenwald". Windsäcke, wie man sie vor Brücken aufhängt, werden ihm zum Rohmaterial. In seinen "Kaufhaus-Objekten" klopft er die Massenproduktion auf ästhetische Qualitäten ab, erzählt Kuratorin Dagmar Schmidt vor einer von Glasmeiers Arbeiten: 169 beweglich montierte sogenannte "Milchpropper".

"Er montiert hier wirklich Konsumartikel. In diesem Fall sind es rote oder grüne Milchflaschenverschlüsse auf Objekttafeln oder Spanplatten, und diese serielle Reihung ist jetzt spielerisch. Das B1-Motto hieß ja. B1 ist produktiv, B1 ist neugierig, B1 spielt, B1 ist kinetisch und stabil. Diese Dinger kann man in eine stabile Ausgangslage bringen, die kann man aber auch bewegen, und durch die Bewegung verändert sich dieses optische Feld mit Rot und Grün. Die Besucher durften damals in den Ausstellungen die 'Kaufhausobjekte' bewegen."

Bei so viel Kreativität überrascht es, dass sich die Künstlergruppe nach drei Ausstellungen in Oberhausen, Hamburg und Lüttich schon 1970 wieder auflöste. Kommunalpolitiker und Verbände hatten ein Interesse gezeigt, dass es manchen Künstlern etwas mulmig wurde. Bernd Damke:

"Dann kamen eben Einflüsse rein in das Ursprungskonzept, das eigentlich alle Kollegen mit etwas Skepsis sahen, und dann ging es so langsam ... nicht den Bach runter, haben ja alle weitergearbeitet, aber auf ihre Weise. Aber man wollte sich offensichtlich nicht vereinnahmen lassen von den Institutionen."

Die gut bestückte, sorgfältig gemachte Ausstellung folgt den weiteren Schaffenswegen der B1-Künstler. Tatsächlich wurde manches, was vor 40 Jahren noch eine verrückte Idee oder eine bloße Skizze war, später durchaus realisiert. Franz Rudolf Knubel etwa gestaltete mit Künstlerhand Lärmschutzwände an einer Autobahn. B1-Aktivist Günter Dohr konnte seine Idee, Industriebauten mit farbigen Leuchtstoffröhren zu markieren, im Zuge der Internationalen Bauausstellung Emscherpark verwirklichen, als er 1999 einen ehemaligen Förderturm in Gelsenkirchen lichtkünstlerisch illuminierte. So hat B1 einiges vorgedacht, was jetzt im Zuge von "Ruhr.2010" wieder aktuell wird. Auch die eigene Biografie hat die kurze, heftige B1-Episode geprägt, erinnert sich Bernd Damke, der später eine Professur für Design in Münster inne hatte:

"Also nicht dieses reine Industriedesign, sondern immer auch mit diesem Blick zurück auf die Kunst, die Gedankengeber oder Auslöser für Designlösungen sein kann."

Ausstellung "Industrial Land Art im Ruhrland. Die Künstlergruppe B1 und die Folgen"
Im Kunstmuseum Ahlen und im KunstVerein Ahlen
Vom 23. August - 25. Oktober 2009