Von der Schönheit der Klänge

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 14.07.2006
Gleich vorweg sei es gesagt: Der Titel führt in die Irre. Von den Beatles ist in dem Buch nicht die Rede. Der einzige Bezug zu den "Fabulous Four" ist ein Lied von John Lennon, mit dem dieser 1971 monatelang die Charts beherrschte. Da hatte sich die epochemachende Band längst schon in unterschiedlich erfolgreiche Solisten aufgelöst. "Imagine" heißt der Song, und der bleibt aber auch fast das einzige Beispiel aus der Popkultur in diesem Buch, das Musikgeschichte als persönliche Historie und als Expedition durch mannigfache musikalische Erlebnisse zum Inhalt hat.
Es erzählt von Wunderkindern, die mit vier höfische Gesellschaften zum Schluchzen brachten, von der Tanzwut, die in Italien die Tarantella auslöste, vom zauberischen Klang in Chopins Etüden, der sich allein einem ungewöhnlichen Fingersatz verdankt, vom Tamburin, das kinderleicht aussieht und so schwer zu spielen ist.

Vor etwa zehn Jahren hat Roberto Cotroneo, Romancier und regelmäßiger Kolumnist zu Fragen der Literatur in der italienischen Wochenzeitschrift "Espresso", seinem neugeborenen Sohn eine Art Vademecum geschrieben, das in ihm später die Liebe zu den Büchern erwecken sollte, indem es ihn kunstvoll durch deren Welt führte. Jetzt schreibt er für seinen zweiten Sohn ein weiteres Buch, worin er erklärt, warum man für Musik, gleich welcher Provenienz, eine Leidenschaft entwickeln kann und warum sie eine zentrale Stelle im Leben eines jeden besetzt: Musik ist elementar, sie braucht weder Bilder noch Wörter. Mehr als Sprache und Natur prägt sie schon in den ersten Augenblicken das Leben. Sie entzieht sich dem rationalen Zugriff, gerade weil sie so unmittelbar wirkt, und weil die Klänge, die wir lieben, mit der eigenen Biographie unauflöslich verbunden sind.
Cotroneo, der Klavier studiert und vier Romane mit musikalischen Sujets geschrieben hat, betont immer wieder die Unterschiede zu anderen Künsten, besonders zur Literatur. Um einen Roman zu lieben, müsse man ihn von Anfang bis Ende lesen. In der Musik hingegen reiche eine kurze Phrase, eine Melodie, um sich hinreißen zu lassen. Er spart auch nicht mit kulturkritischen Anmerkungen über die schmalbrüstige Musikausbildung, in der die Kunst der Improvisation verpönt ist, über die glattgebügelten Hörgewohnheiten oder das feine Expertenwesen, dem nur der gebildete Klassikkenner etwas gilt.

In vielen Episoden, von Brahms bis Keith Jarrett, von der Volksmusik des 16. Jahrhunderts bis zu Salieri entfaltet er die Geschichte der Musik, immer mit dem Ziel zu zeigen, dass ein bestimmtes Klangerlebnis prägend werden kann für ein ganzes Leben. Ein letztlich philosophisches Unterfangen, dessen mögliche Bürde durch den juvenilen Adressaten des Buches auf reizvolle Weise leichtgemacht wird. Doch darin liegt zugleich auch das Unglück des Buches.

Der fiktive Brief eines Erwachsenen an ein Kind führt notwendigerweise zu einem sprachlichen Zwitter. Während leichthin Schopenhauer paraphrasiert wird und Siegmund Freuds Musikabstinenz einen erfrischend respektlosen Hieb abbekommt, wird viel zu oft in pompösen Formeln geredet, von der "Triebkraft des Universums", von "Utopien in der Musik", vom "ästhetischen Erlebnis".

Andererseits wirkt gerade die persönliche Ansprache des Erzählers an seinen Sohn Andrea oft zu aufdringlich. Doch wenn man sich an den zuweilen betulichen, anbiedernden Tonfall gewöhnt hat, findet man Erhellendes zuhauf über Musik als "die weltlichste" Spielart der "Religion", über ihre einzigartige Kraft, das Leben zu bestehen. Ein Buch für Liebhaber.


Roberto Cotroneo: Frag mich, wer die Beatles sind. Brief an meinen Sohn über die Liebe zur Musik
Aus dem Italienischen von Karin Krieger.
Insel-Verlag, Frankfurt am Main, 158 Seiten