Von der Rechenmaschine zum Supercomputer

Von Konrad Lindner · 07.08.2012
Chemnitz war nicht nur die Stadt des Fahrzeug- und Maschinenbaus, sondern sie war immer auch eine Hochburg des maschinellen Rechnens. Die Entwicklung vom mechanischen Taschenrechner zu modernen Hochleistungscomputern veranschaulicht nun eine Ausstellung im Industriemuseum.
"Das ist ganz einfach hier: Die Starttaste."

Nicht nur gewöhnliche, sondern auch ungewöhnliche Besucher kommen ins Industriemuseum. Zum Beispiel Klaus Härtel: Ein Technikbesessener. Von 1964 bis 1990 Kundendiensttechniker im damaligen VEB Buchungsmaschinenwerk. Der gebürtige Chemnitzer weiß, wie man Büromaschinen in Gang setzt und zum Rasseln bringt.

"Was mich in diese Ausstellung gebracht hat, das ist eigentlich, um mal wieder meine alte Technik zu sehen. Ich bin ja seit einigen Jahren in Rente. Aber ich habe diese ganze Geschichte praktisch mit aufgebaut. Ich kenne hier an dieser Maschine, an der Klasse 170, jede einzelne Klinke, da kann ich Ihnen jede einzelne Feder zeigen, die irgendwo was bewegt. Das ist natürlich imposant."

Der geistige Vater der Sonderausstellung ist Friedrich Naumann. Er lehrte an der Technischen Universität Chemnitz Wissenschafts- und Technikgeschichte. Das Exponat eines Buchungsautomaten, der in Karl-Marx-Stadt hergestellt und in alle Welt exportiert wurde, verkörpert für ihn mehr als nur die Summe von 15.000 Einzelteilen.

"Das ist eine Königin der Buchungsautomaten. Es ist bekannt, dass in den betrieblichen Abläufen, in der Ökonomie sehr viele Buchungsvorgänge erforderlich sind. Auch in Sparkassen und anderen Wirtschaftseinheiten. Dazu hat man also eine Buchungsmaschine gebaut. Mit Ein- und Ausgabegerät. Mit Speichereinrichtungen und natürlich mit einem Breitwagen, der das Einziehen und Ausdrucken der Formulare ermöglichte. Diese Maschine war also so sicher, dass sie in 100 Länder der Welt exportiert wurde und ihren Dienst bis zum Schluss – also bis 1990 – zuverlässig verrichtete."

Die Ausstellung über 100 Jahre Rechentechnik in Chemnitz trifft die Seele der Bürger. Chemnitz war nicht nur die Stadt des Fahrzeug- und Maschinenbaus sowie der Textilindustrie, sondern sie war immer auch eine Hochburg des maschinellen Rechnens.

Achim Dresler, Sammlungsleiter des Industriemuseums, über bemerkenswerte Exponate der Sonderausstellung "Rechnen mit Chemnitz":

"Wir fangen an vor 100 Jahren. Der kleinste, der erste Taschenrechner, das ist ein mechanisches Gerät, was man immerhin in die Hosentasche stecken konnte. Comtator genannt. Dann geht es aber weiter über die schwarz lackierten Buchungsmaschinen bis in die 50er-Jahre. Die Farbe wechselt zu Grau. Dann kommen die ersten Computer und Rechner. Röhrenrechner und Transistorrechner. Dann die Großrechenanlagen der 1980er. Bei Robotron erdacht und gebaut. Auch in Karl-Marx-Stadt. Das größte 60 Quadratmeter. Dann geht es hoch bis in die Jetztzeit der Superrechner, der an der TU in Chemnitz läuft. Das alles zeigen wir."

Der Superrechner, der in Chemnitz das Licht der Welt erblickte, fiel nicht vom Himmel. Konstrukteure, die einst in Karl-Marx-Stadt an der Entwicklung der Großrechner der DDR beteiligt waren, haben nach 1990 in Chemnitz begonnen, mit dem Zugang zu den modernsten Bauteilen Rechner der Spitzenklasse zu konstruieren.

"Das ist ein Schrank von einem Superrechner. Die werden auf den Plätzen um die Hundert im weltweiten Ranking gelistet bei der Frage, wie schnell und wie viel Speicherplatz sie bringen und sie werden vor allen Dingen an Universitäten eingesetzt in der Forschung. Und hier in Chemnitz zum Beispiel an der Universität wird dann berechnet: Wie wird eine Großkälteanlage mit kaltem Wasser gefüllt? Welche Verwirbelungen entstehen? Da wird das simuliert. Dafür braucht man Unmengen an Rechenkapazitäten."

Die Industrie der DDR wurde 1990 verschrottet. Auch die letzten Großrechner landeten auf dem Müll. Das einzige in der Bundesrepublik noch existierende Exemplar einer Großrechenanlage aus der DDR steht jetzt im Industriemuseum in Chemnitz. Friedrich Naumann, einst Direktor des Rechenzentrums der Technischen Universität Chemnitz, gerät ins Schwärmen:

"Der letzte Großrechner, den haben wir hier in der Ausstellung. Die einzelnen Teile. Der Bedien- und Service-Prozessor. Zwei Drucker. Das ist also ein Steuergerät. Das sind die Magnetbandgeräte. Das sind die Plattengeräte der dazu gehörigen Steuergeräte. Das ist für die Datenfernübertragung. Im Prinzip eine komplette Konfiguration. Natürlich nicht in der Größe, wie sie ein Rechenzentrum gehabt hat, aber lauffähig und von den Kollegen auch wieder funktionstüchtig hergestellt."

Die Sonderausstellung des Industriemuseums dreht sich nicht allein um die Vergangenheit. Vor allem um die Gegenwart der Rechentechnik geht es. Längst haben sich in Chemnitz Firmen mit Weltruf angesiedelt. Aber nicht nur modernste Superrechner werden in der Ausstellung gezeigt, sondern auch unterhaltsame Anwendungen der Steuerungstechnik. Ein bisschen Spielerei gehört dazu. Frank Hartmann – Vorführer des Industriemuseums – drückt auf ein Knöpfchen.

"Das ist ein Xylophon, das über eine CNC-Steuerung betrieben wird. Die Servomotoren, die normalerweise die Frässpindel hin und her stellen, bedienen halt jetzt die Schlegel des Xylophons."

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