Von der Linde am Dorfteich zum Justizpalast

Von Adolf Stock · 24.11.2008
Von Gerichtsgebäuden geht seit jeher eine besondere Ausstrahlung aus. Nicht selten gleichen sie Palästen. Schon durch die Architektur wird demonstriert, dass hier Recht gesprochen wird.
Beispiel München: Zwischen Hauptbahnhof und Stachus steht der Justizpalast, ein repräsentatives Gebäude von 1897 für ein selbstbewusstes Bayern, mit nunmehr unabhängiger Gerichtsbarkeit.

Das willkürliche Recht der Landesherrn war Vergangenheit, die Dorflinde als Ort der Rechtssprechung hatte endgültig ausgedient. Die geheimen schriftlichen Verfahren wurden im 19. Jahrhundert öffentlich, auf einmal gab es Publikumsverkehr, und die Anklage erhob kein Richter mehr, sondern ein eigenständiger Staatsanwalt.

Jetzt wurden überall repräsentative Gerichtsgebäude gebaut, mit schlossähnlichen Treppenhäusern und holzvertäfelten Sitzungssälen, die den entsprechenden Respekt verlangen. Dem Straf- und Zivilgericht in Leipzig konnte damals nur der Berliner Reichstag Paroli bieten. Der größte Justizbau aus jener Zeit steht in Brüssel. Am Ring in Wien entstand ein "Tempel der Gerechtigkeit", und in Rom wurde ein Landgut abgerissen, um neben der Engelsburg Platz für den Justizpalast zu schaffen.

Und natürlich Amerika, so wie wir es aus Filmen kennen: Gerichtsgebäude wie griechische Tempel, in denen unerschrockene Rechtanwälte flammende Plädoyers halten, bis am Ende Recht wieder Recht geworden ist, und sie den "Civil Court" händeschüttelnd über eine prächtige Treppe verlassen, begleitet vom Blitzgewitter der Reporter.

In neuerer Zeit werden auch andere Bilder gesucht. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist ein lichter, transparenter Bau, der auf keinen Fall einschüchtern will, damit ist Paul Baumgarten 1969 ein großer Wurf gelungen. Doch es geht auch anders. Ende der 90er-Jahre wurde das Landgericht von Richard Rogers in Bordeaux eröffnet. Der Brite hat die Sitzungssäle in konische Tonnen gesteckt. Es sind ganz außergewöhnliche Räume, die allen zeigen, dass in ihnen etwas Besonderes geschieht, dass hier Recht gesprochen wird.