Von der Autorenwerkstatt zur literarischen Institution

Von Tobias Wenzel · 10.09.2007
Ob Günter Grass, Heinrich Böll oder Martin Walser - die Gruppe 47 hat mehreren Autorengenerationen im Nachkriegsdeutschland ein Forum geboten. Vor 60 Jahren gegründet, wollte sie der Sprachzerstörung entgegentreten, welche die Nationalsozialisten durch Lüge, Propaganda und Pathos bewirkt hatten.
Wolf Dietrich Schnurre: "Stehe ich in der Küche auf dem Stuhl, klopft's. Steig ich runter, leg den Hammer weg und den Nagel, mach auf."

Als erster Autor liest Wolf Dietrich Schnurre bei einem Treffen von Schriftstellern in der Nähe von Füssen. Am 6. September 1947. Eingeladen hat Hans Werner Richter. Eigentlich, um die Literaturzeitschrift "Skorpion" ins Leben zu rufen. Aber es kommt anders. Hans Werner Richter:

"Und nun beginnt etwas, was keiner in dieser Form erwartet hatte: Der Ton der kritischen Äußerung ist rau. Die Sätze kurz, knapp, unmissverständlich. Niemand nimmt ein Blatt vor den Mund. Jedes vorgelesene Wort wird gewogen, ob es noch verwendbar ist, verbraucht in den Jahren der Diktatur, der großen Sprachabnutzung."

Die sogenannte Trümmerliteratur wird vorgetragen. Schriftsteller lesen vor Schriftstellern und Kritikern. Die "Gruppe 47" ist per Zufall entstanden und wird zur Institution des deutschen Literaturbetriebs:
"Ich habe immer in meinem Leben gerne Feste gegeben. Und jetzt gebe ich einmal im Jahr ein Fest. Das nennt man die Gruppe 47."

Nicht alle empfanden dieses Dichtertreffen als festlich. Der Stuhl, auf dem der lesende Schriftsteller saß, erhielt schnell den Namen "elektrischer Stuhl". Denn der Autor durfte sich nicht verteidigen und musste schweigend die Kritik ertragen. Martin Walser:

"Es hat Autoren gegeben, die in ihrer Biografie wirklich auch beschädigt wurden. Für mich war das das erste literarische Quartett."

Ingeborg Bachmann, Anfang des Gedichtes "Liebe, dunkler Erdteil":
"Der schwarze König zeigt die Raubtiernägel,
zehn blasse Monde jagt er in die Bahn,
und er befiehlt den großen Tropenregen.
Die Welt sieht dich vom andren Ende an!"

Hans Magnus Enzensberger: "Es sind eben für Ingeborg Bachmann einfach sanftere Tage gekommen, ich möchte fast sagen, weichere."

1957, Hans Magnus Enzensberger kritisiert das Gedicht "Liebe, dunkler Erdteil" von Ingeborg Bachmann. Ein Gedicht, das heute zum Kanon deutscher Lyrik gehört. Aber Ingeborg Bachmann blieb die Grande Dame der Gruppe 47. Andere Autoren wie Paul Celan hatten es schwerer: sie fielen bei den Zuhörern durch. Manchmal allerdings griff Hans Werner Richter ein:

"Ich merke hier eine gewisse Verstimmung, weil die Kritik scharf ist."

Marcel Reich-Ranicki: "Herr Richter war niemandem Rechenschaft schuldig. Diese ganze Gruppe 47 war eine reine Diktatur, eine Diktatur von Hans Werner Richter. Aber eine intelligente und vorsichtige."

Günter Grass: "Das ist auch die Stärke dieser Gruppe gewesen. Man war anderer Meinung und anderer Einschätzung. Und dennoch ging es weiter."
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