Von Bienen und Menschen

30.10.2012
Das Bienensterben bedroht unsere gesamte Nahrungskette. Selbst Fleisch und Käse wären Mangelware ohne Bienen. In China bestäuben inzwischen tausende Arbeiter Apfelbäume von Hand. Inzucht, Chemie und Krankheiten sind Gründe für die Notlage, die Imhoof und Lieckfeld kompetent erklären.
Das Bienensterben geht weiter! In der Schweiz kamen letzten Winter bis zu 70 Prozent aller Völker um, in Deutschland 30 Prozent. Bedrohliche Zahlen, denn ohne Honigbienen bräche die kalifornische Mandelproduktion zusammen, gäbe es die meisten Obst- und Gemüsesorten vom Apfel bis zur Zucchini nicht mehr. Selbst Fleisch, Käse und Milch wären Mangelware, denn das Viehfutter ist ebenfalls auf die Immen angewiesen.

Der mysteriöse Tod der Honigbienen hat den Schweizer Regisseur Markus Imhoof veranlasst, einen außergewöhnlichen Film mit phantastischen Nah- und Trickaufnahmen über die Ursachen des Bienensterbens zu drehen: 'More than Honey‘. Weil es aber noch sehr viel mehr zu erzählen gibt, hat der Filmemacher gemeinsam mit dem deutschen Umweltjournalisten Claus-Peter Lieckfeld noch ein gleichnamiges Buch geschrieben. Das bringt nicht nur viele Fakten und Details, die der Film nicht zeigt, sondern gibt auch den neusten Stand der Forschung wieder und ergänzt so bereits bekannte Werke über Leben und Sterben der Honigbiene.

Persönliche Porträts besonders engagierter Imker stehen neben Expertenaussagen und geben so einen umfassenden Einblick in die erstaunliche Welt der fleißigen Insekten. Um ein Kilo Honig zu sammeln, fliegen die Bienen eines Volkes rund dreimal um die Welt. Ihr Orientierungsvermögen ist angesichts des winzigen Gehirns geradezu sensationell. Sie finden sich in kürzester Zeit überall zurecht, als ob sie eine innere Landkarte lesen würden.

Umso schockierender ist das Bienensterben. Es hat, wie die Autoren schreiben, offenkundig viele Ursachen. Experten halten unter anderem die Varroa-Milbe für den Hauptübeltäter - einen Parasiten, der die Larven ansticht und schwer schädigt. Darüber hinaus schwächen die Giftcocktails der Landwirtschaft das Immunsystem und Orientierungsvermögen der Bienen. Von einem neuen nikotinähnlichen Wirkstoff reicht bereits eine Dosis, die einem Viermilliardstel Gewichtsanteil einer Biene entspricht, um sie umzubringen. Auch Monokultur-Agrarlandschaften, in denen blühende Wiesen und Feldraine fehlen, setzen den Völkern massiv zu.

Jahrhundertelange Inzucht hat zwar die sanfte, pflegeleichte westliche Honigbiene hervorgebracht, aber zugleich ihre Abwehrkräfte geschwächt. Die sogenannte Killerbiene aus Brasilien hat sich als resistente Variante erwiesen, weitaus weniger aggressiv als Hollywoods Horrorfilme suggerieren. Doch als Ersatz taugt sie nur bedingt.

Wie die Zukunft ohne Honigbiene aussehen kann, haben die Autoren in China gesehen: Tausende Apfelbaumbesitzer müssen mit feinen Pinseln zur Blütezeit in die Bäume klettern, um sie per Hand zu bestäuben.
Um eben diese Situation zu vermeiden, sucht die Forschung weltweit nach Auswegen: die einen setzen auf Genmanipulation, die anderen auf klassische Zucht. Die einen schwören auf naturnahe Haltung, die anderen auf industriell anmutende Vermehrung. Noch ist es nicht zu spät. Doch die Zeit drängt. Daran lässt das Buch keinerlei Zweifel. Es ist ein glänzend geschriebener Weckruf.

Besprochen von Johannes Kaiser

Markus Imhoof/ Claus-Peter Lieckfeld: "More than Honey -
Vom Leben und Überleben der Bienen"

orange press, Freiburg 2012
224 Seiten, 20 Euro
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