Von Betriebskampfgruppen, "Delikat"-Feinkostläden und Parteibonzen

Von Volkhard App · 13.08.2009
Fünf bekannte Fotografen der Agentur "Ostkreuz" zeigen ihre ungewöhnlichen Aufnahmen aus der DDR der 70er- und 80er-Jahre in der Ausstellung "Ostzeit – Geschichte aus einem vergangenen Land" in Berlin.
Dass diese Fotos einmal einer Nachwelt Geschichten aus einem untergegangenen Land überliefern würden, hat wohl keiner dieser Fotografinnen und Fotografen geahnt.

Mienen der Leere und Trostlosigkeit fehlen nicht, finster blickende Zeitgenossen marschieren in der Montur einer Betriebskampfgruppe auf, Bürger stehen Schlange vor einem "Delikat"-Feinkostgeschäft und Ute Mahler hat am 1. Mai 1980 Werktätige fotografiert, die an den von ihrer eigenen Inszenierung beflügelten Parteioberen vorbeimarschieren. Und doch werden die möglichen Klischees in unseren Köpfen mit dieser Ausstellung nicht bedient. Ute Mahler:

"Ich sehe da auch ziemlich viel Sehnsucht, ich sehe Nähe, ich sehe Neugier, ich sehe ganz viel."

Von Ute Mahler werden auch Modefotos gezeigt, die für die Zeitschrift "Sibylle" entstanden, Aufnahmen von Rockbands wie der Gruppe "Silly" und viel freie Fotografie. Und diese Mischung aus Auftragsarbeiten und ganz eigenen Wegen ist typisch für diese Schau und unterscheidet sie von anderen Präsentationen wie zum Beispiel der "Übergangsgesellschaft" in der Akademie der Künste am Pariser Platz. Die in "Ostzeit" vorgestellten Werke halten sich bei aller Kunstfertigkeit dem Experiment weitgehend fern und bleiben nahe an der möglichen Verwertbarkeit.

Beachtlich ist das Spektrum der fotografierten sozialen Milieus: erschöpfte Bergleute, Fußballfans, aufsässige Punks, ein Tanzturnier im Kulturhaus, Schwoof in "Clärchens Ballhaus" und von Werner Mahler stammen Aufnahmen aus einem thüringischen Dorf, die er 1977 für seine Diplomarbeit gemacht hat: Polterabend, Bierkonsum im Gasthaus, Fußball in weiter Landschaft, nicht einmal die Schlachtung fehlt. Mahler auch hat Abiturienten von 1978 mit immer neuen Porträtfotos jahrzehntelang durch ihre Leben begleitet.

In ein Sinnbild verwandelt hat sich das Foto, das Harald Hauswald 1987 am Rande der Mai- Kundgebung gemacht hat: Jugendliche werden auf dem Alexanderplatz von einem Unwetter überrascht, die durchnässten Gestalten und durcheinander geratenen Fahnenstangen ergeben ein Bild allgemeiner Auflösung. Die Stasi unterstellte dem Fotografen, er habe hier wohl seiner politischen Wunschvorstellung Ausdruck verliehen.

Klassiker finden sich in dieser Ausstellung - so von Sibylle Bergemann die Montage des Marx-und-Engels-Denkmals: Engels hängt bedrohlich in der Luft, Marx wartet in der Werkstatt auf seinen Einsatz. Einzelne Bilder dieser Serie erscheinen heute eher als satirische Anspielung auf die Demontage der DDR, aber das ist eine Frage des sich ändernden Blickwinkels.

Von Sibylle Bergemann wird auch eine weniger bekannte Serie präsentiert: 1974 hielt sie einen neuen Typ von Plattenbauwohnung fest - der Wohnraum war hier nicht mehr streng von der Küche getrennt, denn die Frau sollte nicht im Abseits wirken und der Ehemann zur Mitarbeit angeregt werden.

Das Ende der DDR markieren die Fotos von Maurice Weiss mit dem Triumph von 89, dem Silvesterfeuerwerk am Brandenburger Tor, dem Sturm auf die Stasizentrale in Leipzig und ersten Demonstrationen gegen die deutsche Einheit. "Geschichten aus einem vergangenen Land". Was empfindet Ute Mahler, wenn sie heute ihre eigenen Fotos wiedersieht – und die der Kollegen?

"Die 20 Jahre sind derart schnell vergangen, man hatte gar keine richtige Zeit zu reflektieren. Jetzt musste man sich wieder darauf einlassen, das war schon eine schräge Zeitreise."

Dass diese von Fotografen der Agentur "Ostkreuz" bestückte Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt stattfindet, verleiht ihr noch einen besonderen Akzent. Tatsächlich erscheint die DDR Vielen bereits als fernes Land. In einem Begleittext wird sogar vermutet, sie könnte bald als "prähistorisch" gelten.