Von Arno Orzessek

Das Jubiläum der ersten Mondlandung, der Tod des polnischen Philosophen Leszek Kolakowski sowie das fiese Zerren um Macht und Zaster zwischen dem VW-Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch und dem Porsche-Boss Wendelin Wiedeking stehen im Mittelpunkt der Feuilletons.
Weil wir Pathos und verweltlichte Sakralität schätzen, schätzen wir U2. Und deshalb beginnt der Wochenrückblick mit dem Berliner Konzert der irischen Rockband, bei dem laut TAGESZEITUNG der eigentliche Star die gigantische Bühne war.

Unter dem Titel Gottes Werk und Bonos Beitrag schrieb Daniel Bax theologisch besorgt:

"Ob Gott den vier Iren nicht zürnt? Zwar schöpfen die bibelfesten Rockmusiker ihr Sendungsbewusstsein aus ihren christlichen Überzeugungen, doch mit ihrer riesigen Stadionbühne machen sie jetzt dem Turmbau zu Babel Konkurrenz. Und zählen Hochmut, Maßlosigkeit und Ruhmsucht nicht zu den berühmten "sieben Todsünden"?"

Irgendwie fehlte es diesen Zeilen von TAZ-Autor Bax an Ironie. Und wie auch anders? U2 ist Pathos, nicht Ironie.

Und nun der Reihe nach.

Kalendarisch-objektiv jährte sich am Montag, den 20. Juli 2009, die erste Mondlandung zum vierzigsten Mal. Doch die meisten Feuilletons hatten das Ereignis bereits am Samstag der Vorwoche abgefeiert - zumeist ohne planetarisch-enthusiastisches Ah! und Oh!.

Der winzige Schritt für die Menschheit, den Neil Armstrong im lebenswidrigen Mondstaub getan hatte, verlockte immerhin noch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zu einer schönen Spekulation.

NZZ-Autor Justus Wenzel schrieb:

"Dass zeitgleich mit der Mondfahrt das Umweltbewusstsein erwacht ist, das sich mittlerweile zum "Erdbewusstsein" erweitert hat, dürfte nicht nur vordergründig auch mit jenen atemberaubenden Bildern unseres Heimatplaneten zu tun haben [die vom Mond aus gemacht wurden]."

Ansonsten dominierte zu Wochenbeginn der Tod Leszek Kolakowskis die intellektuellen Hochebenen der Feuilletons.

In der Tageszeitung DIE WELT würdigte Wolf Lepenies den polnischen Philosophen, der als marxistischer Denker gleichzeitig ein profunder Kritiker des Marxismus gewesen war. Beifall zollte Lepenies dem Kampf des Verstorbenen gegen den Kulturrelativismus:

"Die Stärke Europas, so betonte [Kolakowski], liegt in der Fähigkeit zur Selbstkritik. In diesem Sinn kann die europäische Kultur eine Überlegenheit beanspruchen und ihre Werte nicht nur verteidigen, sondern weltweit verbreiten. "

Anrührend endete in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG der Nachruf von Manfred Geier:

"Bis in seine letzten Lebensjahre hat [Kolakowski] die Maske des Narren nicht ganz abgelegt. Die spitze Nadel der Ironie war ihm lieber als das priesterliche Halsband des Katechismus, das den Menschen gegängelt durch das Leben führen soll. Wir dürfen hoffen, dass sie ihn auch im Augenblick seines Sterbens nicht im Stich gelassen hat.-J#
Ohne der Nekrophilie frönen zu wollen, muss man sagen, dass auch der Dienstag im Zeichen eines Toten stand. Zwei Tage zuvor war Frank McCourt, der amerikanische Schriftsteller irischer Abstammung, in New York dem Hautkrebs erlegen. McCourt hatte als 65-Jähriger Die Asche meiner Mutter geschrieben und damit Weltruhm und Pulitzer-Preis erbeutet.

In der BERLINER ZEITUNG zitierte Monika Konigorski eine zentrale Selbstauskunft des Schriftstellers: "Ich musste dieses Buch einfach schreiben, sonst wäre ich weinend gestorben."

Seinen Ressentiments die Zügel schießen ließ in der WELT Rainer Haubrich, als er die Berliner Ausstellung "Modell Bauhaus" besprach. Denkwürdig Haubrichs Kritik am typischen Bauhaus-Flachdach:

"Nur wenige Menschen wurden damals heimisch in solchen Wohnwelten - und so ist es bis heute geblieben. Bis in die Gegenwart bleibt das geneigte Dach ein Urbild von Schutz und Sicherheit - und besser wasserdicht zu bekommen, ist es allemal."

Anti-Bauhäusler Haubrich schwärmte von den vormodernen Quartieren unserer Städte, Wolfgang Pehnt belobigte dagegen in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG das Zeitgemäße am Ideenlabor Bauhaus:

"Trotz aller Stilisierung durch Insassen wie Außenstehende: Das Bauhaus war immer viele Bauhäuser. Wenn es ein gültiges Vermächtnis gibt, so ist es seine Offenheit nach allen Seiten, seine Veränderungsbereitschaft, seine Kraft, innere Widersprüche auszutragen, sein utopischer Mut bei gleichzeitiger Verpflichtung auf Praxis und Gebrauch."

Große Worte von FAZ-Autor Wolfgang Pehnt - leider nicht ganz phrasenfrei.

Es ist redundanzverdächtig, vom 'musikalischen Paukenschlag' der Woche zu sprechen - aber wir wollen es riskieren. Denn der Dirigent Christian Thielemann verlässt die Münchener Philharmoniker, er sieht seinen Spiel-Raum beschnitten.

Erneut gestattete sich die WELT den kräftigsten Motz-Ton. Manuel Brug schrieb:

"Somit zieht der nunmehr 50-jährige Stardirigent [Thielemann], dessen Starrköpfigkeit und Eigensinn längst zu Aushängeschildern geworden sind, weiter eine Spur der Verwüstung hinter sich her."

Nach der Mitte der Woche rauschten plötzlich lauter Porsches durch den Kulturblätterwald.

Das Zerren um Macht und Zaster, die fiese Clan-Fehde zwischen dem VW-Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch und dem Porsche-Boss Wendelin Wiedeking wurde überall als modernes Drama oder Tragödie gedeutet und sogar in mythische Höhen erhoben.

Ijoma Mangold indessen blieb in der Wochenzeitung DIE ZEIT auf dem Teppich:

"Was da miteinander ringt, sind eben anders als in der klassischen Tragödie nicht mehr sittliche Mächte, die kollidieren, sondern partikulare Interessen, die nicht über sich selbst hinausweisen. Die totale Theatralisierung geht einher mit einer Auflösung der moralischen Schlachtordnung. Deshalb hat das Publikum es so schwer, seine Sympathien zu verteilen."

Das Wochenende näherte sich skandalfrei. Schräg, apart und seltsam las sich der Bericht von Julia Spinola über ihren Besuch in dem berühmten Berliner Techno-Club "Berghain" in der FAZ.

"Das Brüten in einer Art Klanguterus, Regressionsnähe und synästhetisches Versinken als mehr oder weniger uneingestandene Ziele einer doch irgendwie auf sinnliche Überwältigung ausgerichteten Ästhetik,"

erinnerten FAZ-Autorin Spinola tatsächlich an Bayreuths Festspielhaus.

Den schönsten Artikel, der es einfach nur Sommer sein lassen wollte und blütenweich das Gemüt berühren, schrieb Jutta Stössinger in der FRANKFURTER RUNDSCHAU. Sie erinnerte an den pflanzenliebenden Schriftsteller Rudolf Borchardt, der in der Villa Bernadini in der Toskana gelebt hat - wo es abends bisweilen so zuging:

"Nach Einbruch der Dunkelheit trifft man sich zum Essen und Trinken, zu Geplauder und Gelächter unter südlichem Himmel, und "die lauen Sommerabende", erinnert sich [Borchardts Sohn] Cornelius, "senden schwirrende Falter in die Blüten der Nacht."

Danke dafür, sagen wir der FR-Autorin Jutta Stössinger und raten allen Zuhörern zum baldigen Aufbruch in den Süden - der auch im Norden liegen kann -, bevor der Sommer mitsamt Faltern und Nachtblüten zu Ende geht.