Von Arno Orzessek
Der Streit um die Vergabe bzw. Nicht-Vergabe des Hessischen Kulturpreises an Navid Kermani dominierte am Wochenende die Feuilletons. Die "Süddeutsche" sieht angesichts der von Krankheit gezeichneten Stückeauswahl beim Berliner Theatertreffen eine fällige Trendwende im deutschen Theater. Und die "Frankfurter Rundschau" sieht Papst Benedikt XVI. durch seine vielen Funktionen überfordert.
Der Streit um den Schriftsteller Navid Kermani hat zum Wochenende hin die Feuilletons dominiert wie kein anderes Thema.
Bekanntlich wurde Kermani der Hessische Kulturpreis zunächst zu-, dann aber wieder aberkannt. Kardinal Lehmann und Peter Steinacker, Ex-Präsident der hessisch-nassauischen Kirche, waren über Kermanis Bemerkung verärgert, die Kreuzestheologie der Christen sei "Gotteslästerung und Idolatrie", und hatten beim Kuratorium um Ministerpräsident Roland Koch interveniert.
"Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen", spottete Kermani am Freitag in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Das Samstagsfeuilleton der FAZ machte mit einem schwarzen Kreuz auf, unter dem Schriftsteller Martin Mosebach "Zwölf Fragen an Kardinal Lehmann" richtete.
"Gilt die bei Teegesellschaften angebrachte Höflichkeit, religiöse Differenzen nicht in aller Deutlichkeit zur Sprache zu bringen, auch für den von Ihnen seit langem geforderten Dialog zwischen den Religionen?"
lautete die dritte Frage. Auf der anderen Seite des FAZ-Kreuzes behauptete Peter Steinacker "Kermani missachtet den Dialog" und bemerkte:
"Ich habe keine Probleme damit, dass Navid Kermani die Kreuzestheologie ablehnt. Er wird umgekehrt auch keine Probleme damit haben, dass ich zentrale Glaubenslehren der Schia [der Schiiten] ablehne. Jedoch würde es mir nie in den Sinn kommen, Inhalte der schiitischen Konfession des Islam als Gotteslästerung und Idolatrie zu bezeichnen und in die Nähe von Pornographie zu rücken."
"Verlogene Pfaffen" wetterte in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Gustav Seibt mit Goethe.
Der Tod - der als Christi Kreuzestod im geistlichen Zentrum der Kermani-Debatte steht -, der Tod und die Frage, wie wir mit ihm leben können, stand auch im Mittelpunkt einer besonders ergreifenden Rezension.
FAZ-Autor Michael Pawlik besprach "Morgen bin ich wieder da" - Die Suche nach meinem zweiten Leben, ein Sachbuch der Niederländerin Sophie van der Stap, die wie ihre Freundin an Krebs erkrankt war, aber anders als ihre Freundin wieder gesund wurde - und ihr Leben nun nicht mehr so erlebt wie zuvor.
"Die Kugel, auf der ich balanciere, rollt weiter bergab [zitiert Pawlik Sophie van der Stap]. Ich rolle mit und passe mich den Umständen an [ ... ]. Dadurch wird die Summe der Dinge, die mir widerfahren, deutlich höher als die Summe der Dinge, die ich mir einmal für mich vorgestellt habe."
Pawlik beschreibt, dass Sophie van der Stap sogar das demütige Suchen nach "der Summe der Dinge" als zweifelhaften Ausdruck von Selbstverwirklichung und Besitzindividualismus sieht.
Wird man denn nicht wenigstens die guten Momente des Lebens sammeln dürfen, um sie im Bewusstsein zu besitzen, fragten wir uns bei der Lektüre - und lasen zur Antwort bei Pawlik:
"Van der Stap zeigt, dass das Phänomen der menschlichen Existenz unweigerlich verfehlt, wer in besitzrechtlichen Kategorien über es spricht. Unser Dasein gehört uns nicht. Wir sind nur Gäste, flüchtige Schemen.""
Mitten im FAZ-Text: ein Foto Sophie van der Staps - so strahlend, so lebendig, so froh.
"Schöner als hier kann's im Himmel gar nicht sein!" heißt das neue Buch des krebskranken Christoph Schlingensief. Mit seinem Stück "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" wurde das Berliner Theatertreffen eröffnet, bei dem auch Arbeiten von Jürgen Gosch gespielt werden. Gosch ist ebenfalls krebskrank.
In der SZ reflektierte Christopher Schmidt auf die neue Sehnsucht des Theaters nach Wirklichkeitshärte.
"Dass eine Saison, deren Ausklang vom Krebs zweier der wichtigsten Theatermacher dieser Zeit überschattet ist, mit einem [Max-Frisch-]Stück begann, in dem ein Mann auf die Erde zurückkehrt, um nach den biographischen Ursachen für seinen Krebstod zu forschen, schien ein gespenstischer Prolog des Bühnenjahres zu sein. Und gab doch zugleich einen Vorgeschmack auf eine fällige Trendwende am Theater."
Wir nehmen den Titel des SZ-Artikels ernst - "Hallo, in diesen Trümmern lebt noch einer" und suchen zur Erholung das Seichte.
Vielfach wurde Illuminati besprochen, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Dan Brown. In der Tageszeitung DIE WELT ordnete Hanns-Georg Rodek den Streifen immerhin in die ernstzunehmende Filmgeschichte ein:
"Ron Howards 'Illuminati' hat ein wenig von John Fords Spätwestern 'Der Mann, der Liberty Valance erschoss'. In beiden Filmen trifft ein aufgeklärter Held auf eine Fassade, in beiden Geschichten findet er die Wahrheit hinter dem Schein heraus, und in beiden Fällen verzichtet er auf die Enthüllung, weil er den Wert der Täuschung als höher erachtet als den Nutzen der Desillusionierung. 'Wenn die Legende zur Tatsache wird, drucke die Legende', sagt der Chefredakteur bei Ford."
In "Illuminati" zeugt der Papst übrigens ein Kind, das ihn dann umbringt - eine Verwicklung, die Benedikt XVI. wohl nicht droht.
Dessen Probleme sind anderer Natur. Laut Micha Brumlik, Autor der FRANKFURTER RUNDSCHAU, ist der Pontifex mit den Forderungen seines Amtes, Stellvertreter Gottes, Herrscher eines Kleinstaates und höchste moralische Instanz zu sein, schlicht überfordert:
"Diese Aufgaben auch nur halbwegs sinnvoll und erfolgreich miteinander zu verbinden, bedarf es authentischen religiösen Charismas, machiavellistischer Klugheit und eines auf Lebenserfahrung beruhenden und in Krisen gefestigten moralischen Urteils. Joseph Ratzinger verfügt über keine dieser Eigenschaften. Sein Leben ist ... das eines sozialen Aufsteigers, der sich mit Fleiß und Intelligenz aus dem Kleine-Leute-Milieu seiner Eltern hochgearbeitet hat."
Brumliks Häme gegen kleiner Leute Kinder hat uns genauso missfallen wie die abstruse Erfindung einer Linken, die dem SPIEGEL-Autor Jan Fleischhauer dazu dient, seinen Übertritt ins konservative Lager unter Beifall konservativer Publizisten zu feiern.
Als "Kraft durch Fresse" charakterisierte Tania Martini in der TAGESZEITUNG den Fleischhauerschen Trick, billig Ruhm abzuräumen.
Zum Ende Europa. Mit Blick auf den Eurovision Song Contest behauptete Jens Mühling im TAGESSPIEGEL:
"Der Grand Prix ist das inklusivste Länderforum des Kontinents - und vermittelt gleichzeitig eine Ahnung dessen, was Europa sein könnte, wenn es den Mut dazu fände: ein Kulturreich, in dem nie die Sonne untergeht, ein sanftes Imperium, das von Portugals Atlantik bis zur sibirischen Pazifikküste, vom Arktischen Ozean bis zu den Stränden des Roten Meeres reicht."
Wie gesagt: ein Schlagerwettbewerb ließ den TAGESSPIEGEL so träumen.
Bekanntlich wurde Kermani der Hessische Kulturpreis zunächst zu-, dann aber wieder aberkannt. Kardinal Lehmann und Peter Steinacker, Ex-Präsident der hessisch-nassauischen Kirche, waren über Kermanis Bemerkung verärgert, die Kreuzestheologie der Christen sei "Gotteslästerung und Idolatrie", und hatten beim Kuratorium um Ministerpräsident Roland Koch interveniert.
"Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen", spottete Kermani am Freitag in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Das Samstagsfeuilleton der FAZ machte mit einem schwarzen Kreuz auf, unter dem Schriftsteller Martin Mosebach "Zwölf Fragen an Kardinal Lehmann" richtete.
"Gilt die bei Teegesellschaften angebrachte Höflichkeit, religiöse Differenzen nicht in aller Deutlichkeit zur Sprache zu bringen, auch für den von Ihnen seit langem geforderten Dialog zwischen den Religionen?"
lautete die dritte Frage. Auf der anderen Seite des FAZ-Kreuzes behauptete Peter Steinacker "Kermani missachtet den Dialog" und bemerkte:
"Ich habe keine Probleme damit, dass Navid Kermani die Kreuzestheologie ablehnt. Er wird umgekehrt auch keine Probleme damit haben, dass ich zentrale Glaubenslehren der Schia [der Schiiten] ablehne. Jedoch würde es mir nie in den Sinn kommen, Inhalte der schiitischen Konfession des Islam als Gotteslästerung und Idolatrie zu bezeichnen und in die Nähe von Pornographie zu rücken."
"Verlogene Pfaffen" wetterte in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Gustav Seibt mit Goethe.
Der Tod - der als Christi Kreuzestod im geistlichen Zentrum der Kermani-Debatte steht -, der Tod und die Frage, wie wir mit ihm leben können, stand auch im Mittelpunkt einer besonders ergreifenden Rezension.
FAZ-Autor Michael Pawlik besprach "Morgen bin ich wieder da" - Die Suche nach meinem zweiten Leben, ein Sachbuch der Niederländerin Sophie van der Stap, die wie ihre Freundin an Krebs erkrankt war, aber anders als ihre Freundin wieder gesund wurde - und ihr Leben nun nicht mehr so erlebt wie zuvor.
"Die Kugel, auf der ich balanciere, rollt weiter bergab [zitiert Pawlik Sophie van der Stap]. Ich rolle mit und passe mich den Umständen an [ ... ]. Dadurch wird die Summe der Dinge, die mir widerfahren, deutlich höher als die Summe der Dinge, die ich mir einmal für mich vorgestellt habe."
Pawlik beschreibt, dass Sophie van der Stap sogar das demütige Suchen nach "der Summe der Dinge" als zweifelhaften Ausdruck von Selbstverwirklichung und Besitzindividualismus sieht.
Wird man denn nicht wenigstens die guten Momente des Lebens sammeln dürfen, um sie im Bewusstsein zu besitzen, fragten wir uns bei der Lektüre - und lasen zur Antwort bei Pawlik:
"Van der Stap zeigt, dass das Phänomen der menschlichen Existenz unweigerlich verfehlt, wer in besitzrechtlichen Kategorien über es spricht. Unser Dasein gehört uns nicht. Wir sind nur Gäste, flüchtige Schemen.""
Mitten im FAZ-Text: ein Foto Sophie van der Staps - so strahlend, so lebendig, so froh.
"Schöner als hier kann's im Himmel gar nicht sein!" heißt das neue Buch des krebskranken Christoph Schlingensief. Mit seinem Stück "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" wurde das Berliner Theatertreffen eröffnet, bei dem auch Arbeiten von Jürgen Gosch gespielt werden. Gosch ist ebenfalls krebskrank.
In der SZ reflektierte Christopher Schmidt auf die neue Sehnsucht des Theaters nach Wirklichkeitshärte.
"Dass eine Saison, deren Ausklang vom Krebs zweier der wichtigsten Theatermacher dieser Zeit überschattet ist, mit einem [Max-Frisch-]Stück begann, in dem ein Mann auf die Erde zurückkehrt, um nach den biographischen Ursachen für seinen Krebstod zu forschen, schien ein gespenstischer Prolog des Bühnenjahres zu sein. Und gab doch zugleich einen Vorgeschmack auf eine fällige Trendwende am Theater."
Wir nehmen den Titel des SZ-Artikels ernst - "Hallo, in diesen Trümmern lebt noch einer" und suchen zur Erholung das Seichte.
Vielfach wurde Illuminati besprochen, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Dan Brown. In der Tageszeitung DIE WELT ordnete Hanns-Georg Rodek den Streifen immerhin in die ernstzunehmende Filmgeschichte ein:
"Ron Howards 'Illuminati' hat ein wenig von John Fords Spätwestern 'Der Mann, der Liberty Valance erschoss'. In beiden Filmen trifft ein aufgeklärter Held auf eine Fassade, in beiden Geschichten findet er die Wahrheit hinter dem Schein heraus, und in beiden Fällen verzichtet er auf die Enthüllung, weil er den Wert der Täuschung als höher erachtet als den Nutzen der Desillusionierung. 'Wenn die Legende zur Tatsache wird, drucke die Legende', sagt der Chefredakteur bei Ford."
In "Illuminati" zeugt der Papst übrigens ein Kind, das ihn dann umbringt - eine Verwicklung, die Benedikt XVI. wohl nicht droht.
Dessen Probleme sind anderer Natur. Laut Micha Brumlik, Autor der FRANKFURTER RUNDSCHAU, ist der Pontifex mit den Forderungen seines Amtes, Stellvertreter Gottes, Herrscher eines Kleinstaates und höchste moralische Instanz zu sein, schlicht überfordert:
"Diese Aufgaben auch nur halbwegs sinnvoll und erfolgreich miteinander zu verbinden, bedarf es authentischen religiösen Charismas, machiavellistischer Klugheit und eines auf Lebenserfahrung beruhenden und in Krisen gefestigten moralischen Urteils. Joseph Ratzinger verfügt über keine dieser Eigenschaften. Sein Leben ist ... das eines sozialen Aufsteigers, der sich mit Fleiß und Intelligenz aus dem Kleine-Leute-Milieu seiner Eltern hochgearbeitet hat."
Brumliks Häme gegen kleiner Leute Kinder hat uns genauso missfallen wie die abstruse Erfindung einer Linken, die dem SPIEGEL-Autor Jan Fleischhauer dazu dient, seinen Übertritt ins konservative Lager unter Beifall konservativer Publizisten zu feiern.
Als "Kraft durch Fresse" charakterisierte Tania Martini in der TAGESZEITUNG den Fleischhauerschen Trick, billig Ruhm abzuräumen.
Zum Ende Europa. Mit Blick auf den Eurovision Song Contest behauptete Jens Mühling im TAGESSPIEGEL:
"Der Grand Prix ist das inklusivste Länderforum des Kontinents - und vermittelt gleichzeitig eine Ahnung dessen, was Europa sein könnte, wenn es den Mut dazu fände: ein Kulturreich, in dem nie die Sonne untergeht, ein sanftes Imperium, das von Portugals Atlantik bis zur sibirischen Pazifikküste, vom Arktischen Ozean bis zu den Stränden des Roten Meeres reicht."
Wie gesagt: ein Schlagerwettbewerb ließ den TAGESSPIEGEL so träumen.